Erstellt am: 18. 1. 2011 - 18:55 Uhr
Ricky Leaks
Schwupp da war er weg. Nach seinem furiosen, mittlerweile berühmt-berüchtigten Opening Monologue war von Ricky Gervais nicht mehr viel zu sehen bei den Golden Globes am Sonntag. Auch meinereiner mutmaßte noch während der Show, dass der außer Rand und Band geratene Comedian von der Regie des ausstrahlenden Networks NBC kaltgestellt wurde. Gervais tauchte nur noch in kurzen Segmenten als Ansager der Preisverleiher und Statuenjongleure auf. Die sonst üblichen Zwischen-Sketches oder Schwerpunktmoderationen fehlten beinahe zur Gänze. Viele Einstiege erfolgten nach den Werbepausen mitten im Satz. Da waren die Schnittmeister entweder so berauscht wie das Publikum im Saal und vor der Glotze, oder man hat dem plötzlich arg unbequem gewordenen bewusst die Schere angesetzt. Das alles hielt Gervais freilich nicht davon ab, weiterhin eine schmerzende Mischung aus derben Witzen, bösen Gerüchten und schlichten Fakten auf die geladene Hollywood Prominenz zu spucken ("I warned them"). Humor unter der Gürtellinie? Ricky Gervais hat die Hosen runtergelassen und zwar bis tief in den Keller.
EPA / MIKE NELSON
Ricky Gate
Professionelle Beobachter mutmaßten gar, dass der Co-Erfinder der BBC-Serienhits "The Office" und "Extras" noch während der Show gefeuert wurde. Golden Globes Boss Philip Berk, der auch sein Fett abbekommen hatte, beschwerte sich anschließend: "He crossed the line". Auch wenn Berk den Instantrauswurf umgehend dementierte gilt eine neuerliche Verpflichtung von Gervais als unwahrscheinlich. Welcome to Ricky-Gate!
Am Folgetag begann im Netz und in Kolumnen überregionaler Medien ein jammervolles bis ratloses Geblöcke. "Too much?" gaben etwa die Kommentatoren der sonst so meinungstarken Digimags Gawker oder Huffingtonpost die Beurteilungsverantwortung mit der zaghaften Anregung "eher ja" an ihre User weiter und ernteten dort prompt Spott und Hohn für diese Weicheierei im Dienste der Industrie.
Auch im privat geführten Meinungsaustausch ging es hoch her: ein befreundeter Cineast beschwerte sich via Facebook über mangelnden Stil und Subtilität im Witz von Gervais und verwies auf den Comedy-Kollegen Jon Stewart, der dagegen einfach mehr Klasse und Intellekt hätte. Doch gerade der sonst so brillante Jon Stewart scheiterte vor einigen Jahren als Host der Oscars am gnadenlosen Gleichmacher-Format der Award Ceremony, vielmehr aber noch an seinem auf Morality and Ethics basierenden Humor, der für einen politischen Comedian und Medienkritiker Fundament sein mag, in Hollywood aber bloß einen äußerst relativen Wert besitzt.
Ricky Gervais hingegen hat sich für die Rolle des Hofnarren entschieden. Er kam zu sagen, wofür andere einen Kopf kürzer gemacht werden. Ein riskantes Unterfangen für jemanden, dessen eigene Hollywood-Karriere bisher bloß zwei eher mittelmäßige Komödien aufweist.
Dem neuerdings deutlich schlankeren Mann mit dem Haifischgrinsen dürfte allerdings sein angestammtes Terrain wichtiger sein als etwaiige Karriereambitionen in Hollyood. Bereits mit dem Eröffnungssatz entfernte er sich aus dem Reich der harmlosen Witzchen und somit aus jenem Käfig, in dem sich ein Awards-Host mit Comedy-Background normalerweise aufzuhalten hat.
Der Monolog geriet dann aber weniger zu einer fiesen Abrechnung mit bestimmtem Stars, wie das am Folgetag von Szenebeobachtern moniert wurde. Wer so viele Namen auf einmal durchdekliniert, will höher hinaus und hat einen größeren Zusammenhang im Sinn.
Ricky‘s Shtick
Gervais machte in seiner Tirade sichtbar, was ohnehin für alle zu sehen ist, was aber aus Gründen der Geschäftsordnung gerne in die Seiten der niederen Berichterstattung abgeschoben wird, also in einen medialen Off-Bereich, wo sich niemand ernsthaft mit den dahinterliegenden Mechanismen beschäftigen muss. So wurde ein Tom Cruise nicht etwa "geoutet" - das dieser Witz einen Bart hat, weiß jemand wie Gervais ganz genau - sondern ein zutiefst korruptes System unmissverständlich als solches benannt: Eines des Lobbyismus und der Backroom Deals, Bestechungen und gekauften Geschichten, das Cruise-Gerüchte, Lohan Skandale und die von den jeweiligen Publizisten gut getimeten Paparazzi-Jagden längst als erweiterte Geschäftsgrundlage erkannt hat und dementsprechend befördert.
Lach und sachvoll war Rickys Schandmaultat auch weniger aus Wutbürgergründen, es "denen da oben" mal so richtig reinzusagen, sondern weil die US-amerikanische Medienmoral scharfe Ansagen wie die von Gervais üblicherweise in den Spätabend des Kabelfernsehens verbannt (was aufgrund der Segmentierung der TV-Konsumgewohnheiten ohnehin immer schlechter gelingt, siehe diese Forums-Diskussion).
Ricky Gervais hat also ein kleines Wiki-Lackerl gemacht, das auch tatsächlich stinkt. Dass er bei den Golden Globes nicht aus Gründen einer höheren Moral aufs Promipublikum gepischt hat (Gervais ist ja selbst Teil dieses Systems ), ist dem Britischen Comedy Star nicht einmal hoch anzurechnen. Wer sein bisheriges Werk kennt, weiß warum. Für den Rest gilt: Verstecken war gestern. Auch in Hollywood. Vielleicht sollte man das als Gewinn betrachten anstatt sich über derbe Witze aufzuregen, die man sich unter der Hand ohnehin selbst erzählt.