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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

13. 1. 2011 - 13:05

Liebe in den Zeiten der Krise

Regisseur Tom Tykwer im Interview über Beziehungsdesaster, das Chaos des Alltags und die Verschmelzung von Hochkultur und Pop. Und was das alles mit seinem neuen Film "Drei" zu tun hat.

So ändern sich die Zeiten. Bei der Viennale anno 2000 hat Tom Tykwer noch die Romantik beschworen. "Ich habe einen Liebesfilm gedreht", sagte der Regisseur damals über sein herausragendes Drama "Der Krieger und die Kaiserin", "besser noch, einen Sehnsuchtsfilm und keinen Beziehungsstreifen. Denn meist ist der Weg, bis zwei Menschen sich finden, viel spannender als das, was danach kommt."

Tom Tykwer

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Auch Lola ist für die Liebe gerannt und in dem elegischen Thriller "Heaven" dominierten ebenfalls große Gefühle.

Jetzt scheint Tom Tykwer aber in der Wirklichkeit angekommen, bei Leidenschaften, die irgendwann einmal einfrieren. In seinem neuen Film feiern die Hauptfiguren ihr zwanzigjähriges Beziehungsjubiläum. Der Alltag erstarrt in Routine, der Sex ist längst Geschichte.

"Drei" heißt dieser Streifen allerdings, und nicht Zwei. Denn unabhängig voneinander bringt ein Genforscher (Devid Striesow) die Emotionen von Hannah (Sophie Rois) und Simon (Sebastian Schipper) durcheinander. Und als ob das nicht schon genug Gefühlschaos wäre, werden die Mittvierziger auch noch mit Tod und Krankheit konfrontiert. "Drei", sagt Tykwer im Gespräch, sei eine Art Experiment, ein Versuch vom verwirrenden Leben im Hier und Jetzt zu erzählen.

Drei

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"Drei" startet am 14. Jänner 2011 in den österreichischen Kinos

Es ist auch die erste deutsche Produktion des gebürtigen Wuppertalers seit zehn Jahren. Nach Großproduktionen wie "Das Parfüm" oder Hollywoodabstechern wie "The International" hatte Tom Tykwer wieder Lust auf einen kleineren Film.

Wobei, so wirklich klein ist "Drei" auch nicht geworden. Es scheint, als ob der Regisseur Themen wie Liebe, Sex, Tod, Gender, Arbeit, Stammzellenforschung, Sterbehilfe, Krieg und Kunst in eine Art Chronik des beginnenden 21. Jahrhunderts verpacken wollte. Und das mittels Split Screen und visuellen Brüchen aller Art.

Die Überladenheit mit herumschwirrenden Problemfeldern lässt den Film oft ächzen und stöhnen. Wenn etliche Berlin-Mitte-Klischees in manchen Szenen aufeinanderprallen, wirkt "Drei" wie eine Bildungsbürger-Sitcom aus der Bobohölle. Aber Tykwer hat gleichzeitig sein Gespür für dringliche Emotionen wiedergewonnen. In den besten Momenten erzählt er vom schmerzhaften Abstürzen auf eine berührende und gleichzeitig leichtfüßige Weise, wie man sie aus aktuellen US-Serien kennt.

Dort, wo sich die Popkultur mit der ernsten Ambition trifft, ist Tom Tykwer weiterhin zuhause. Und immerhin bietet er uns am Ende auch noch eine Utopie des Zusammenlebens für die nächsten 100 Jahre an. So ein Happyend wie in "Drei" muss sich Hollywood erst einmal trauen.

Drei

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Wo steckt Ihr persönlicher Bezug zu diesem Film, war vielleicht gar eine private Lebenskrise der Anlass?

Nein, überhaupt nicht. Ich habe über die Jahre Eindrücke und Impressionen gesammelt über so genannte Langzeitbeziehungen. Der Film hätte eigentlich "Zwei" heißen müssen, weil es darum geht, wie zwei Personen es lange miteinander aushalten, ihre Krisen und Probleme bewältigen. Und der Erotikverlust und der ganze Irrsinn, wenn zwei Personen länger zusammen sind. Ich hatte eine Patchwork-Kollektion von unterschiedlichen Momenten, das war aber noch kein Film, sondern nur eine Kette von assoziativen Ereignissen. Der Film kam einfach dadurch zustande, dass eine dritte Person in diese Beziehung trat, was ja jetzt nicht die neueste Idee ist. Was es aber meines Wissens noch nicht im Kino gab, ist, dass sich beide Personen unabhängig voneinander in denselben Mann verlieben.

"Drei" scheint eine Abkehr von ihren früheren unbedingten Liebesgeschichten. Ist Tom Tykwer jetzt in der Realität angekommen?

Ich finde, die Figuren in meinem neuen Film lieben ja auch ganz schön konsequent und bedingungslos. Aber natürlich sind sie auch den Widersprüchen des Lebens ausgesetzt. Und darauf baut ja auch der überwiegend komödiantische Plot, es ist ja ein Film, der trotz aller Komplikationen von einer großen Leichtigkeit durchdrungen ist. Und die entwickelt sich auch nur, wenn man den Figuren lustvolle Stolpersteine in den Weg legt.

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Neben diesen persönlichen Momenten streift der Film auch ungeheuer viele andere Themen, hatten sie nie Angst vor Überladenheit?

