Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Die Reue des Maulwurfs"

Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

13. 1. 2011 - 19:11

Die Reue des Maulwurfs

Der Fall eines Undercover-Agenten, der die Ökoszene unterwandert hat, wirft ein schiefes Licht auf die Rolle britischer Polizisten im einträglichen Geschäft mit Angst und Sicherheit.

Diesen Montag ist in London ein Prozess gegen sechs mutmaßlich militante UmweltschutzaktivistInnen geplatzt.
Die Vorgeschichte begann am Ostermontag 2009 mit der Festnahme von 114 AktivistInnen in der bisher größten Razzia gegen die Öko-Bewegung.

Damaligen Berichten zufolge verfügte die Polizei über klare Hinweise auf eine geplante Besetzung des Kohlekraftwerks Ratcliffe-on-Soar in Nottinghamshire.

In 26 Fällen kam es zur Anklage. 20 AktivistInnen bekannten sich zu ihrer Rolle im Komplott und wurden Mitte Dezember verurteilt.

Die Strafen fielen milde aus, nachdem der Richter ihnen zugestand, in ihrem idealistischen Engagement gegen die menschlichen Ursachen des Klimawandels aus den „höchstmöglichen Motiven“ gehandelt zu haben.

Bevor sich nun die restlichen sechs, die ihre Beteiligung an den Besetzungsplänen bestritten, vor Gericht verantworten konnten, zog die Staatsanwaltschaft ihre Anklage zurück.

Dummerweise hatte sich nämlich herausgestellt, dass ein Undercover-Agent der Polizei selbst führend in die Planung der Aktion verwickelt war.

„Ich hasse mich selbst so sehr, weil ich so viele Leute betrogen habe.“

Der 41-jährige Polizist Mark Kennedy hatte sich unter dem Decknamen Mark Stone sieben Jahre lang in Umweltschutz-, antifaschistischen, antikapitalistischen und Animal Rights-Gruppen engagiert und integriert.

Er kettete sich an Kraftwerkszäune, fuhr AktivistInnengruppen in der Gegend herum, half bei der Organisation von Demos und reiste unter anderem nach Deutschland, Irland, Spanien und Island, um internationale Verbindungen zu den dortigen Öko-AktivistInnen zu knüpfen.

Mark "Stone" Kennedy

indymedia

Mark "Stone" Kennedy

Auch als Liebhaber machte der langhaarige, tätowierte Agent die Runde, und das nicht unbedingt im Einsatz als männliche Honey-Trap, sondern weil ihm die Subjekte seiner Spionage offenbar persönlich ans Herz gewachsen waren.

Vor dem diesen Montag anstehenden Prozess soll er sich bereit erklärt haben, für die AktivistInnen auszusagen. In einem aufgezeichneten Telefongespräch mit einem seiner (jetzt ehemaligen) Freunde sagte er: „Ich hasse mich selbst so sehr, weil ich so viele Leute betrogen habe.“ Er schulde es ihnen, seine Taten wieder gut zu machen.

Aber die Darstellung von Mark Kennedy als weich gewordener Überläufer ist noch lange nicht das Ende der Geschichte.

In der Zwischenzeit hat der Spitzel die Identität einer anderen eingeschleusten Agentin „A“ preisgegeben, die in Leeds ein autonomes Zentrum namens The Common Place unterwandert hatte.

Kennedy und Kollegin „A“ waren und sind offenbar bei weitem nicht die einzigen BeamtInnen, die zur Infiltration solcher alles andere als geheimen, gemäßigt gegenkulturellen Institutionen abgestellt wurden.

Laut Kennedy selbst hat sein Einsatz pro Jahr 250,000 Pfund, insgesamt also 1,75 Millionen gekostet. Die Beantwortung der Frage, warum die Polizei sich zur Beschattung einer im Grunde genommen ziemlich harmlosen Szene so einen Kostenaufwand leistet, ist das wirklich Spannende an der Geschichte.

ORF-Gesetz, altes Haus, findest du nicht, dass dieser Beitrag hier schon richtiggehend sendungsbegleitend daherkommt, wenn ich, sagen wir, im nächsten Heartbeat "Julie's Been Working For The Drugs Squad" spiele?
Vielleicht fällt mir bis Montag sogar noch was Passenderes ein.

Kennedy arbeitete nämlich im Auftrag einer Orwellianisch benannten Einheit namens National Public Order Intelligence Unit (NPOIU), die wiederum Teil der National Domestic Extremism Unit (NDEU) ist, welche ihrerseits im Auftrag des Association of Chief Police Officers' Terrorism and Allied Matters Committee, abgekürzt ACPO(TAM), handelt, siehe Simon Jenkins' aufschlussreiche Kolumne im vorgestrigen Guardian.

Dieses Komitee ist erstaunlicherweise eine private Organisation, die davon lebt, Informationen an die Regierung und an private Kunden weiterzuverkaufen. Vermutlich kam diese dubiose Konstruktion ihren Schöpfern in den späten Neunzigern rasend modern vor, tatsächlich ist sie hervorragend geeignet für Korruption und Manipulation aller Arten.

Ein Polizeischnüffler in Kennedys Position kann sich als Scheinaktivist an der Erschaffung von Bedrohungsszenarien beteiligen, über die ACPO(TAM) dann seine zahlenden Kunden informiert, die daraufhin von der Polizei Schutz erhalten.

Falls Kennedy, wie seine Ex-Freunde behaupten, bei der geplanten Kraftwerksbesetzung tatsächlich fädenziehend mit dabei war, wären auf gewisse Weise also sowohl die Öko-AktivistInnen als auch die Betreiberfirma des betroffenen Kraftwerks E.ON, als auch die lokale Polizei die Angeschmierten gewesen (der Einsatz kostete die Nottinghamshire Police 300,000 Pfund).

Was wiederum den essentiellen Fehler aller Verschwörungstheorien, sowie der Orwellschen Big Brother-Utopie illustriert, die das System gegen das Individuum stellt. Die materiellen Interessen von Individuen in Machtpositionen eines Systems stechen seinen Selbstzweck nämlich immer aus.

Als dazu passende Pointe hat der Guardian heute Informationen offengelegt, wonach Kennedy letztes Jahr noch als aktiver Polizeispion seine eigene, inzwischen wieder aufgelöste Firma gründete, die sich ihre Geschäftsadresse mit der der ehemaligen Direktorin einer privaten Sicherheitsfirma namens Global Open teilte. Deren Website brüstet sich mit folgendem Statement:

„Global Open kann eine vollständige Security-Bestandsaufnahme der Werke und Büros einer Organisation aus der Perspektive eines Aktivisten vornehmen.“

Wer liefert da wohl das Know-How? Gegründet wurde die Firma jedenfalls von einem Ex-Offizier der für nationale Sicherheit zuständigen Special Branch der Polizei, die – wie wir spätestens seit dieser Woche wissen – die Perspektiven der (ihrerseits über das zu beschützende Objekt bestens informierten) AktivistInnen aus intimster Nähe kennt.

So funktioniert das gute Geschäft mit der sogenannten Sicherheit. Das hat auch die Mafia immer schon verstanden.