Erstellt am: 23. 1. 2011 - 22:00 Uhr
So geht Revolution
Rudi Maier ist am Sonntag, 23. Jänner 2011 ab 21:00 Uhr zu Gast bei FM4 Im Sumpf
In den Darstellungen von gewalttätigen Protesten und direkten Konfrontationen mit der Polizei scheinen eine Reihe von Sehnsüchten und Versprechen zu liegen, denn warum sonst wären die Werbungen voll damit. Der Kulturwissenschaftler Rudi Maier untersucht seit einigen Jahren kommerzielle Anzeigen, die mit den Zeichen und Symbolen, den Parolen und Ikonen linker und alternativer Protestbewegungen operieren. Über 3000 Print-Exponate und 90 TV-Werbeclips hat er zu der Sammlung "so geht revolution - Werbung und Revolte" zusammengetragen. Im Interview erklärt er, was sich die Wirtschaft davon verspricht, und wie sich der Protest vor diesem Hintergrund verändert hat.
40weft
Michael Schmid: Den Begriff der Revolution kennt man als traditionell linken von Diskussionen rund um die Aufstände von 1968. Damals ging man von Gegenöffentlichkeiten aus, die sich vom so genannten Mainstream abgrenzten. Geht das noch? Oder anders: Ist die Gegenöffentlichkeit nicht der neue Mainstream? Oder warum sonst setzten mit Marktforschung abgesicherte Kampagnen auf die Revolution?
Rudi Maier: Die Gegenöffentlichkeit war für lange Zeit ein zentraler Punkt einer kritischen Linken, wo das Wissen bereitgestellt wurde, das die Herrschenden und Mächtigen gerne unter den Tisch fallen lassen. Diese Gegenöffentlichkeit ist zwar in ihrer Funktion nach innen sehr wichtig, aber in der Außendarstellung hat es sich deutlich verändert. Heute können alle potentiell alles wissen.
Warum jetzt der Topos der Revolution in die Werbung aufgenommen wird, kann man gut mit einem Blick zurück in die 1960er Jahre beantworten. Die Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Art mit den sich verfestigenden Jugendbewegungen, mit den politischen Bewegungen, die ihre Zeichen und Symbole in die Öffentlichkeit gebracht haben, nimmt dort ihren Anfang. Und die erste Anzeige aus der Sammlung "So geht Revolution" zeigt sicher nicht zufällig ein Portrait von Karl Marx. 1967 zeitgleich zu den Studentenprotesten in Berlin, Paris, New York, San Fransisco, wo auch immer die Menschen damals auf die Straße gingen. Und diese Anzeige ist ein Beleg dafür, dass die Werbung – und das macht sie immer – ihre Chance ergreift.
Das heißt in dem Moment, wo auf der Straße das Portrait von Marx, Ho Chi Minh und anderen Ikonen des Protests gezeigt wird, greift eine Rasierapparate-Hersteller-Firma eben auch auf dieses Bild zurück und zeigt Karl Marx einmal mit rauschendem Bart und einmal glattrasiert. Dick Hebdige, ein britischer Kulturwissenschaftler, hat diese Strategie auch als eine "Strategie des Lächerlichmachens" ausführlich beschrieben.<<
Europcar
Aber was bringt das dem Unternehmen? Denen dürfte es ja tendenziell egal sein, ob Karl Marx als Ikone weiterlebt oder ob er lächerlich gemacht wird?
Die Unternehmen ergreifen ihre Chance und docken an etwas an, das aktuell gesellschaftlich verhandelt wird. Das ist eine banale Erkenntnis. Und Motive von Protest, Revolte und Revolution sind in dieser begrenzten Ökonomie der Aufmerksamkeit, wie das oft genannt wird, ein Hingucker. Wir wissen zum Beispiel, dass von Demonstrationen, die friedlich sind, nicht berichtet wird. Von Demonstrationen, auf denen mal ein Mülleimer brennt, werden aber Fotos gemacht und diese Fotos kommen in die Medien.
Hinter der Idee der Revolution steckt der Wille nach Veränderung. Hergestellt werden sollte ein neuer utopischer Ort. Welche Utopie schwebt den Agenturchefs vor, die sich aktuell mit Momenten der Revolution beschäftigen?
Wenn beispielsweise die Firma Porsche eine ganzseitige Anzeige im Spiegel schaltet und darunter steht: "Im Studium waren Sie für freie Liebe, später waren Sie im Anti-Establishing, heute wollen Sie auch nicht alles dahergelaufene fahren" oder so ähnlich, dann ist klar, da wird an eine bestimmte Altersgruppe angedockt, die wir tatsächlich auch heute in den Anwaltskanzleien oder bei der Grünen Partei wieder finden. Leute also, die gut im Mainstream gelandet sind.
