Erstellt am: 17. 1. 2011 - 17:55 Uhr
Journal 2011. Eintrag 14.
Das Jahr 2011 bietet wieder ein Journal, ein fast tägliches, wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009.
300 Einträge werden zusammenkommen, vielleicht auch mehr. Dazu komplettieren 60 oder 70 Einträge ins Fußball-Journal '11 die diesjährige Blumenau-Show im Netz.
Meist wird es hier Geschichten/Analysen geben, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo gefunden habe; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit einer Bestandsaufnahme der Medien-Reaktionen auf einen bewusst inszenierten Pseudo-Skandal, der die Unfähigkeit des Mainstreams zeigt, sich der Dynamik der Empörungs-Bewirtschaft zu entziehen, indem man sich als nützlicher Idiot am Nasenring durch die Manege der öffentlichen Meinung ziehen lässt; eine Unfähigkeit, die bereits institutionalisiert ist.
Der Anlassfall ist nichtig.
Eines der vielen lächerlichen Casting/Schein-Reality-Formate hat eine inszenierte Szene, die jeder wirklich verantwortungsvoll agierende mediale Player schlicht und ergreifend weggelassen hätte, zum Anlass genommen einen saudummen rassistischen Spruch einer Kandidatin (vielfach, in Trailerform) auszustrahlen, sich gleichzeitig darüber zu erregen, die junge Frau abzuservieren und sich als Aufklärer mit sauberen Händen zu präsentieren.
Die Strategie ist durchschaubar.
Wie nur was. Man benutzt einen per allgegenwärtiger Kamera/Mikro-Kombination leicht einzufangenden Ausrutscher (den man womöglich sogar provoziert hat: die Kandidatin wurde - wie das in Casting/Reality-Shows üblich ist - mit einer Rolle versorgt, sie bekam vorab das Signet "goschert & stark" umgehängt, wurde also auf direkte Ansagen und geile Wuchtln hingetrimmt). Man nützt das nicht zu einer internen Aussprache, die dem jungen Menschen klarmacht, dass sowas nicht geht - weder öffentlich, noch in einem privaten Umfeld, sondern veröffentlicht den "Skandal" vielfach im eigenen Medium und weist dezidiert darauf hin, um soviel Aufmerksamkeit wie nur denkbar zu erzielen.
Die Erregung ist beträchtlich.
Auch weil sie jede nur erdenkliche ideologische Stoßrichtung anfüttert: die Rassisten und Xenophoben können ihre "das-wird-man-doch-noch-sagen-dürfen!"-Gesichter aufsetzen; die politisch Überkorrekten finden Stoff für wütende Elogen; die breite verschwitzt-griendende Masse des dünkelhaften Desinteresses dazwischen hat ein Kasperl-und-Krokodil-Theater ersten Ranges.
Der Sachverhalt ist simpel.
Das ist geschicktes Marketing: ein Nichts zu etwas aufblasen, was einen gut dastehen lässt. Es ist aber auch eine ganz leicht aufzublattelnde Vorgangsweise. Das, was man eigenhändig erfindet und inszeniert, verlässt keinesfalls den Verantwortungsbereich des Mediums. Die doppelköpfige und -züngige Doppelstrategie sich über das selber Verursachte zu erregen kann, jedes Kind durchschauen. Das ist nämlich so, wie wenn es selber unbedacht in ein Winkerl im Wohnzimmer geschissen hätte, dann zur Mama läuft und sich über die Tatsache, das das Ergebnis so arg stinkt, erregt - vielleicht noch mit dem Hinweis, dass der mütterliche Ernährungsplan unausgewogen wäre. Arschlöcher nennen so etwas clever. Ich nenne so etwas arschlochmäßig.
Die Aufklärung ist einfach.
Nein: die mediale Aufklärung über diesen dümmlichen Protofall wäre einfach. Der Hinweis auf das Konstruierte des "Falls", auf die platte Inszeniertheit des "Skandals" kostet aller Wahrscheinlichkeit nach nur ein paar Nachdenk- und danach ein paar Formulierungs-Minuten.
Nur: all das findet (so gut wie) nicht statt.
Alle Mainstream-Medien, denen sowas eine Meldung wert ist, melden. Wertfrei. Also im Sinne des Erfinders. Denn jemand anderer als der Verursacher verfügt nicht über Informationen. Also wird die Presseaussendung abgemalt, maximal noch mit ein bissl Schenkelklopfer-Hausmeisterhumor gesalzen. Die xenophoben unter heimischen Medien tun sich bei der richtigen Bezeichnung der Beschimpften schwer und andere, scheinbar aufgeklärte, amüsieren sich über den "ausländischen" Vornamen der Täterin. Berichtet wird über die Reaktionen von Kolleginnen und Fans, die weitere Vorgangsweise und den Skandal an sich.
Das ist es aber schon.
Die Skandalisierungs-Mechanismen ansprechen, die perfide Inszenierung greifbar machen - das kommt nur in einem Ausnahmefall von Bedeutung vor.
