Erstellt am: 19. 1. 2011 - 15:55 Uhr
Heinz Strunk in Afrika
Pauschalurlaub, wie uncool ist das denn?
Rowohlt Verlag
"In Afrika – Sonne, Palmen, Black Jack, Bürgerkrieg" ist als Buch, als ebook und als vom Autor selbst gelesenes Hörbuch bei Rowohlt erschienen.
Es gilt nicht, besonders viel zu erleben, sondern gerade möglichst wenig, das allerdings in der immer gleichen zeitlichen Abfolge: 8 Uhr 15 Aufstehen, 8 Uhr 30 Frühstück, von neun bis elf Lesen/gute Gespräche/Dösen, Abkühlung, Kaffepause, Ruhe auf dem Zimmer, 19 Uhr Aperitif an der Poolbar, anschließend Abendbrot. Danach ist Feierabend, heißt: Teilnahme am Entertainmentprogramm (wahlweise Casino oder Disco). Handschweißtreibender Höhepunkt jeder Reise ist ein Tagesausflug in die nächstgelegene Stadt.
Am Erfolgsrezept des Heinz Strunk wird nicht gerüttelt. Wie schon in seiner angeblichen Autobiografie Fleisch ist mein Gemüse beschreibt Meganerd Heinz Strunk seinen eigenes trostloses Leben genauso lakonisch wie die Tristesse, die ihn umgibt. Verfall, Verfettung und Verdruss bestimmen auch den Urlaubsalltag. Die Freundschaft zu seinem Mitreisenden, einem gewissen C. aus Wien, ist charakterisiert durch äußerstes Ungleichgewicht in Kombination mit einer gewissen sprachlichen Gestelztheit - und ziemlicher Ruppigkeit. Anders ausgedrückt: C. kommandiert und schnauzt, das allerdings unter ständigem Mitleid heischenden Jammern über seinen eigenen erbärmlichen Zustand. Armselig, das ist allen Beteiligten klar und wird auch nicht beschönigt, eher in den schlammigsten Farben ausgemalt.
«Darf ich dich nach deinen heutigen Plänen befragen?»
Eine seiner gebräuchlichsten Formulierungen: «Darf ich dich befragen …» Nicht: «Was machen wir jetzt?» oder «Und nun?» oder «Hast du irgend’ne Idee?» C. fragt nicht, er befragt. Er lädt auch gerne ein, allerdings werden Einladungen grundsätzlich nur dann ausgesprochen, wenn sie ihn nichts kosten. «Darf ich dich einladen, mich an den Pool zu begleiten?/Darf ich dich einladen, mit mir gemeinsam das Mittagessen einzunehmen?» Und, Gipfel C.’scher Einladungskultur: «Darf ich dich einladen, einen Blick aufs Meer zu werfen?»
Immer nie am Meer
Philipp Rathmer
Das Meer ist natürlich warm und schmutzig, die Hotelanlage hässlich und trostlos, das Essen schlecht, die Miturlaubenden unförmig, ungehobelt und neurotisch. Doch Klischeehaftigkeit will nicht aufkommen, denn Heinz Strunk erhebt sich nicht über seine Umgebung, er beschreibt sie, nimmt sie zur Kenntnis, ärgert sich darüber, macht aber auch nicht viel Aufhebens drum. Saufengländer, seltsames Getier, desinteressiertes Hotelpersonal – Pauschalurlaub halt, wie soll es denn auch anders sein? Heinz Strunk hat längst aufgehört, irgend jemandem einen Vorwurf aus der Grausligkeit der Welt zu machen. Er ist ja mittendrin, und er wollte es so.
Genauso lakonisch wird auch das Positive hingenommen. Selten blitzt Schönheit auf, und dann nur, um ungestilltes Begehren zu evozieren oder um sich ein bisschen in der eigenen Grausligkeit zu suhlen.
«Sir?»
Ich schrecke aus meinem Dämmer. Vor mir, wie aus dem Nichts aufgetaucht, steht eine Kellnerin und strahlt mich an. Sie ist hübsch, sehr hübsch sogar, wunderhübsch. Kein Mensch, eine Erscheinung.
«Jambo»
«Jambo»
«Do you like something to drink?»
Potz Blitz, Poolbedienung, das sind ja ganz neue Sitten. Mir wird warm ums Herz, ich bestelle einen Cappuccino und eine Sprite, was sonst. Sie deutet eine leichte Verbeugung an und entschwebt Richtung Strandbar. Vielleicht hat es sie berührt, wie ich hier so einsam und alleine sitze. Wie langsam zerfallender Bierschaum. Mit unelastischem Geist. Versteinertem Gesicht. Die ganze Melancholie des westlichen Daseins ausdünstend.
Langeweile und Bürgerkrieg
Obwohl nach der Ankunft eigentlich gar nichts mehr passiert, geschieht doch ständig etwas. Das fortschreitende Filmtreatment, das die Beiden zusammen verfassen, gibt dem Leser Halt, der brachiale Humor von C. trägt das Buch ebenso wie die schonungslose aber hochkomische Selbstzerfleischung Strunks. Und natürlich das auf dem Klappentext gemachte Versprechen: Bürgerkrieg. Irgendwann muss also wirklich was passieren.
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Das tut es auch, gegen Ende des Buches. Die Fahrten nach Mombasa und schließlich die Unruhen rund um die Präsidentschaftswahlen, in die die beiden geraten, lesen sich tatsächlich fast wie ein Reise- oder Abenteuerroman. Und plötzlich merkt man, dass Heinz Strunk in all seiner brachialen Lakonie nicht nur ein feiner Humorist und liebevoller Chronist, sondern auch ein ziemlich fesselnder Erzähler ist. Wie sonst auch hätte man auch 200 Seiten literarischen Pauschalurlaub ausgehalten, ohne an der beschriebenen Langeweile zugrunde zu gehen? Bis dann endlich der Bürgerkrieg losgeht…