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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

11. 1. 2011 - 16:57

Journal 2011. Eintrag 9.

Comix retten die Welt, Teil 1. Heute: Batmans neuer Assi ist ein Muslim.

Das Jahr 2011 bietet wieder ein Journal, ein fast tägliches, wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009.
Da werden schon an die 300 Einträge zusammenkommen, vielleicht auch mehr. Dazu komplettieren die wohl wieder 65, 70 Einträge ins Fußball-Journal '11 die diesjährige Blumenau-Show im Netz.

Meist wird es hier Geschichten/Analysen geben, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo gefunden habe; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute über die in den deutschsprachigen Medien scheinbar noch unbekannte Tatsache, dass Batman in zwei aktuellen Abenteuern in Paris einen neuen Mitstreiter rekrutiert hat: den Night Runner alias Bilal Asselah, einen algerischstämmigen Parkourläufer aus Clichy-sous-Bois, einen Muslim. Ein bewusst gesetzter Affront also, der auch entsprechende Wirkung entfacht hat.

Barack Obama, den die reaktionären Sudler der Tea Party/Limbaugh-Talkradio/Fox-Fraktion ja gern als Muslim bezeichnen, weil er teilweise in fremdartigem Ausland (indonesien) aufgewachsen ist und Hussein heißt und überhaupt, hat sich anlässlich der Veröffentlichung von the99 deutlich und freudig für diese erste Reihe von muslimischen Comic-Superhelden eingesetzt. Werke wie diese, sagt der first black president, würden die Lehren und die Toleranz des Islam herausstreichen - wichtig in Zeiten einer kollektiven Verteufleung auf Basis eines Clash of Civilasations. 99-Schöpfer Al-Mutawa, ein Kuweiti, begründet seinen stark an DC/Marvel-Stil angelegten Hefte mit dem schönen Satz: "I decided the Arab world needed better role models."

Obama ist ja auch sonst für propagandistisch ganz leicht umzudrehende Unterstützungs-Erklärungen gut. Und es ist ihm, auch im Wissen, dass alles verdreht wird, egal wie geschickt er es anstellt, auch wurscht.
Als Obama etwa den Character des Omar Little, eines schwulen Stickup Man, also eines Gangsters, der Drogen-Dealer beraubt und sich zu einer fast schon mythologischen Figur mit strengem Moral-Kodex entwickelte als seine Lieblings-Figur des TV-Epos The Wire erklärte, hagelte es bösartigste Kritik.

Die 99-Episode ging nur deshalb medial vergleichsweise unter, weil sie von der Midterm-Election und dem Tea Party-Getöse übertönt wurde - sie zeigt aber wie undenkbar die Einbindung von fremden Kulturen und Religionen in uramerikanischen Ikonen, wie eben den klassischen Superhelden-Comix für den Mainstream ist - da bündelt sich ganz automatisch eine Koalition aus politisch Ultrarechten, religiösen Fundamentalisten und Comic-Puristen, die derlei nicht nur als unamerikanisch, sondern als unmöglich abqualifiziert.

Von den 99 zu Bilal Asselah

Waren die 99 (die eine erstaunliche Bandbreite an Nationalitäten, Biografien und natürlich auch Superkräften besitzen) noch in ihrem eigenen Universum, so hat der britische Comic-Artist Davi Hine jetzt die letzte Barriere durchbrochen.

Hine ist Autor für einige Batman-Reihen, die Brucy Wayne und auch seinen Master Dick im Rahmen der neuen Batman Inc. in alle Welt führt um dort lokale Statthalter aufzubauen; eine Art Franchise-System also.

der night runner

dc

Für Paris hatte der Brite Hine (der Paris wie sein Gotham kennt) ursprünglich eine Art Musketier-Figur im Kopf, änderte das aber, wie er hier in einem Interview von Anfang Oktober erzählt, in einen moderneren Ansatz: "Night Runner is a Parkour athlete. Parkour or Free Running originated in the deprived urban environment in France, so it’s an appropriate background."

Weil es gestern nur eine Randnotiz war: Frankreich und Algerine fechten gerade wieder einmal ihre historischen Probleme durch, diesmal auf Kino-Ebene.

Außerdem erhebt sich gerade Tunesiens Jugend - letztlich aus denselben Gründen und mit denselben Problemen, die es auch hierzulande gibt - allerdings unter weitaus verschärften Bedingungen.