Mustang
Andererseits gibt es Anzeigen für eher junge Menschen, die speziell der Bereich Mode beschäftigt, mit einem ganz anderen Motiv: Da kommt vor allem das Stichwort Individualisierung zu Tragen. Und in diesen Anzeigen der Revolte, des Ausbrechens steckt immer auch das Motiv des "Mach dein eigenes Ding, unterscheide dich, sei anders" mit drinnen, wofür sich subkulturelle Motive oder revolutionäre Gesten sehr gut eignen. Genau dieses "Sei anders!" oder "Unterscheide dich!", diese hegemonialen Aufforderungen, die den Neoliberalismus als Zurichtungsmodell kennzeichnet, benötigt Bilder des Protests. Beispiele dafür sind etwa das Magazin "Business Punk", ein Wirtschaftsmagazin, in dem es um den großen Komplex des Regelbruchs geht. Regeln brechen und Revolution ist natürlich sehr nahe beieinander. <<
Aber wird nicht oft, speziell in der Werbung, gegen etwas rebelliert, das es eigentlich gar nicht mehr gibt: Ein verknöcherter, autoritärer Staat oder die Fabriksdisziplin eines Industriekapitalismus der 1970er Jahre?
Wenn man sich den gesellschaftlichen Wandel anschaut, dann muss man tatsächlich sagen, es gibt große Transformationen und Sollbruchstellen. Das Autoritäre ist definitiv weg. Es geht mehr denn je um deregulierte, flexibilisierte, mobilisierte Lebenswelten. Ich fasse das ganz gern mit dem Konzept von Yann Moulier-Boutang, einem französischen Ökonomen, mit dem Kognitiven Kapitalismus. Die zentrale Ressource ist nicht mehr die Arbeit, die im Fließbandverfahren erbracht wird, sondern jetzt ist es das Ideen-Schmieden, das Gedanken haben, das Erfinden und vor allem das rechtliche Absichern von all diesen Erfindungen, das den kognitiven Kapitalismus auszeichnet.
Diese Transformationslinie in die Wissensgesellschaft ist interessant. Das kann man, finde ich, sehr gut am Beispiel des Sportartikelherstellers Nike zeigen, der seit etwa zwanzig Jahren sagt: "In der Produktion der Dinge liegt überhaupt kein Mehrwert mehr. Mit dem Schuh und dem Kleidungsstück ist kein Geld mehr zu verdienen, aber mit Design und Ästhetik." <<
Big FM
Mich würde noch die Bildsprache der Werbung selbst interessieren. Welche Motive kursieren da häufig? Gibt es da Veränderungen oder spezielle Konjunkturen des Revolutionären?
Es gibt ein paar Klassiker in der Sammlung, und das ist jetzt nicht überraschend, wenn ich sage, dass Comandante Che Guevara in ungefähr drei- bis vierhundert dieser Anzeigen, die ich zusammengetragen habe auftaucht. Interessanterweise verändert sich die Darstellungsform so ein bisschen. Es wird also nicht mehr nur das berühmte Foto von Alberto Korda aus dem Jahr 1960 verwendet, sondern immer häufiger findet man auch Look-A-Like Che Guevaras, irgendein Model auf Che Guevara gestylt. Platz zwei belegt nach wie vor Karl Marx, der sicher Konjunkturen hat. Marx war häufiger in den 1960ern verwendet, dann logischerweise zu Beginn der 1990er Jahre, als die Zeichen und Symbole des Sozialismus entsorgt wurden, da entstehen sehr viele spöttische Anzeigen. Marx in Stein gehauen etwa als verknöchertes Monument gibt's da mehrfach.
Dann tauchen sehr oft rote Fahnen und erhobene, geballte Fäuste auf. Es finden sich immer wieder auch Bilder von brennenden Barrikaden, Auseinandersetzungen und direkten Konfrontationen mit Polizeieinheiten, Wasserwerfer, die eingesetzt werden, gezückte Schlagstöcke. Das AKW-Logo taucht auch hin und wieder auf, der Rote Stern, es sind auch kleine Codes wie unterschiedlich gefärbte Schuhbänder in den Springerstiefeln, die Batches, die Pins, die Aufnäher, alle diese Elemente sieht man in den Anzeigen. <<
Einerseits wurde und wird eine radikale, rebellische, linke Symbolik – und deine Sammlung beweist das sehr gut – vom radical chic komplett absorbiert, andererseits haben wir es, speziell in der Popmusik, immer noch mit Motiven zu tun, die sich ganz stark gegen das Starre, das Geplante, das Strukturierte auflehnen und mit dieser Auflehnung ein großes Freiheitsversprechen verbinden. Wie ist dieses Paradox zu erklären?
