Erstellt am: 11. 1. 2011 - 01:56 Uhr
Computerspielen als Spektakel
Computerspielen ist im Idealfall ebenso unterhaltsam wie herausfordernd - nur so richtig entspannend ist es nie, weil man dabei ständig aktiv etwas tun muss. Manchmal wäre es viel bequemer, den anderen einfach bei der Arbeit zuzusehen. Leider war es lange Zeit ziemlich langweilig, Computerspielpartien als Zuschauer mitzuverfolgen. Doch vor gut zehn Jahren hat sich etwas bewegt. Der kompetitive First-Person Shooter "Half-Life: Counter-Strike" und das taktisch und strategisch verblüffend tiefgründige "StarCraft" haben rund um die Jahrtausendwende erste internationale Profispieler hervorgebracht. Kurz darauf sind erste Kommentatoren auf den Plan getreten und die sogenannten "Battle Reports" aufgetaucht - zunächst noch "offiziell", auf den Webseiten der Spieleentwickler.

Blizzard
Heute, gut zehn Jahre später, sind die Internet-Bandbreiten größer, starre Screenshots und getippte Texte sind von bewegten Bildern und Audiospuren ersetzt worden. Analog mit den höheren Datenübertragungsraten sind auch die Kommentatoren der Spiele professioneller geworden. Willkommen in der Welt der Sportberichterstattung des 21. Jahrhunderts!
"The Blue Terran in the upper left corner"
Für Außenstehende ist eine kommentierte Computerspiel-Partie ebenso unverständlich wie wenn man als Uneingeweihter Opa beim begeisterten Zusehen der Formel 1 beobachtet. In Fall von "StarCraft II" flackern aber keine rasenden Rennautos vom Fernseher, sondern es wuseln futuristische Spielfiguren am Computerbildschirm herum.
Wir erinnern uns: "StarCraft", das ist dieses extrem populäre Computerstrategiespiel aus dem Jahr 1998, das im Gegensatz etwa zu Schach nicht rundenbasiert, sondern in Echtzeit abläuft. Das bedeutet ganz verknappt ausgedrückt: Der schnellere gewinnt. Vor allem in Südkorea wird das Ausnahme-Computerspiel bereits seit gut einem Jahrzehnt als professioneller Sport angesehen und auch entsprechend kommentiert. Nach langer Wartezeit ist im Sommer 2010 endlich der zweite Teil von "StarCraft" erschienen und die Karten wurden neu gemischt. Es war nicht nur ein Aufbruch und Neubeginn für die Spieler sondern auch für die Berichterstatter. Bereits zur Zeit der sogenannten Beta-Phase vor knapp einem Jahr, als das neue Game noch nicht am Markt war und nur von ausgewählten Personen intern getestet wurde, hat sich die Szene der englischsprachigen "StarCraft II"-Shoutcaster formiert. Fans der Serie konnten so bereits kommentierte Matches sehen - Monate, bevor das Spiel in den Regalen stand.
Vom common geek zum Szene-Star
Das Prinzip des Shoutcastens ist einfach: Man lädt sich eine Replay-Datei einer Spielpartie herunter, spielt sie am Computer ab, quatscht dazu eigene Kommentare und speichert dann alles als Video. Dann hoch damit auf YouTube. Auf diese Weise haben sich innerhalb weniger Monate einige 20-Somethings von ganz normalen Geeks zu Szene-Celebrities hochgearbeitet. Etwa der 23-jährige US-Amerikaner Mark Lamond alias "HuskyStarCraft", der mit über 360.000 YouTube-Abonnenten derzeit einer der erfolgreichsten "StarCraft II"-Shoutcaster ist.
In Korea sind professionelle Computerspiel-Kommentatoren auch im TV alltäglich. Einige der etablierten englischsprachigen Shoutcaster hoffen mit ihren vielen Videos, auch mal den Sprung aus dem Wohnzimmer ins Fernsehstudio zu schaffen. Die extrem aktive Shoutcast-Szene auf YouTube ist trotzdem mehr als Portfolio und Selbstpromotion. Die Community zieht meist an einem Strang, die Shoutcaster entwickeln individuelle Schwerpunkte, ergänzen und unterstützen sich gegenseitig. So spezialisiert sich etwa der Caster "Day[9]" auf taktische Detailanalysen während der britische Kommentator "Total Biscuit" auf humoristisches Auftreten, Wortwitz und Enthusiasmus setzt.
Schauen statt spielen
Aktuelle Diskussionen rund um "StarCraft II"-Shoutcasts finden sich im dedizierten Forum auf Reddit sowie auf der Szene-Website "Team Liquid".
Seit Ende Oktober gibt es für's iPhone bzw. den iPod Touch sowie für Android Smartphones eine eigene App ("SC2Casts"), die alle "StarCraft II"-Shoutcasts nach unterschiedlichen Kriterien sortiert und auflistet. Das führt zu einem interessanten Phänomen: Erstmals in der Videospielgeschichte wird das Zusehen mindestens ebenso populär wie die eigene Teilnahme. Kein Wunder, denn "StarCraft II" bietet eine nahezu perfekt ausgeklügelte Balance zwischen den Spielfiguren und Fraktionen und fordert von den Teilnehmern ein Maximum an Geschicklichkeit, Konzentration und Geistesgegenwart. Die Shoutcaster tragen ihren Teil dazu bei und liefern eine mitreißende und unterhaltsame Form der Präsentation. Manche Computerspiele sind reif, als vollwertige elektronische Sportarten ernst genommen zu werden und Seite an Seite mit etablierten, physischen Disziplinen zu stehen. "StarCraft II" ist zweifellos eines davon.