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Markus Keuschnigg

Aus der Welt der Filmfestivals: Von Kino-Buffets und dunklen Sälen.

26. 1. 2011 - 12:06

Zwischen den Hügeln

Country Noir nennt der amerikanische Autor Daniel Woodrell den Stil seiner Romane. In "Winters Knochen" erzählt er von der Odyssee eines Mädchens, für die er so harte wie poetische Bilder findet. Notizen zu einem ungewöhnlichen Heimatroman.

Buch

Liebeskind Verlag

Winters Knochen ist in guter deutscher Übersetzung beim Liebeskind Verlag erschienen.

Ozark: auch wenn es sich so anhört, ist das kein Ungetüm aus dem "Herrn der Ringe"; sondern der Name eines Plateaus inmitten der Vereinigten Staaten. Ein unwirtliche, kalte und feuchte Region, in der der amerikanische Autor Daniel Woodrell alle seine Romane ansiedelt. Auch Winters Knochen: erschienen 2006, liegt die harte Geschichte eines 16-jährigen Mädchens, die ihren verschwundenen Vater sucht, jetzt erstmals auch in deutscher Übersetzung vor.

Mit Eis überzogene Hügelflanken brachen auseinander. Von allem rutschte klirrend Eis herunter, von Ästen, Zweigen, Baumstümpfen, Felsen. Nebel lag in der Senke und auf den Schienen, stieg aber kaum bis über Rees Kopf.

Gebirgsregion

ozarkmountain.org

Ree ist eine Dolly. Und eine Dolly zu sein ist schon was. Das schlanke Mädchen mit der milchigen Haut gehört damit zu einem Clan, der schon seit langem in den Ozarks lebt. Man unterstützt sich, hilft mal aus, vor allem hält man zusammen. Nur so kann man die Welt da draußen, die Welt der Städter, außen vor lassen. Seit Generationen lebt man hier nach eigenen Gesetzen: viele sind arbeitslos, fast alle fabrizieren Crystal Meth. Der Ton ist rau, der Umgang miteinander rauer: schon vor Jahren ist Ree im Drogenrausch von einem ihrer vielen Onkel vergewaltigt worden.

Silence is golden

Gesagt hat sie nie was: es wäre nicht gut gewesen, sich gegen einen anderen Dolly zu wenden. Aber jetzt hat sie keine Wahl: ihr Vater Jessup ist verschwunden. Wenn er zu einem Gerichtstermin nicht erscheint, pfänden die Behörden das Haus und den Grund. Ree, ihre zwei kleinen Brüder und ihre psychisch labile Mutter wären dann obdachlos. Also macht sie sich auf die Suche nach Jessup: eine Suche, die sie tief hinein in die Welt zwischen den Hügeln führen wird.

All ihre Leiden taten sich zu einem Chor zusammen und sangen den Schmerz in Fleisch und Gedanken. Gail stellte sie nackt hin und säuberte sie, wie sie ihr Baby säuberte, nahm den dreckigen Rock, um ihr die Exkremente vom Hintern und den Oberschenkeln und den Kniekehlen abzuwischen. Gail berührte die auftauchenden Striemen und blauen Flecken mit ihren Fingern und zitterte zwischen den Tränen. Als Ree sich rührte, fiel sie in sich zusammen, und der Chor in ihr schlug neue, scharfe Töne an.

Mädchen

Debra Granik, USA 2010, Viennale

Die großartige Jennifer Lawrence als Ree Dolly in Debra Graniks Kino-Adaption von "Winters Knochen". Kommt voraussichtlich im April in die Kinos.

No Land of Oz

Wie ein Chor wirkt auch "Winters Knochen". Allerdings wie ein disharmonischer. In Daniel Woodrells Roman reiben sich die Widersprüche aneinander, bis die Funken fliegen. Durch den Text steppt das Leben selbst, das der Autor in so poetischer, wie direkter Sprache einfängt. Ree ist anmutig und vulgär gleichzeitig: alle Figuren scheinen aus den Ozarks herausgewachsen zu sein. Woodrell kennt diese Gegend; gut sogar. Er weiß, was die Menschen dort umtreibt, weiß, wie sie ticken, fühlen, leben und töten.

Woodrell ist unter ihnen aufgewachsen, lebt immer noch dort. Wer ihn treffen will, muss mehrere Stunden lang mit dem Auto durch die Ozarks kurven. Mit "Winters Knochen" gelingt ihm der Durchbruch in der Literaturszene; doch schon davor verehren ihn Kolleginnen wie Annie Proulx und Regisseure wie Ang Lee, der eines seiner Bücher als "Ride with the Devil" inszeniert. Im letzten Jahr verfilmt Debra Granik "Winters Knochen": aktuell gelten die Regisseurin und ihr Film als heiße Oscar-Kandidaten.



"Winters Knochen" ist bei aller Härte kein hoffnungsloser Roman. Woodrell behandelt selbst die grellsten Typen mit Anstand, gibt zu verstehen, dass hinter der brutalen Fassade genau wie in den Ozarks eine Schönheit liegt. Man muss sie erst entdecken. Am besten zwischen den Seiten dieses Ausnahmeromans.