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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

22. 1. 2011 - 19:36

Journal 2011. Eintrag 19.

Des Englischen mächtig. Oder: über die fehlende OmU-Kultur. Mit Marilyn Manson-Bonus!

Das Jahr 2011 bietet wieder ein Journal, ein fast tägliches, wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009.
300 Einträge werden zusammenkommen, vielleicht auch mehr. Dazu komplettieren 60 oder 70 Einträge ins Fußball-Journal '11 die diesjährige Blumenau-Show im Netz.

Meist wird es hier Geschichten/Analysen geben, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo gefunden habe; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute kommt aber eine aktuelle Erfahrungs-Sammlung zum Umgang mit der englischen Sprache zum Zuge.

Ich bemerke es vor allem dann, wenn ich von außen drauf angesprochen werde; also von echt außen im Ausland. Wie zuletzt hier bei der Redaktionskonferenz des dritten Kanals des deutschlandweiten dradios, als ich - zu Gast wegen des FM4-Geburtstags samt Fest - zur Bilinguilität unseres kleinen Senders gefragt wurde.
Weil es etwas ist, was es sonst kaum/nicht gibt; und weil es, als Konzept, fast zu gut klingt, um es zu erfinden.

Ich denke anlässlich solcher Fragen dann immer gerne über die praktischen Folgen dieser biligualen Arbeits-Situation nach. Wie es die Sprache verändert, zum Beispiel. Was es bedeutet, dass ich mit Robin Lee (Chicago) beides spreche, immer bis zu dem Zeitpunkt, wo sich dann eine/r von uns entschließt, zu switchen, weil etwas in der anderen Sprache (und es muss gar nicht die mother tongue sein) besser auszudrücken ist. Oder warum Steve Crilley (Newcastle) immer deutsch und ich immer englisch spreche, wenn wir uns unterhalten. Oder die vielen Fragen, die die urbritische Schimpfwort-Kultur, die ich von Duncan Larkin (London) gelernt habe, aufwirft.

Das macht Sinn!

Wenn dann auch noch ein Mail des ORF-Chefsprechers daherkommt, in dem er händeringend drum ersucht, den Ausdruck "Sinn machen" wegen Unrichtigkeit doch bitte nicht zu verwenden, dann muss ich kurz nachdenken, wie denn das wirklich ist. Denn: wenn du öfter "this makes sense" als "das hat Sinn" sagst, dann bleibt dieses Denglisch-Kauderwelsch nicht aus. Von den diversen quasi-Eindeutschungen, denen die englischsprachigen Kollegen unterliegen, gar nicht zu sprechen.

Der unschlagbare Vorteil des täglichen Umgangs mit tatsächlicher Englischsprachigkeit (die über das Business-Pidgin-Englisch, das die Poser der Management-Schicht parlieren, deutlich hinausreicht: man switcht schneller. Wenn etwa Ricky Gervais um 2 Uhr nachts die Grammies (Grammys? da hatten wir schon einmal was... ) eröffnet und innerhalb von drei Sekunden verbal explodiert, dann braucht mein Ohr kaum Anlaufzeit.

Im übrigen hat der übertragende Sender, pro7, nicht übersetzt oder untertitelt - zum einen, weil ihnen die Nacht wurscht ist, zum anderen, weil man eventuell die Moderations-Skripts bekommt, aber niemals die der Dankesreden und so eh keine Chance auf Simultan-Übersetzung hat.
Ein Glück: denn auch die bestgemeintesten Übersetzungen der schönsten Obama-Reden von 08/09 endeten (egal auf welchem deutschsprachigen Sender) meist in einem unförmigen Gestammel, das in keiner Phase der geschliffenen Rede-Kunst des Präsidenten gerecht wurde. Und darum, um den Groove, die Tonalität, die sprachliche Schlauheit einer Rede, um das geht es ja, für mich, als Zuhörer. Die wortgetreue Übertragung lese ich gern später nach, auf das babelfischige Gestotter darf ich verzichten.

Gervais und Co. untertiteln/übersetzen?

Wenn es ganz hart wird, dann hilft anderes. So wie bei The Wire und seinen anfänglich am Rand der kompletten Unverständlichkeit balancierenden Ghetto-Dialoge: da empfiehlt sich die Originalversion mit Untertiteln; keinen hochsprachlichen, sondern der Schriftform des gesprochenen - you feel me?

Vor Untertiteln hat man im deutsprachigen Raum aber ganz viel Angst. Rest-Europa lebt damit, und zwar wunderbar, Deutsche und Österreicher wollen Wenzel Lüdecke.

