Erstellt am: 22. 1. 2011 - 11:05 Uhr
"Soll Bauch und Herz berühren"
„Vielleicht in einem anderen Leben“ ist der erste Kinospielfilm von Elisabeth Scharang. Es ist allerdings nicht ihre erste Filmarbeit, die sich mit den Gräueltaten des zweiten Weltkriegs auseinandersetzt. Der Fernsehspielfilm „Mein Mörder“ und die Dokumentation „Meine Liebe Republik“ haben die Verbrechen der Nazis in der Kinder-Euthanasie Anstalt „Am Spiegelgrund“ thematisiert. „Vielleicht in einem anderen Leben“ ruft die sogenannten Todesmärsche in Erinnerung. Erika Koriska hat Elisabeth Scharang gemeinsam mit ihrer Hauptdarstellerin Ursula Strauss zum Interview getroffen.
Bei Filmen, die sich mit dem zweiten Weltkrieg beschäftigen, haben sich Klischeebilder festgesetzt; Quentin Tarantino hat mit „Inglourious Basterds“ neue Wege beschritten, wie hast du dich an das Thema herangearbeitet?
Elisabeth Scharang: Ich finde, wir haben auch sehr neue Wege beschritten, man macht eine große Schere auf und schaut, was sich dabei noch ausgeht und maximiert dabei das Risiko in der Planung des Films, würde ich sagen. Wir haben auf der einen Seite eine Operette (Anm.: die im Film aufgeführt wird), die kitschiger nicht sein könnte und wo man vorher schon weiß, dass wegen der sicher kein Mensch ins Kino geht und wir haben auf der anderen Seite das Drama des Holocausts. Das in einem Film zusammenzubringen und diese Mischkulanz ergibt für mich den großen Reiz. Und wenn die Leute sagen „Schon wieder eine Nazi-Geschichte“, dann weiß man auch, dass man sich nie über etwas aufregt, was einem egal ist. Ich behaupte, man regt sich über etwas auf, was einem immer noch sehr weh tut.
Pamela Rußmann
„Vielleicht in einem anderen Leben“ basiert auf einem Theaterstück von Peter Turrini und Silke Hassler, was war die größte Herausforderung dieses Stück fürs Kino zu adaptieren?
Elisabeth Scharang: Die größte Herausforderung war, ein lautes Stück in einen leisen Film zu bringen, wo es um eine innere Verwandlung geht, die vor allem bei den Faschings stattfindet. Ein Ehepaar, das sich schon lang nichts mehr zu sagen hat und plötzlich mehr oder weniger auf einer Bühne steht und dort Schmerz, Trauer und Ehekrise vor einer Gruppe von ungarischen Häftlingen austrägt, die eigentlich ganz andere Probleme haben.
Ursula Strauss, du spielst im Film die Bäuerin Traudl Fasching, die die Juden in ihrem Heustadl mit Essen versorgt. Du hast auch schon im Theaterstück von Peter Turrini mitgespielt – damals hast du eine von den jüdischen Gefangenen gespielt.
Ursula Strauss: Es war für mich sehr spannend, den Stoff von zwei verschiedenen Seiten kennenzulernen. Die größere Rollen-Herausforderung war ganz klar die Traudl Fasching.
War es schwierig, die Rolle wieder abzustreifen?
Es ist nicht einfach gewesen, in die Rolle einzusteigen, das war eher mein Problem. Das Abstreifen, das ist ganz komisch, das will man ja dann gar nicht, wenn man mit einer Rolle gerne lebt – und das tu ich mit der Traudl Fasching gerne. Die Zeit davor war schwieriger, da hab ich drei Wochen vor Drehbeginn gemerkt, dass ich richtig Bammel bekomme.
Hast du mit Zeitzeuginnen gesprochen, um dich auf die Rolle vorzubereiten?
Ursula Strauss: Ja, hab ich, ich hab aber auch noch ein ganz intensive Erinnerung an meine Großmütter, eine hat auch tatsächlich im Waldviertel gelebt, in genauso einem Haus wie im Film. Da hab ich gemerkt, dass mich das sehr begleitet. Die andere Oma hat mehr über diese Zeit gesprochen, aber die hat das glaub ich auch anders erlebt, da ging es in erster Linie um die russische Besatzung. Das war das, was sie am stärksten mitgekriegt hat – außer, dass sie irgendwie ihr Kind durchbringen muss und versuchen im Krieg zu überleben, war ihr direkter Zugansgpunkt zur Auseinandersetzung die Angst vor den Russen. Meine andere Oma hat nicht sehr viel darüber gesprochen.
