Erstellt am: 18. 1. 2011 - 16:26 Uhr
Journal 2011. Eintrag 15.
Das Jahr 2011 bietet wieder ein Journal, ein fast tägliches, wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009.
300 Einträge werden zusammenkommen, vielleicht auch mehr. Dazu komplettieren 60 oder 70 Einträge ins Fußball-Journal '11 die diesjährige Blumenau-Show im Netz.
Meist wird es hier Geschichten/Analysen geben, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo gefunden habe; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit der Frage, ob das, was im deutschsprachigen Raum als "investigativer Journalismus" verstanden wird, auch internationalen Standards entspricht, oder nicht ein Missverständnis ist, dem dann Neben-Regierungen entspringen. Das aus Anlass der zuletzt wegen Wikileaks wieder belebten, nicht endenwollenden Debatte darüber was Journalismus in Zeiten des Umbruchs leisten muss; und wegen zweier deutscher Einwürfe.
Der schwergewichtige Unterschied, der die deutsche Medienlandschaft (vor allem den Printbereich) so deutlich über die österreichischen Pendants erhebt, wird gern (auch von mir) an der erfolgreicheren Entnazifizierung des Verlagswesens und des umfangreicheren Ethik-Exports amerikanischer Werte nach 1945 festgemacht. Denn so sehr man die USA auf allen mögliche Gebieten kritiseren kann: ihre Medien sind und waren die Taktgeber was Moral, Berufs-Verständnis und Handwerk betrifft.
Das macht die Unterschiede zwischen den alten transatlantischen Verbündeten, Amerikanern und Deutschen, aber nicht geringer. Im aktuellen Konkret-Heft zitiert Ralf Schröder aus einem SZ-Interview mit Dana Priest, Enthüllungs-Journalistin der Washington Post. Die sagt da: "Bevor wir brisante Informationen veröffentlichen, verständigen wir uns mit der Regierung oder diskutieren mit dem Chef der CIA."
Nachdem sich der Interviewer (Werner Bloch) aus der Schockstarre erholt hat, entkommt ihm folgendes Assoziations-Konstrukt: "Eine Verständigung mit Regierung und Geheimdienst, welche Details der eigenen Recherche veröffentlicht werden dürfen und welche nicht, wäre aus deutscher Sicht hochproblematisch. Da herrscht in den USA wirklich eine andere Kultur. Sie haben sicherlich viele Feinde. Fühlen Sie sich manchmal bedroht?"
Die Verfassung der Zunft: ideologisch vertragslos
Abgesehen davon, dass das keine Frage, sondern bereits "eine ideologische Formatierung" ist, der die Akzeptanz der eigenen Sichtweise quasi weltweit vorraussetzt, schreibt Ralf Schröder (Konkret), dass dieses Statement "exemplarisch für die Verfassung der gesamten Zunft steht." Und das auch noch "handwerklich unverschämt".
Tatsache ist, dass US-Medien mit Investigativ-Tradition die Stellen und Autoritäten über die sie recherchieren immer davon informieren, was sie haben - wie es auch in All the Presidents Men exemplarisch vorgeführt wird, auch in der Filmversion mit Redford/Hoffman. In den USA gilt das als Verpflichtung innerhalb einer Kontrollfunktion, die staatliche Stellen und politische Akteure auch akzeptieren (die einen mehr, die anderen weniger) - bestätigt auch Investigativ-Starjournalist Seymour Hersh auf den ich später noch zurückkommen möchte.
Im deutschsprachigen Raum existiert dieser Vertrag zwischen der ersten, zweiten, dritten und vierten Gewalt nicht; dazu fehlen ein paar hundert Jahre Übung in demokratischer und kapitalistischer Kultur.
Dem Selbstverständnis der deutschen Medien entspricht es, dass sie, die Redakteure, die Verantwortung für die Instituionen gleich mitbedenken, mitübernehmen.
Ex Cathedra, durch eigene Ermächtigung, auf vagen Redaktions-Statuten und unklarer Gesetzeslage fußend.
Selbsternannte Bedenkenträger
Besser kann man die Schere im Kopf nicht herbeiführen. Und anmaßender lässt sich Kontrolle nicht definieren. Wenn sich Medienmacher und Verleger als selbsternannte Bedenkenträger über das politische System stellen anstatt es zu kontrollieren, hebeln sie es aus.
Während das US-System der relativen, direkten Demokratie durch die klaren Regeln im Medienbereich stabilisiert wird, ist die selbsternannte Verantwortungs-Übernahme der Medien im deutschsprachigen Bereich mitschuld an der Destabilisierung der indirekten Demokratie des Parlamentarismus.
Und hier kommt wieder der Maßstab zum Tragen: während sich das in Deutschland immer noch irgendwie ausgeht, weil das politische Netzwerk Verleger geschickter einbindet und viel Medienmacht eher regional organisiert ist, führen im raubritterisch aufgestellten Österreich einzelne Medien bereits die Regierungs-Geschäfte, erklären sich via Lesermacht zur Exekutive.
Diese Entwicklung ist, das behaupte ich hier ohnehin nicht zum ersten Mal, unumkehrbar; So etwas wie eine mehrheitsfähige und politisch fürsorglich agierende vierte Macht nach amerikanischem Vorbild wird sich nicht mehr herstellen lassen.
"Etwas zusammenzusetzen, das niemand anderes kennt."
Es wäre auch schwer genug.
Der vorher zitierte Seymour Hersh, der Mann der sowohl My Lai in den 60ern als auch Abu Graib aufgedeckt hat, erzählte kürzlich in einem langen taz-Interview, wie seine Arbeit, aktuell die beim New Yorker, aussieht. Da ist von Fakten-Checkern die Rede, die alle seine Interview-Partner nochmal aufsuchen und abchecken, von notwendigen großen Budgets und endloser Kleinarbeit, aber auch den aktuellen Arbeits-Bedingungen mit Einsparungen und Online-Problematik.
Einen wunderbaren OT aus diesem Gespräch möchte ich allen ans Herz legen. Auf die Frage, was junge Journalistinnen und Journalisten, die investigativ arbeiten wollen, lernen sollten, sagt der auch von Florian Klenk gern zitierte Hersh:
"Sie sollten wissen, dass Sie am Anfang beginnen müssen, und nicht gleich als investigativer Journalist starten. Sie müssen lernen zu schreiben, vorsichtig und gründlich zu sein. Wenn Sie Talent haben, wird Ihnen bald dieser schöne Moment begegnen, eine Geschichte zusammenzusetzen, die kein anderer kennt. Das ist das Wichtige: Etwas zusammenzusetzen, das niemand anderes kennt. So finden Sie zu Spaß und Ruhm. Aber Sie müssen klein anfangen, Porträts von Leuten und Features schreiben, die klassische Zeitungsarbeit machen und dabei lernen, Ihre Talente einzusetzen. Seien Sie akkurat, dann werden Sie sehen: Manche Kollegen verbringen ihr ganzes Leben als Stenografen oder Sekretäre. Sie hören den Präsidenten, schreiben auf, was er sagt, und sind glücklich damit. Andere sagen, ich will mehr. Ich glaube, die klugen Journalisten wollen mehr als nur Statements aufschreiben."