Wir wollten das Leben so einfangen, wie es für uns derzeit ist. Diese Gleichzeitigkeit unserer medialen Wahrnehmungsmöglichkeiten, aber auch der Erlebniswelten, zwischen denen wir wechseln, die wollten wir einfangen. Es ging uns um dieses Prinzip des Lebens, das erstmal ein chaotisches ist. Eine Dramaturgie ergibt sich immer erst im Rückblick. Außer dass wir irgendwann geboren werden und sterben, gibt es keine sinnvolle Reihenfolge, dazwischen liegt im Grunde nur Durcheinander. Ich wollte zeigen, wie wir alle verzweifelt versuchen, uns eine Ordnung zu schaffen.

Die unterschiedlichen formalen Ansätze des Films sollen vielleicht auch dieses Chaos widerspiegeln, oder?

Es ist dieses Chaos des Alltags, an das wir uns ja gewöhnt haben. Die kleinen und großen Dramen geben sich andauernd die Klinke in die Hand. Dieses Pärchen steht auf, trinkt Kaffee und wundert sich über die abbröckelnde Farbe an der Wand. Dann folgt ein Anruf, dass die Mutter schwer krank ist. Man fragt sich dann im Leben ja immer, warum denn jetzt so ein Anruf. Man benimmt sich ja so, als gäbe es für alles im Leben die richtigen Zeitpunkte. Aber für wirklich schwerwiegende Ereignisse gibt es ja gar keinen richtigen Zeitpunkt. Der Film versucht, sich nicht filmdramaturgischen Abläufen zu beugen, sondern da kommen immer so Querschläger, die den Film dazu zwingen, Haken zu schlagen. Das Leben zwingt uns solche Umwege immer wieder selber auf.

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Für manche Kritiker wirkte es prätentiös, das so viele soziale Anliegen in den Film gepresst sind...

Es gibt doch diese Momente, die wir dauernd erleben, wo wir abends unsere Nudeln kochen, und im Hintergrund läuft der Fernseher mit dem ganzen Wahnsinn auf der Welt, als wär einfach ein bloßes Beschallungselement in unserem Alltag. Und wir müssen das auch einordnen neben die Bolognese-Nudeln. Die Gleichzeitigkeit der unterschiedlichsten Wahrnehmungen in unserem Leben ist eine solche Normalität geworden, dass das Ausmaß von Bedeutung generell schwindet. Die Sorgen, die auf diesem Planeten herumschwirren, erreichen uns natürlich nicht mehr auf einer tieferen Ebene, aber sie erreichen uns täglich durch diese unvorstellbare Menge an Input, die wir ständig haben.

Ein Weg, mit dem Chaos umzugehen, sind Ideologien und Schubladen. Jetzt könnte man auch den Film in eine solche reintun und ihn als "Gender-Kino" klassifizieren. Aber der Film versperrt sich solchen Einordnungen, hab ich das Gefühl.

Die Figuren des Films leiden ja unter solchen Kategorisierungen. Alle Erwachsenen, also so alle zwischen Mitte zwanzig und achtzig, leiden immer wieder unter Krisen, weil wir uns zu festgelegt fühlen. Unser Umfeld stellt bestimmte Erwartungen an uns, weil wir irgendwann mal gesagt haben: So bin ich, das ist mein soziales Umfeld, das ist mein Beruf, das ist meine Heimat, und dabei soll es dann auch bleiben. Dieses Gefühl, so definiert zu sein, ist einerseits natürlich sicherheitsspendend, und andererseits ist es extrem beunruhigend. Von der immer wieder aufkeimenden Befreiungsenergie aus solchen Situationen handelt dieser Film. Und der Film selbst ist hoffentlich auch einigermaßen befreit von den Konventionen, die uns das Kino immer wieder aufzudrängen versucht.

Drei

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Zu der vorhin angesprochenen Leichtigkeit: Gab's da auch einen Einfluss aktuellerer amerikanischer TV-Serien, die ja tragische Themen auch hohem Niveau abhandeln?

Ich bin ein großer Fan von Alan Ball und dessen Serie "Six Feet Under". Wie energisch und sozusagen postaufgeklärt die an die schwersten Themen rangehen, die uns in der Gegenwart so zu schaffen machen, da ist eine Erzählkultur entstanden, die ihresgleichen sucht. "Mad Men" ist da auch ein gutes, aktuelles Beispiel, diese Geschichten schrecken vor unangenehmen Inhalten oder anstrengenden Gegenwartsbezügen überhaupt nicht zurück und finden trotzdem ein breites Publikum.

In Ihrem Film kommen auch sehr viele Hochkulturbezüge vor, und gleichzeitig ist er selber in dieser leichtfüßigen popkulturellen Form verankert, wie denken Sie über diesen Widerspruch?

Tom Tykwer

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Das ist doch kein Widerspruch mehr. Nehmen wir nur René Pollesch, der einen Kurzauftritt im Film hat. Dessen Theaterstücke dauern oft nur 60 Minuten, also gerade so lang wie eine einzelne Serienfolge, und handeln in einem aberwitzigen Tempo Tausende verrückte Ideen ab. Und vor allen Dingen scheint er unterhaltsam und lustvoll zu sein zu wollen. Er ist das perfekte Beispiel dafür, was Hochkultur inzwischen auch kann: nämlich sehr anspruchsvoll sein und trotzdem irre Spaß machen. Für mich war übrigens ernsthafte Kulturproduktion und Unterhaltung immer schon in einer gewissen Nähe zueinander, ich bin so aufgewachsen. Die großen beglückenden Erlebnisse meines Lebens kommen eigentlich immer von solchen Schnittstellen.

Drei

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