Alfons Kowatsch
Seit vergangenem Jahr denkt man bei „Wiener Blut“ nicht nur an die Operette, die die jüdischen Gefangenen im Heustadl einstudieren, sondern auch an die FPÖ-Wahlkampagne. Ihr habt den Film schon 2009, also davor gedreht, hat das euren Blick auf den Film nochmals verändert?
Elisabeth Scharang: Ich find es immer so interessant, wenn einen die Gegenwart schneller einholt als man glaubt. Wir haben den Film im Sommer fertiggestellt und im Oktober waren dann die Wahlplakate mit „Entfremdung“ und „Wiener Blut“ überall in Wien zu sehen. Wenn dann noch Leute zu mir herkommen und fragen, warum ich so einen Film mache, dann fällt mir dazu eigentlich nichts mehr ein. Das beantwortet sich von selbst, wenn man ein bisschen einen Blick in die Welt hinaus wirft. Auch über die Grenzen hinaus, wir haben das jetzt verfolgt, was in Ungarn passiert. Was für uns sehr wichtig ist, weil wir sind eine ungarische Ko-Produktion, wir haben mit 20 ungarischen Darstellern gedreht. Wir wollen den Film auch in Ungarn rausbringen, was momentan ganz schwierg ist, weil solche Filme momentan politisch nicht gern gesehen werden.
Ihr habt in einem kleinen Dorf im Weinviertel gedreht – waren die Bewohner skeptisch, dass in ihrem Ort ein Film über Judenverfolgung gedreht wird?
Filmladen
"Vielleicht in einem anderen Leben" startet am 21. Jänner 2011 in den österreichischen Kinos
Elisabeth Scharang: Die waren sehr offen und das war sehr wichtig, ich weiß von Kollegen, die in Oberösterreich im Dokumentar- und im Spielfilmbereich Projekte umsetzen wollten und da ist das nach dem Film „Hasenjagd“ sehr schwierig geworden. Die Leute wollen damit nichts mehr zu tun haben und sagen auch ganz offen, „Lassts uns in Ruhe damit“. In Passendorf ist es uns nicht so gegangen, da ist man ja nicht nur für die sechs Wochen Drehzeit, sondern für die zwei, drei Monate Vorbereitung dort. Da hat man so eng miteinander zu tun, dass es meiner Meinung nach nicht gegen den Willen der Bevölkerung geht. Ich hab dort auch sehr wichtige Informationen bekommen, die du dir aus den Archiven nicht holen kannst. Weil mir z.B. schon auch, was die Todesmärsche betrifft, die Bilder gefehlt haben, also, wie haben die Leute ausgesehen. Mir hat eine alte Frau in Passendorf erzählt, dass sie einen Zug von jüdischen Häftlingen gesehen hat, die durchs Dorf getrieben worden sind. Und, dass das stärkste Erlebnis für sie war, dass diese Leute, von denen viele direkt aus Budapest kamen, die Kleidung war schon sehr verschmutzt, aber die hatten Hüte am Kopf und die Damen hatten Kostüme an. Die hatten noch ein Stück ihrer Welt und Individualität und waren teilweise besser gekleidet als die ländliche Bevölkerung, da gab es ein Land/Stadt-Gefälle und nicht nur diese große ideologische Grenze, die zwischen den Leuten stand. Wenn du solche Erlebnisse mit Leuten vor Ort hast, die dann auch in den Film eingebunden sind, dann bekommt der Film auch eine weitere Ebene.
Auf die Frage, warum die jüdischen Gefangenen die Operette aufführen, hat Peter Turrini in einem Interview gemeint „Es ist sinnlos – aber der lächerliche Versuch, mithilfe der Kunst zu überleben“. Was kann eurer Meinung nach ein Film wie „Vielleicht in einem anderen Leben“ bewegen?
Elisabeth Scharang: Den Menschen, den Bauch, das Herz. Dass man eine Geschichte, die sehr im Kopf festgesteckt ist, weil viele von uns das nicht mehr miterlebt haben, dass die Themen dieses Films von der Vernunft ein bisschen in den Bauch hinuntersickern.
Strauss: Ich glaube auch, dass es viele vielleicht anregen kann, über damals zu sprechen und draufzukommen, dass wir viel mehr damit zu tun haben oder dass in der eigenen Familie viel mehr Geschichten schlummern, die man noch nicht gekannt hat.
Elisabeth Scharang: Und, dass das Lachen und Weinen immer ganz nah beinander ist.
Vielen Dank fürs Kommen.