Erstellt am: 17. 1. 2011 - 21:10 Uhr
Das Protestviertelfinale
Vergangenes Wochenende war es wieder so weit. Die vier Vorvorjurymitglieder des Protestsongcontests Gerald Stocker, Mario Rossori, Roman Freigaßner und ich haben uns zwei Tage lang durch gut 200 CDs gehört. Und um das auch einmal klarzustellen: Wir hören uns jedes Lied an. Wenn auch nicht alle bis zum Ende. Oft ist halt schnell klar, dass da gar kein Protest dahinter steckt, das Dagegen zu schwach ausgeprägt ist oder, ganz selten, das Lied einfach schlecht ist.
An dieser Stelle möchte ich mich bei Peter für seine fünf Einsendungen bedanken und ihm nahelegen, uns doch bitte nie wieder zu beglücken. Zwei seiner Lieder haben sich auf beschämend dumme Weise gegen Ausländer gerichtet, alle fünf waren unhörbar. Und leider hat sich nach genauer Recherche auf seiner worst-practice-Homepage, die ich aus Rücksicht auf Peter hier lieber nicht verlinke, herausgestellt, dass Peter wohl kein Mann der Ironie ist. Aber vielleicht hat sich ja doch jemand verdammt viel Mühe damit gemacht, eine Biographie zu fälschen, jede Menge schmalzfette Lieder aufzunehmen, tausende großteils schlüpfrige Witze zu sammeln und das ganze mit Fotos, die aus Hundstage stammen könnten, und definitiv zu vielen animierten Gifs zu garnieren. Darauf begründet sich meine ganze Hoffnung.
Michael Fiedler Radio FM4
Aber sonst war das Einkehrwochenende wieder einmal spitze: Rossori hat den DJ gemacht und dabei technischen Problemen getrotzt, mit denen wir gerechnet haben, auf die wir aber trotzdem nicht vorbereitet waren. Stocker hat seine Rolle als Schriftführer mit statistischen Daten über Mehrfachteilnehmer und Bandvernetzungen garniert. Freigaßner war für spitze Bemerkungen zuständig, die er mit wilden Gesten mit seinem neuen Küchenmesser untermalt hat, weil er nebenher noch haubengekocht hat. Vielleicht kommt also bald einmal das Protestkochbuch, in dem die rote Linsensuppe, das Sarfanrisotto und der Seeteufel surprise samt Playlist zum Nachkochen und -hören versammelt sind. Ich durfte unverständliche Textstellen vorlesen, den gesetzten Herren Facebook erklären und Thymian rebeln.
Michael Fiedler Radio Fm4
Um die 200 Lieder zu einer 12,5%-Essenz zu destillieren, bedarf es einer Menge Fingerspitzengefühl. Gegen Ende, wenn es darum geht, ob besser ein zweites Anti-Facebook-Lied oder eine grenzwertig gefühlsduselige Einsendung, der sehr allgemein konsumkritische Song oder die leicht nervige, aber höchst originelle Föderalismuskritik weiter kommt, wird es haarig. Roman Freigassner fängt an zu taktieren und glaubt mich auf seiner Seite, Gerald Stocker findet das weniger lustig und konzentriert sich auf den musikalischen Apell, der ihm am wichtigsten ist, und Mario Rossori lehnt mit halbgeschlossenen Augen in seinem Sessel und genießt die Macht des letzten Wortes. Und heuer hätte es wirklich fast Streit gegeben.
Hier sind sie also, die 25 Protestsongs, die am 28.01. im Haus der Begegnung Rudolfsheim zum Vorfinale gegeneinander antreten, geordnet nach dem Einlangen:
Die Drogen - Leckt mich!
Rock´n´Roll gegen die Stadt. Überaus berechtigt.
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Chris Crossemaker - Geh hobt´s mi gern
Der Kreuzerlmacher tritt mit Austropop gegen Machtmenschen an: Ihr hobt´s verschissen.
Betty´s Apartment - Die Ballade vom Zündler
Hier wird aus der Sicht eines der eh austauschbaren Demagogen gegen ebenjene protestiert. Irre und wahr.
Lenà & Band - Eure Pflicht
Ob dem Lied eine wahre Begebenheit zugrundeliegt? Dem Pathosvorwurf steht jedenfalls ein hehres Anliegen gegenüber.
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Rotzpipn & das Simmeringer Faustwatschenorchester - Die Moritat von der schwarzen Maria
Die legitimen Nachfolger von Alkbottle und ausgewiesenen Protestexperten sind mit der Perversion eines Marienliedes auf dem Weg in die Charts.
Die Fakten:
Unter den Top 25 befinden sich 18 Männer- und sieben Frauenstimmen, 23 Formationen singen Deutsch, eine Englisch, eine Französisch.
hirschl - Gegenwärter
Fünf SchülerInnen stellen sich mit einem subtilen, ja weisen Text gegen das Abstumpfen, das gemein als Erwachsenwerden euphemisiert wird. Lieblingszeile: Wer auf der Weide steht, sollte nicht mit Schafen werfen.
My Name Is Music - We are terrorists
Unschuldsvermutung? Gibt´s nicht mehr. Apropos: Mario Rossori hat sich hier der Stimme enhalten.
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Feinmotorik - Wegen euch
Eine Drohung gegen die Verursacher der Finanzkrise nach dem Motto: Eure Krise zahlen wir nicht. Machen wir aber doch. Außer...
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Blonder Engel - Nespresso (What else?)