Und auch da wird ausgesourct - auf den Kolumnisten, in diesem Fall auf den Starkolumnisten Hans Rauscher, der sowas darf - überdeutlich auf dem Tisch Liegendes auch analysieren und erklären. Derlei gilt für die Berichterstattung dann als Feigenblatt.
Aber: was ist das für eine Berichterstattung?
Eine, die die zentrale Beschaffenheit außer Acht lässt und sich benimmt, als wäre man von der Nachrichten-Quelle als 'embedded journalist' mitgenommen worden? Verdient die diesen Namen, diesen Begriff überhaupt noch? Und: was sagt diese Haltung über die restliche Berichterstattung aus? Wird das überall so gehandhabt: kritik- und hirnloses Abmalen der übermittelten Botschaften, Fakten und Vernebelungs-Ansagen, ohne auch nur im Ansatz die Hintergründe und offen ausliegenden Strategien mitzubesprechen? Wo bleibt in diesem Fall die großartige Kompetenz für Relevanz oder Gewichtung, die zuletzt - im Fall Wikileaks - als riesige Sturmflagge im Abwehrkampf um die ethische Bedeutung des "alten" Journalismus gedient hat?
Weil kobuk.at und diverse Sympatisanten ein bissl wehleidig auf Kritik an ihrem Projekt reagieren:
1) mir ist ein Media-Watchblog wie das ihre sehr wichtig. Deshalb auch meine Beachtung samt Anmerkungen.
2) Die namensgebende Qualtinger-Aktion war ein sarkastisches Sezieren von brav hinterher-trottendem Copy-Paste-Journalismus Marke 50er-Jahre; insofern wäre diese aktuelle Geschichte geradezu kobuk-maßgeschneidert.
Davon bleibt nichts über.
Ich habe neben Raus Einser-Ohrwaschl nur eine Veröffentlichung gefunden, die die Causa in klarer Sprache auf den Punkt bringt - und die kommt aus dem rechtsnationalen Eck. Die einschlägige Community lässt aus - bei kobuk erregt man sich etwa über ein auch sehr vertrotteltes Interview mit einer Jurorin auf der Casting-Show-Website anstatt der selbstgestellten Aufgabe als Medienwatchblog nachzukommen und die Mechanismen hinter diesen Inszenierungen aufzuzeigen.
Im Gegensatz zu diesem hobbyistischen Ansatz im Blogismus ist es die Pflicht von Mainstream-Media sachlich und analytisch zu berichten, anstatt sich von der eigenen Geilheit auf Empörung und Erregung in mittlerweile praktisch jedem Einzelfall derart blenden und als schierer Erfüllungsgehilfe wirkungsmächtiger Lobbies am Gängelband geführt zu werden.
Insofern agiert Mainstream-Media in diesem Fall so wie sie es den Blogs gerne vorwerfen: einseitig und paternalistisch.
Es gibt eine Ausrede.
In diesem Fall sind einige Medien handlungsbeeinträchtigt, weil sie - aufgrund von Verlags-Beteiligungen und diversen Absprachen dem angesprochenen TV-Sender nicht an den Karren fahren dürfen.
Das ist aber nicht wirklich von Belang.
Denn auch die, die das unternehmen dürften, tun nichts. Sie haben die Unfähigkeit, sich ihres selber entwickelten Empörungs-Journalismus zu entziehen, bereits institutionalisiert; und diesen Wahnsinn per destruktiv vorgelebter Passivität und Wurschtigkeit auch bereits an die jüngere Generation weitergegeben.
Weshalb uns wohl weiterhin auch aus den sogenannten Qualitätsmedien verbale Trickbetrügereien entgegenprasseln werden - wiewohl sie vom sogenannten Qualitätsjournalismus in Minutenschnelle als solche erkannt, behandelt und entlarvt werden könnten.
Ein Nachtrag:
Dass die nationalen Kräfte diese Debatte genau verfolgen, hat nicht nur mit der Tradition des grausigen Juden/Neger/Minderheiten-Witzes zu tun, den die tümelnden Volksgenossen im privaten Kreis gerne pflegen (und den sie öffentlich selbstverständlich als verabscheuungswürdig anklagen). Natürlich lockt hier eine politische Chance der populistischen Ausschlachtung.
Wird nämlich die vom Verursacher (und den ihm blind folgenden Medien) zur Täterin Auserkorene im Rahmen einer Skandal-Campaign öffentlich ordentlich abgewatscht, stehen die Chancen dass sie schnell als Role-'Model' der Rechtspopulisten auftaucht, gar nicht so schlecht. Eine sehr herzeigbare, nicht aufs Maul gefallene junge Frau, die man als Opfer einer "Man wird doch noch eine XXX-XX eine XXX-XX nennen dürfen!"-Unerhörtheit aufblasen kann - tolles Futter für den nächsten "man-wird-doch-noch!"-Tabubruch. Und das alles wieder unter Mithilfe der Medien, die auch dann nicht auf die Inszenierung eines Geschehens, in das sie mittlerweile als Akteure (als Helfer der tatsächlichen Täter, die sich als Opfer stilisieren) verstrickt sind, hinweisen werden.