Hier ist noch keine Rede davon, wie Hine den neuen Helfer und künftigen Pariser Statthalter von Batman, seinen Night Runner in den dann im Dezember erschienenen Heften (dem Detective Comics Annual #12 und dem Batman Annual #28, das die Fortsetzung dieser Story enthielt) exakt verortete: Als Kid aus den Banlieus, als (natürlich vaterloses)
Kind algerischer Einwanderer, als sunnitischen Muslim, als Gläubigen.

Batman holt sich einen Parkourläufer für seine Franchise

Und Hine legt seine Beweggründe bestechend logisch dar: The urban unrest and problems of the ethnic minorities under Sarkozy’s government dominate the news from France and it became inevitable that the hero should come from a French Algerian background. The Parkour element was maybe a little obvious, but it fitted very well with the concept of a hero from the streets. Clichy-Sous-Bois is the flashpoint for rioting in Paris, so again was the obvious location for Bilal.

Bilal Asselah liebt seine Mutter, hat den Tod seines besten Kumpel im Kampf um die brennenden Banlieus miterlebt und wird von einer muslimischen Friedenskämpferin und Sängerin namens Leni inspiriert.

das vorleben des nightrunner

dc

Als Night Runner kämpft er gegen die dunklen Kräfte, die durch Morde die einander gegenüberstehenden Parteien (weißes Establishment, migrantische Vorstadt-Proletariat) aufhetzen und wird von Batman (nach ein paar zu überwindenden Missverständnissen) als Freund und Aliierter akzeptiert und final sogar bewundert. So weit, so politisch diffus und comicsuperheldenhaft naiv.

Aber die darüberhinausgehende Botschaft ist deutlich: Hine etabliert mit der lesbischen "The Question" noch eine weitere Nebenfigur, die den herkömnmlichen Superhelden-Klischees einen Arschtritt gibt.

Ein sunnitischer Muslim kickt Arsch

Die Erregung in den entsprechenden Blogs der amerikanischen Rechten kam wie das Amen im Gebet - über die Weihnachtsfeiertage entlud sich die Empörung in diversen kaum verklausulierten White Supremacy-Ansagen.
Ob den Europäern denn ein echter Franzose nicht gut genug war, ob ein Muslim jemals für Gerechtigkeit kämpfen würde können, ob es denn sein könne, dass die Alleinschuldigen an quasi Allem, die von Geburt und Heritage her Bösen hier als Retter auftreten dürfen etc - eines der noch halbswegs zivil formulierten Pamphlete hier.

batman und nightrunner

dc

Hines wohl explizit für Amerika, wo das Geburtsrecht ein tief verankertes ist, gebrauchte Entgegnung: "Every Algerian who is born in France is a French citizen, this is not a question of whether he, or not, is French."

Das ist auch in Zusammenhang, mit dem Mitte Dezember von der republikanischen Mehrheit in Haus und Senat abgelehnten DREAM Act zu sehen, der eine diffenzierte Einwanderungs/Einbürgerungs-Politik der USA ermöglicht hätte.

Für die fundamentalistischen Blogger, die von amoklaufender Political Correctness sprechen, dient der Batman-Bilal-Vorfall natürlich auch dazu ihre versteckte Botschaft an den Mann zu bringen. Was sich in den USA schlecht öffentlich sagen lässt (dass nämlich Schwarze, Latinos oder Asiaten nie "richtige" Amerikaner sein können), klingt im ausgelagerten Beispiel: für Frankreich deutlich harmloser - auch weil der US-Rechten die enge historische Bindung zwischen Frankreich und Algerien wohl weder bekannt noch bewusst ist.

Amoklaufende political correctness?

Morgen im Journal 2011: Eintrag 10, Comix retten die Welt, Teil 2: Nur keine Sentimentalitäten - wie Erika Fuchs ganzen Generationen das Lesen beibrachte.

Nachdem Batman also einen Muslim angeheuert hat, sprießen nun die Spekulationen: was könnte Batman in Gaza, Batman in Bagdad bewirken?
Aber darum geht es gar nicht. David Hine hat, und Interviews legen nah, dass dies nicht aus berechnender politischer Absicht (die Hefte verkaufen sich auch so, zuviel Politik schreckt die Comic-Hardcore-Puristen eher ab) sondern eher unabsichtlich passiert ist, eine der letzten kulturellen Grenzen durchbrochen und die wirkliche Welt in eine sonst recht hermetische Kunstform hereingeholt. Und damit dem Comic ein Stück seiner in den letzten Jahren verlorengegangenen Relevanz zurückgebracht.