Erstellt am: 20. 1. 2011 - 20:00 Uhr
Journal 2011. Eintrag 17.
Das Jahr 2011 bietet wieder ein Journal, ein fast tägliches, wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009.
300 Einträge werden zusammenkommen, vielleicht auch mehr. Dazu komplettieren 60 oder 70 Einträge ins Fußball-Journal '11 die diesjährige Blumenau-Show im Netz.
Meist wird es hier Geschichten/Analysen geben, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo gefunden habe; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit der Frage nach den Spuren von Bruno Kreisky. In mir selber.
Der Beleg, dass Bruno Kreisky lebt, steckt nicht nur in den 60 Prozent der ÖsterreicherInnen, die ihn für den besten Kanzler aller Zeiten halten; er sitzt auch tief im Inneren der Populärkultur, bei maschek etwa oder dieser stilprägenden Band.
Und aktuell, anläßlich des Hundertjährigen sind die entsprechend politisierten Kanäle voll mit Zuschreibungen und Behauptungen nicht nur der Altvorderen und Zeitgenossen, sondern auch der damals (in den 70ern, Kreiskys Hauptwirkungszeit) Jungen. Und zu denen gehörte, Ende der 70er, auch ich.
Und weil ich in den letzten Tagen so viele dieser Stimmen vernommen, gesehen oder gelesen habe, die mit fast tränenerstickten Worten ihre Dankbarkeit äußern, die die Reformen der 70er, die Reformen, die erst und ausschließlich durch die Kreisky-Ära möglich gemacht wurden, in jeder Faser ihrer Auswirkungen ganz persönlich auf sich selber beziehen. So sehr das inhaltlich alles richtig ist - die Konservativen hätten dazu Jahre, wenn nicht Jahrzehnte gebraucht - so sehr verwundert mich die Fixierung auf die Person Kreisky.
Freier Hochschulzugang, Gratis-Schulbücher...
Klar, er war der Chef, und er war auch der Antreiber einer Entwicklung, die in den Bereichen, die vor allem die Jungen betreffen (Bildungsoffensive, gesellschaftliche Freiheiten und eine neue Durchlässigkeit zur Hochschule, Alternativen zum Wehrdienst, neue sexual politics und vieles anderes mehr) Unerhörtes in die Wege geleitet hat und den Mief der damaligen Obrigkeits-Hörigkeits und amtsartigen Abnickerkultur (der auch von seinen SPÖ-Vorgänger mitgetragen wurde) weggeputzt und sowas wie kulturelles Kapital anzusammeln verstand.
Reality Check Special (12-13) widmet sich am 22.01 auch dem Hundersten Geburstag Kreiskys
Ohne die Kreisky-Regierung hätte es etwa keinerlei österreichische Popmusik gegeben - die erst ab Anfang 70 wirklich in die Gänge kam, von Infrastrukur gar nicht erst zu reden.
Alles klar, alles gut, alles richtig.
Nur: warum der Personenkult? Warum wässern sich die Augen der Menasses und Hellers dieses Landes vor Seligkeit?
Und: bin ich auch so? Vielleicht sogar ohne, dass es mir auffällt?
Der vielzitierte Standard-Spruch, dass man ohne die Reformen der Kreisky-Regierungen nicht hätte studieren können - er stimmt und trifft genauso auch auf mich zu. Aber irgendwo läuft das nicht unter "Dankbarkeit", wie bei den aktuellen Rufern.
... Zivildienst, Fristenlösung, Zwentendorf...
Ich denke nämlich nicht, dass Dankbarkeit eine politische Kategorie ist. Ein Politiker, der rechtzeitig die richtigen Entscheidungen trifft, schlau die Weichen stellt und die offenstmögliche Kulturleistung forciert, ist kein Gott, sondern jemand, der seinen Job ausübt. Und zwar gut; oder sogar hervorragend. Dem kann ich Respekt erweisen, eine buckelnde Dankbarkeit jedoch ist überflüssig.
Klar so eine Haltung ergibt sich, nachträglich, durch die sukzessive Armseligkeit der Nachfolger, durch die zunehmende Beschränkung des politischen Handlungsspielraums und durch einen nostalgischen Blick in eine Dekade, in der viel mehr möglich war und gleichzeitig nur einen Bruchteil an Stoßrichtungen existierte.
Der Backlash interessiert mich da genausowenig: wie daneben Kreisky im Fall Wiesenthal agiert hat, wie verquer sein AKW-Engagement war und vieles anderes mehr - alles legitim und alles aus der Zeit heraus erklärbar.
Wenn der Abolitionist Wendell Phillips seinen Präsidenten Abraham Lincoln einen erstklassigen Zweitklassigen nennt, dann hat er im konkreten Fall, wo er einen faulen Kompromiss anspricht, durchaus recht.
Trotzdem wird niemand Lincoln aus Mount Rushmore rausmeisseln.
Und genausowenig läßt sich Kreiskys Bedeutung für Österreich in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts ausblenden. Aber genauso muss sich niemand dabei betroffen fühlen, als würde der eigene Vater angegriffen werden.
... und die Sache mit der Vater-Figur.
Genau das passiert aber in den allermeisten aktuellen Kreisky-Jubiläums-Statements: Menschen zwischen 40 und 55, also die gerade Meinungs- und Definitionsmächtigen arbeiten sich an einer Vater-Figur ab.
Im Gegensatz zu den Zeitgenossen, die auf Augenhöhe unterwegs waren oder der Generation Taus, die sich da gegen den älteren Bruder durchsetzen mussten und deshalb unverblümter aber auch weniger weitsichtig agierten, blickt die aktuelle Generation der öffentlichen Äußerer zu einem Papa auf. Und kann natürlich genauso wenig objektiv sein - da wird viel mehr aufgerechnet, wo der Herr Vater, dem man in vieler Hinsicht so dankbar (da is es wieder...) ist, weil man einer Vaterfigur scheinbar immer auch dankbar sein muss, denn Gutes gemacht und wo ihm denn weniger Gelungenes anzumäkeln ist.
Die Helene Maimann-Doku Bruno Kreisky. Politik und Leidenschaft läuft im Kino, der Club 2 Spezial heute ab 22.45 in ORF 2.
Womöglich wird erst die Enkel-Generation ein von diesem familienaufstellungsmäßigem Unsinn befreites Verhältnis zu Bruno Kreisky aufbauen können.
Denn: der Wille dazu, sich mit dieser Ära und auch seinen Proponenten zu beschäftigen, der ist da. Etwas, was man von den ständestattlich orientierten 50er oder den blassen 90ern ja nicht behaupten kann, von der Schüssel-Wenderegierung einmal ganz zu schweigen.
Insofern wird der 30. Todestag Ende Juli 2020 womöglich viel interessanter werden.