Erstellt am: 20. 1. 2011 - 19:06 Uhr
Shitstorm im Wasserglas
So ganz will der Shitstorm nicht in die Gänge kommen. Tausende Hass-Postings, der immer wiederkehrende Hilferuf an Anonymous und das Verbreiten kritischer Fernsehberichte haben noch nichts bewirkt. Die deutsche Internet-Firma Euroweb gibt nicht nach und will die gepfändete Website nerdcore.de auf ebay versteigern. Aus einer kleinen Verleumdungsklage ist eine Debatte über freie Meinungsäußerung und die juristische Artillerie von großen Firmen geworden.
Die Sache mit den "Arschgesichtern"
nerdcore
Chronologie der Ereignisse gibt es auf netzpolitik.org
Was ist passiert? Der Berliner Webdesinger Rene Walter betreibt seit 2005 ein höchst erfolgreiches Weblog namens Nerdcore: Hübsche Fundstücke aus dem Netz mit Schwerpunktsetzung Indie-Musik und Zombies. Als 2006 viele kritische Stimmen gegen die seltsamen Geschäftsbedingungen der "Webseiten-Allround-Betreuungsfirma" Euroweb aufkommen, nennt Walter die Verantwortlichen "Arschgeigen". Das lässt sich das pedantisch auf Berichterstattung wachende Unternehmen nicht gefallen und klagt Walter. Er verliert vor Gericht, zahlt die angeblich rund 2000 Euro Strafe aber nicht. Als die letzte Mahnung verstrichen ist, pfändet Euroweb die Domain nerdcore.de. Dort erscheint nun eine Stellungnahme der Firma mit über tausend unschönen Kommentaren. (der idiotischeste davon: "Was sind denn das für Judenmethoden?") Walter bloggt mittlerweile unter anderem Namen, Euroweb will die sehr bekannte Domain nun versteigern und den Reinerlös an Wikipedia und den deutschen Berufsverband freier Journalisten spenden. Blöd nur, dass die das Geld auf keinen Fall annehmen werden. Schätzungen zufolge dürfte die Domain um die 70000 Euro wert sein.
nerdcore
Olaf Kolbrück meint, dass Marken einen solchen Shitstorm meistens unbeschadet überstehen.
Die ausgelutschte "David gegen Goliath"-Metapher hat schon lange nicht mehr so gut gepasst. Euroweb hat sich einem schlauen Geschäftsmodell verschrieben. Kleinen und mittelständischen Unternehmen wird ein Rundum-Service angeboten: Website-Erstellung, Design und Betreuung. Dass viele Kunden anscheinend nicht genau wissen, was sie da unterschreiben, zeigt dieses in den letzten Tagen verbreitetes Video.
Euroweb gegen Web 2.0
Euroweb gegen BloggerInnen, dieses Duell gibt es schon seit mehreren Jahren. Prominente Vertreter wie Johnny Häusler oder Linus Neumann sind bereits in Konflikt mit der anscheinend ständig googelnden Rechtsabteilung des Unternehmens geraten. Auch in Österreich hat die Firma bereits den einen oder anderen Kunden, naja, versorgt. Wie der Kärntner Blogger und Journalist Georg Holzer berichtet, sind hierzulande zwei Gerichtsverfahren anhängig. Holzer hat mit Martin Sablatnig von der Wirtschaftskammer Kärnten gesprochen, der die klassische Geschäftspraxis von Euroweb erklärt: "Nach unseren Informationen läuft es immer nach dem gleichen Schema ab. Der Unternehmer bekommt einen Anruf. Demnach wolle Euroweb als deutsche Webagentur in Österreich Fuß fassen und sei auf der Suche nach Referenzprojekten. Der überraschte Unternehmer habe darauf weiter erfahren, dass Euroweb ihm kostenlos eine Website baue. Bei einem Vertretertermin solle auch gleich der Vertrag unterzeichnet werden." Der auf zwei Jahre ausgerichtete Vertrag bringt Kosten von bis zu 7200 Euro. Ganz schön viel, für eine statische Website eines kleinen Unternehmens.
Shitstorm? Eher ein Shitlüftchen
Die Community gibt ordentlich Gas. Angefeuert vom gepfändeten Walter selbst, der auf seinem Twitter-Account seit Tagen gegen Euroweb schießt. "Euroweb ist danach nur noch Geschnetzeltes", verkündet er in einem Interview. Deren Geschäftsführer Christoph Preuß gibt an, mit den Reaktionen gerechnet zu haben und appelliert an Walter, "dem Unternehmen und seinen Mitarbeitern nicht weiter Schaden zuzufügen."
Der Erfolg hält sich aber in Grenzen. Im Google Pagerank führt bei der Suche nach "Euroweb" immer noch die offizielle Firmenseite, die kritischen Kommentare dürften im Laufe der Monate verschwinden. Und auch für den Kundenstamm besteht keine Gefahr. Denn Unternehmen, die Euroweb mit der Erstellung einer Website beauftragen, scheinen nicht unbedingt zu den am besten informierten Usern dieser Welt zu gehören.