Erstellt am: 15. 1. 2011 - 08:42 Uhr
"Was, dahin gehst du?"
Am Donnerstag Abend hatte das Lindenburg Musical "Hinterm Horizont" am Postdamer Platz Premiere. Dabei hat man es sogar geschafft, die üblichen Peinlichkeiten und Schwülstigkeiten des Genres zu umgehen. Denn das Musical an sich ist ja eine sehr schwierige Kunst- und Unterhaltungsform, konzipiert für Menschen, die sich weder für Musik, noch für Theater und Tanz interessieren, aber trotzdem auch mal gerne in großen Häusern in Plüschsitzen abhängen.
Theater am Potsdamer Platz
Zweitverwertungsmusicals wie "Mamma Mia" von Abba, "We will rock you" von Queen oder Udo Jürgens' "Ich war noch niemals in New York" sind dabei leichter zu ertragen, weil nachgespielte Popsongs klanglich noch angenehmer als die üblichen Musicalkompositionen aus schmachtenden Duetten und schwülstigen Balladen sind.
So ging man mit einer zwar grundsätzlich positiven Einstellung zu Udo Lindenberg, aber auch sehr niedrigen Erwartungen an diesen Abend zum Musicaltheater. Auch das Umfeld zeigte wenig Verständnis. "Was, dahin gehst du?", hieß es. Lindenberg ist für viele ein Unicum, ein Fossil, jemand, für den der Ausdruck "abgehalfterter Rockstar" erfunden wurde. Durch seine Zusammenarbeit mit Jan Delay beim letzten Album 2008 konnte er zwar einiges an Credibility bei den Jüngeren zulegen, aber wer kennt heute noch seine großartigen beiden ersten Alben? Wer weiß noch, dass er als erster Songwriter in Deutschland überhaupt eine Sprache jenseits vom Schlagerkitsch geschaffen hat? Und ist er auch manchmal peinlich mit seinem Schlapphut, Rockerfrack und der Admiralshose, seiner nuschligen angestrengt -lockeren Siebziger-Jahre-Kunstsprache - so säuft er doch wenigstens, vertritt als einziger deutscher Promi keine Familienwerte und wohnt stattdessen lieber im Hotel. Er unterstützt Projekte gegen rechte Gewalt und ist der einzige deutsche Star, der ein wenig Glam und Durchgeknalltheit ausstrahlt - ein deutscher Ozzy Osbourne mit linkem Bewusstsein.
Trotz all dieser Verdienste hätte sein Musical gründlich daneben gehen können. Die Geschichte von "Hinterm Horizont" ist denkbar einfach um etwa 30 Lindenberg Songs herum gestrickt: Im Jahr 1983 trifft Jessy das "Mädchen aus Ostberlin" auf Westrocker Udo Lindenberg im Palast der Republik. Es folgen Romanze, Trennung, Stasiverfolgung, Wiedersehen bei Maueröffnung, das Ganze rückblickend erzählt.
Ein riesiger Lindenberg-Hut nimmt die Bühne ein, auf die Mauer links und rechts werden Dokumentaraufnahmen von Mauerbau, Teilung und Wiedervereinigung projiziert. Das Bühnenbild zeigt die Fassade des Ostberliner Palasts der Republik, ein typisches Ostwohnzimmer, die Lobby des Hotel Atlantic in Hamburg.
Theater am Potsdamer Platz
Das Buch hat der Schriftsteller Thomas Brussig geschrieben, und dank ihm bringen statt der musical-typischen Nullsätze und schlimmen Phrasen zwischen den Songs treffsichere Dialoge und sehr gute Nebenfiguren Witz und Tempo in die Handlung. Die Zeichnung des skurillen DDR-Alltags erinnert dabei stark an "Sonnenallee".
Lindenberg-Darsteller Serkan Kaya hatte eine schwere Aufgabe. Der Schauspieler und Sänger trägt zwar Hut und Sonnenbrille, ähnelt Lindenberg aber leider weniger. Seine Stimme ist viel zu kräftig und rutscht leicht ins Rockröhrige. Wo Lindenbergs Songs in ihrer Zartheit durch den gebrochenen, dünnen Gesang eine Tiefe erhalten, werden sie im Musical leider zur angestrengten Gefühlsballade.
Aber als zum Schluss dann sogar der echte Udo auf die Bühne kommt, sich bei allen bedankt und noch zwei Lieder singt, ist man - gegen alle Erwartungen - doch recht begeistert von dem Abend.