Da kann man jetzt zwei Antworten geben. Zuerst die kulturpessimistische, die ich falsch finde, nämlich, dass man glaubt, nur weil es die anderen tun, dürfte man es selber nicht mehr tun. Es wäre natürlich auch illusorisch zu glauben, dass sich der Markt, in einer Gesellschaft, die vollkommen durchökonomisiert ist, nicht dieser interessanten Zeichen und Strategien bedienen würde, um sein Zeug unter die Leute zu bringen. Ich sehe das durchaus sehr viel optimistischer. Wir wissen von allen Bildern, Zeichen, Wörtern, dass sie polysem sind, wie man in der Kulturwissenschaft sagt. Das heißt, sie sind mehrdeutig lesbar, und wenn drei das Gleiche sehen, müssen nicht drei das Gleiche gesehen haben. Mir fällt das bei den Ausstellungsbesucher_innen der Wanderausstellung auf. Manche jammern darüber, dass die Werbeindustrie "unsere Zeichen benutzt und beschmutzt". Die nächsten finden es witzig und lachen lauthals, weil sie verstehen, wie das Spiel funktioniert. Dritte wiederum wenden die Werbung gegen die Werbung. Da gibt's etwa das Beispiel der Ad-Busters, die ich nicht immer gelungen finde, aber natürlich sind Zeichen zur freien Verfügung, und die Leute geben den Zeichen neuen Sinn.
Cinemaxx
Wie soll sich der protestierende Mensch vor dem Hintergrund der inhaltlichen Aushöhlung seiner traditionellen Bilder und Symbole verhalten?
Puh, ich weiß gar nicht, ob ich Empfehlungen abgeben will, weil letztlich zeigt die Erfahrung, dass die Leute durchaus in der Lage sind, bestimmte Praktiken zu reflektieren. Es findet erst mal eine Ästhetisierung der Proteste insgesamt statt. Sie werden bunter, an manchen Stellen auch entschiedener. Ich selbst bin ein großer Freund der so genannten "Kommunkationsguerilla", die in erster Linie das Spiel mit Zeichen und Kommunikation auf ihrer Tagesordnung hat. Da wird die kulturelle Grammatik genau ausgeleuchtet und dann in einer entsprechenden Aktionsform angelegt. Das macht mir großen Spaß, und ich freue mich über jede gelungene Aktion. Die Kommunkationsguerilla ist auf der Höhe der Zeit, weil sie agieren kann und nicht immer nur reagieren muss.
Auf der anderen Seite ist es offensichtlich auch immer notwendig, dass man eine kritische Masse an Leuten auf die Straße oder an die Orte bekommt, um Protest zu formulieren. Was Negri und Hardt unter dem Begriff Multitude verstehen, also die Bewegung der Vielheit, verfolge ich sehr interessiert. Aktuell finde ich auch recht interessant die Debatten darüber, dass sich Protest als Projekt organisiert. Also meine Empfehlung ist: Sich an verschiedenen Stellen einfach mal auszuprobieren. <<
Die Ausstellung so geht revolution - Werbung und Revolte war gerade an der Universität Lüneburg zu sehen, von 5. -27.2 ist sie im Rahmen von ReCoCo: Life Under Representational Regimes im White Space in Zürich, in die Kunsthalle Exnergasse in Wien kommt sie am 12. Mai 2011.
Rudi Maier ist empirischer Kulturwissenschaftler, lebt und arbeitet (u.a.) in Ludwigsburg. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Alltags- und Populärkulturen, der Wandel der Arbeit und der Arbeitswelt sowie die Logoscapes der Marken- und Konsumwelten. In Form von Lecture Performances gibt er unter seinem Künstlernamen "MC Orgelmüller" musikalische Einblicke in das Innenleben von Unternehmen, die mittels Firmenhymnen und Firmensongs ihre Belegschaften motivieren wollen. Seit einigen Jahren organisiert er die Sammlung und Wanderausstellung "so geht revolution - Werbung und Revolte" mit kommerziellen Werbeanzeigen, die mit den Zeichen und Symbolen, den Parolen und Ikonen linker und alternativer Protestbewegungen operieren.