Erstellt am: 16. 1. 2011 - 11:10 Uhr
Die Shyamalan-Chroniken
Kaum ein anderer Film hat dem Kinopublikum in den 90er-Jahren mehr Angst eingejagt als „The Sixth Sense“. Die Geschichte eines Psychiaters, der einem verhaltensauffälligen Jungen helfen will, und dann, ganz am Ende erst, herausfindet, dass er eigentlich selbst schon alles verloren hat. Ein vollkommen unironisches Stück Horror, erschienen im millenniumsschwangeren Jahr 1999, zu einer Zeit, in der jeder glaubt, das Schockgeschäft sei unwiederbringlich von der Postmoderne gefressen worden, das Lachen und das Schreien, das gäbe es nur mehr als Paketleistung. Ein neuer Held war jedenfalls geboren, und er trug den Namen M. Night Shyamalan.
Constantin Film
Als Sohn einer wohlhabenden indischen Medizinerfamilie scheint Shyamalans Weg schon früh vorgezeichnet. Die Arztkarriere erweist sich allerdings schnell als unwahrscheinlich: 1970 als Manoj Nelliyattu Shyamalan in Indien zur Welt gekommen, aufgewachsen in einem noblen Vorort von Philadelphia, filmt er schon als Kind und Jugendlicher mit seiner Super-8-Kamera. Wie Steven Spielberg will er werden, im Alter von 17 Jahren hat er bereits 45 Home Movies abgedreht. Auf „The Sixth Sense“ lässt er den verstiegenen Superheldenfilm Unbreakable und den Außerirdischenschocker Signs folgen. Beide Produktionen werden zu kritischen und kommerziellen Erfolgen. Shyamalan spielt mittlerweile in der ersten Hollywoodriege mit, inszeniert sich selbst als Enigma, etwa in einer Sondersendung für den amerikanischen SciFi-Channel.
The Village of the Damned
The Buried Secret of M. Night Shyamalan: das ist der Titel der Dokumentation, die sich erst später als Fake herausstellt. Darin geht eine Crew auf Spurensuche in Shyamalans Vergangenheit, behauptet schließlich, dass alle seine Filme autobiografisch sind. Der Regisseur befindet sich in diesem Moment am Zenith seines Erfolgs, seine Karriere scheint unaufhaltsam. Die Aufnahmen zur Mockumentary entstehen auch am Set von seinem damals aktuellen Film The Village. Erschienen 2004, ist es diese Produktion, die erste Risse in der Kunstfigur Shyamalan erkennen lässt. Zu vorhersehbar setzt er sein Markenzeichen, den Plot Twist im letzten Akt, ein, zu dünn und uninspiriert sei der zivilisatorische Kommentar, heißt es. „The Village“ wird der erste Misserfolg des Regisseurs, viele weitere werden folgen.
Buena Vista International
Betrogen fühlen sich jetzt viele Filmfans von M. Night Shyamalan. Denn ab der Mitte der 2000er-Jahre setzt der Regisseur zunehmend auf Stoffe, die Liebhaber seines Frühwerks nicht goutieren. Dem Fantasy-Märchen The Lady in the Water geht ein langer Rechtsstreit mit Disney voraus, das Ergebnis ist ein kommerzielles und künstlerisches Desaster. Wie ein in die Ecke gedrängtes Tier verteidigt Shyamalan seine Arbeit in der Öffentlichkeit, wirft mit Schuldzuschreibungen um sich. Bald schon gilt er als Egomane, seine verstiegenen Aussagen zur Qualität seiner Filme sind Futter für Kommentatoren. Im Internet häufen sich Parodien auf den ehemals so unantastbar wirkenden Regisseur. M. Night Shyamalan wird vom Horrormeister zur Witzfigur.
Verteufelt
Shymalans letzter Film als Regisseur zeigt bereits an, dass er seiner Karriere eine neue Richtung geben will: The Last Airbender aus dem Jahr 2010 ist ein mit Effekten gespicktes Fantasy-Märchen, das keinerlei Autorenhandschrift mehr erkennen lässt. Jene Stoffe und Geschichten, für die er vor mehr als zehn Jahren bekannt geworden ist, die lässt er nun von anderen inszenieren: The Night Chronicles, so nennt Shyamalan durchaus stolz seine jüngste Kreation; eine Trilogie von übernatürlichen Thrillern, die er zwar produziert, aber nicht inszeniert. „Devil“, der erste Film der Reihe, erzählt von einer Gruppe von Menschen, die in einem Fahrstuhl stecken bleiben. Als wäre das nicht schon Horror genug, scheint sich auch noch der leibhaftige Teufel in einem von ihnen eingenistet zu haben.
Devil ist in den USA durchaus erfolgreich gelaufen, auch die Kritiken waren besser als bei den letzten Shyamalan-Filmen. Es scheint, als habe der kontroverse Regisseur die richtige Strategie gewählt, um sein angeschlagenes Image aufzubessern: er selbst zieht sich aus dem Rampenlicht zurück, fungiert im Hintergrund als Gönner und Förderer von jungen Talenten. Dieses Jahr beginnen die Dreharbeiten für den zweiten Teil der „Night Chronicles“: in Reincarnate wird eine Gerichtsjury von übernatürlichen Phänomenen heimgesucht. Vielleicht verbirgt sich dahinter ja auch eine Rachephantasie von Shyamalan: den Kritikern, die ihn zum Tode verurteilt haben, denen jagt er jetzt seine Geister nach.