Das alles ist mir logischerweise gestern abend, bei Marilyn Mansons Besuch in einer österreichischen TV-Sendung eingefallen. Manson, der sich in den Tagen davor als kunst- und feinsinniger, zurückhaltender Charmeur erwiesen hatte, musste - um der Rolle des Bürgerschrecks zu entsprechen - gestern ein wenig vorglühen. Was sich dann in dauerhaften Kurz-Monologen, die von expliziten und indirekten Äußerungen und Anspielungen zu genau einem Thema (Sex, Sex, Sex) entlud. Um jede künstliche Empörung darüber zu ersticken: wenn Manson die zentrale Rolle des Helden von Morgen-Personals erfasst und ausstellt - ich spreche von der Reduzierung auf Körper und Image, mehr ist da ja nicht - dann ist das auch inhaltlich in Ordnung; und hat durchaus Substanz.

Genau, der versprochene Manson-Bonus!

Allerdings: da Manson, wohl aus ähnlichen Gründen wie Gervais, weder simultangedolmetscht noch wirklich übersetzt wurde, zerfiel die Rezeption in zwei Teile. Die einen staunten über Tonalität, Optik, Schminke und Gestik, ohne sich um die Worte zu kümmern, die anderen hatten ihren Spaß an den Oscar Wildeschen Zoten, die Manson da losließ.

Das Publikum vor Ort (ich gestehe, ich war live im Saal, Manson-Schaun) war von Mansons Einschüben völlig überfordert - weil sie sie nicht verstanden. Ebenso wie Juror Sido, dessen Englisch-Kenntnisse auch nicht über die der Live-Zuschauer hinausreichten. Außerdem, das wurde mir nachträglich von im Presseraum Anwesenden berichtet, stürmten auch die dort anwesenden Reporter (unter anderen der Österreich-Redakteur, der als einziger Mensch weltweit die abgebrochene Wetten-Dass-Sendung wrklich gesehen hat...) zu den vereinzelt anwesenden Sprachkundigen: "Wos hod er gsogt jetzt?"

Heute, irgendwann zwischendurch, sehe ich einen Teil einer 30 Rock-Folge: Liz Lemon-Tina Fey verkauft, wegen Sprachproblemen, versehentlich NBC an "die Deutschen". Die Folge war synchronisiert, der Sprach-Mißverständnis-Kommunikations-Witz ging komplett verloren, war nur zu erahnen.

Ohne Synchronisation geh i wieder ham!

Womöglich ist die Abwesenheit einer OmU-Kultur im deutsprachigen Raum schuld an allem; oder zumindest an vielem. Und während sich Deutschland dann aufgrund von Parametern wie höherer Weltläufigkeit oder einem besseren Bildungs-System und einer sowieso höheren Sprach-Kompetenz noch drüber hinwegschwindeln kann, macht das die Österreicher blöd. Noch schwächer als sie, sprachlich gesehen, eh schon sind.

Auch hier fehlt einfach der Mittelstand zwischen der schmalen OV-Elite und der breiten Synchron-Masse. Klar ist es erschreckend, in einem Saal voller Menschen zu sitzen, die ein klares, fast schon zärtlich artikuliertes, mit eh vielen eindeutigen Begriffen gespicktes Amerikanisch einfach nicht verstehen, weil ihre Synapsen automatisch auf die Synchronfassung warten. Aber die Tatsache, dass es nur die Helden-Teenies und ihre Busse dirigierender Eislauf-Väter waren, macht es nicht besser.
Weil auch die sozial vielleicht potentere hiesige Twitteria immer dann, wenn sie ihre Meldungen auf Englisch absetzt (manche wollen ja weltweit verstanden werden, in vielen Bereichen ist das ja nachvollziehbar) auch in ein tendenziell illiterates Schulenglisch flüchten, das ich niemandem zumuten würde.

Her mit der OmU-Mittelschicht!

Gut, es ist ein großer Unterschied im klaren Verstehen und dem (viel schwierigeren) guten Sprechen - das habe ich dieser Tage dank der tunesischen Ereignisse am Beispiel meines Französischen wieder neu erfahren.

Trotzdem: der OmU-Irrtum, für den sich die Definitionsmächtigen dieser sprachlich so wenig mächtigen Republik entschieden haben, trägt das Seine dazu bei, dass auch die jungen Menschen dasitzen wie der Ochs vorm Tor.

Denn das Spaß-Englisch, mit dem man internationale Freundschaften mit anderen schlechtes Englisch sprechenden Menschen weltweit pflegt, ist ebenso unbrauchbar wie das Pidgindeutsch, mit denen Unterschicht-Kids die Grenzen zwischen Migranten und Autochthonen überwinden. Und es hilft keinen Millimeter, Obama/Gervais/Manson zu verstehen.

Und: wer die anderen nicht versteht; wer nicht imstande ist, Sprachspiele, Anspielungen, Nuancen etc. zu erkennen, der wird innerhalb des globalisierten Wettbewerbs nur die Rolle des Ersatzbank-Lulus einnehmen können. Verstehen können bedeutet handeln können. Nix-Kapieren heißt nur nix kapieren.