Der Blonde Engel verbindet Kritik an überteuertem Gschloder mit Lachkrämpfen. Göttlich.
keine Angst! - Laand däär Bäärgää
Schnelle und kompromisslose Kritik an Österreich und was hier so abgeht. Wird auch langsam Zeit, dass das Lebensziel Frühpension hinterfragt wird.
Drei Einsendungen kommen aus Deutschland, vom Rest elf aus Wien, fünf aus Oberösterreich, vier aus Salzburg und je eine aus der Steiermark und aus Niederösterreich. Leider wird kein einziges Lied in den schönen Dialekten der deutschen Sprache, Tirolerisch, Vorarlbergerisch und Schwytzerdütsch gesungen.
Andi & Alex - Schmeckt ma ned feat. Wenzel Washington
Ein Lied über schlechtes Essen. Und hinter den Küchenmetaphern steht ein Aufruf zur Bildung einer eigener Meinung. Koits eich des, schmeckt ma ned, ekelhoft, weg damit.
Philbilly MC - Hey Papst
Und wieder HipHop, diesmal gegen die katholische Kirche. Eine wuchtige Generalabrechnung mit dem Verein - aber nicht gegen den Glauben.
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Er ist tot, Jim - Gartenbau
Die hatten wir auch schon das eine oder andere Mal. Diesmal mit einer klugen Generationenkritik. Lieblingszeile: Wir sind Cyborgs - halb Mensch, halb CV.
Trio Panoptikum - Das Wiegenlied des Verlorenseins
Im Gewand eines harmlosen Liedchens und der fröhlichen Stimme meiner Kindergartentante kommt scharfe Medienkritik daher. Ein Wiegenlied für Alpträumer.
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Gugaroots - wissn_mocht
Gegen den unstillbaren Appetit des Machthungrigen. Ganz nebenbei ein schöner Name.
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Zwei Bands bzw. KünstlerInnen waren in der selben Zusammensetzung schon einmal im Finale, vier weitere bei einer Vorausscheidung. Mit 200 Liedern von 195 InterpretInnen haben etwa so viele Künstlerinnen wie vergangenes Jahr teilgenommen.
VerAndA - Article 3 - Droit à la vie#
Der einzige französische Beitrag. Auf deutsch käme es auch irgendwie nicht so rüber. Mehr als existenzberechtigt.
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Dame - Ich protestierer hiermit gegen meine Jugend
Offenbar gar nicht so alte Bekannte, die dagegen sind, dass die alten Säcke und Säckinnen die Welt so zugerichtet haben.
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Jonopono Ponojono - Konsum
Immer schön: Sich und anderen klar machen, dass kaufen nicht so befriedigend ist, wie uns die Werbeblöcke eintrichtern.
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Gebrüder Marx - Hättma, kenntma (mochma oba net)
Da kommen zwei Tontüftler und bringen die österreichische Volksseele, die Leitkultur, wenn wir schon eine haben, mit ein, zwei Sätzen auf den Punkt. In einem Wienerlied. Und sie heißen wirklich so!
Reinhard Panzenböck - Skandal
Austropop meets Kirchenkritik. Wir spielen Bigotterieaufmischen. Können 87.393 AustreterInnen irren?
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Erst einmal hat eine Frau den Protestsongcontest gewonnen - das war Mieze Medusa 2007 - daher ein Aufruf für die kommenden Jahre: Es gibt zwar keine Quote, aber der Mangel an von Frauen gesungenen Protestliedern ist so frappant, dass wir weiblichen Stimmen erhöhte Aufmerksamkeit schenken.
Happy Hoagascht - Der Facebook Song
Das einzige Anti-Facebook-Lied, dass es ins Halbfinale geschafft hat. Gegen das Netzwerk, vor allem aber gegen das Ausbreiten des höchstintimen Lebensbereiches ebendort.
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FS2 - geht mi nix o!
Wider dem Wegschauen. Der allgemeinere Konkurrent zu Lenàs Beitrag. Und nein, der Name hat keinen Fernsehkonnex.
WIR - WIR HABEN ANGST
Wir haben irgendwie ziemlich große Angst vor ganz schön Vielem. Unnötig, sagst du? Blödsinn.
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Ljiljana Petkovic - Elektronische Einsamkeit
Die Dame mit der dunklen Stimme ist wieder mit von der Partie. Man könnte es fortschrittsfeindlich nennen. Oder technologiekritisch.
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Maria Stern - Frauen
Letztes Jahr hat Maria Stern mit einem lustigen Lied über die leicht weltfremde Gattin des schönsten unschuldsvermuteten Ex-Finanzministers der Welt gesungen. Heuer vertauscht sie zwei Worte und führt so die Welt ad absurdum und uns den Wahnsinn vor Augen.
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Potentielle KritkerInnen der Vorauswahl möchte ich an dieser Stelle bitten, sich zunächst die möglichen Österreichischen Beiträge zum Eurovisionsongcontests anzuhören.
Michael Fiedler Radio FM4
Es wäre eine verdammte Verschwendung, all die wirklich hervorragenden Lieder, die wir bekommen haben, die es aber nicht ins Halbfinale geschafft haben, einfach in der Schublade verschwinden zu lassen. Deshalb folgt in Kürze ein Best-of leider nein. Online und im Soundpark. Die Runde zwei des Protestsongcontests 2011 findet am 28. Jänner ab halb acht bei freiem Eintritt im Haus der Begegnung Rudolfsheim statt. Und das Finale ist wie immer am 12. Februar im Rabenhof Theater, live auf Radio FM4 und fm4.orf.at. Meine persönlichen Top 10 stehen jedenfalls schon fest.