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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

10. 1. 2011 - 18:08

Journal 2011. Eintrag 8.

Österreich ist zu nichts nutze. Auch nicht dort, wo es eigentlich etwas können sollte, historisch gesehen. Am aktuellen Beispiel des umstrittenen Mediengesetzes in Ungarn.

Das Jahr 2011 bietet wieder ein Journal, ein fast tägliches, wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009.
Da werden schon an die 300 Einträge zusammenkommen, vielleicht auch mehr. Dazu komplettieren die wohl wieder 65, 70 Einträge ins Fußball-Journal '11 die diesjährige Blumenau-Show im Netz.

Meist wird es hier Geschichten/Analysen geben, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo gefunden habe; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute etwa die Rolle Österreichs im Disput um das neue Mediengesetz in Ungarn - Top-Thema bei der EU, prominente Proteste der europäischen Intellektuellen, aber de facto Null-Thema hierzulande. Da stellt sich die Frage nach dem offensiven Wegdrücken der gemeinsamen Vergangenheit, die durchaus typisch für den hiesigen Umgang mit historischer Aufarbeitung ist.

Wenn sich in Algerien etwas regt, dann ist es automatisch Thema in Frankreich, nicht nur in umstrittenen Fällen. Wenn in Brasilien die neue Präsidentin antritt, dann ist Portugal live dabei - und auch sonst ein Partner in fast allen Belangen. Ähnlich läuft das mit Lateinamerika und Spanien. Und die Bedeutung, die Polen für Deutschland (vice versa) hat, muss ich nicht extra betonen; oder den speziellen Charakter der israelisch-deutschen Beziehungen.

All diese Nationalen sind durch ihre gemeinsame Geschichte aneinandergefesselt; bis auf weiteres, auf weitere Jahrzehnte oder -hunderte. Es ist eine Geschichte der Gewalt, der Unterdrückung, der Kolonisierung - was die Beziehungen immer problematisch machen wird.
Aber: sie existieren, die Beziehung; auch im Alltag.

Nun ist es nicht einmal hundert Jahre (und das ist, historisch gesehen, ein echtes Lapperl) her, dass die Doppelmonarchie untergangen ist - das Habsburgerreich, in dem (nach heutigen Grenzen) ganz Österreich, ganz Ungarn, ganz Tschechien, die ganze Slowakei, ganz Slowenien, ganz Kroatien, ganz Bosnien, ganz Südtirol, ein großer Teil von Rumänien, Teile Italiens, Serbiens, von Polen und Russland vereint waren. In einer seltsam verfassungslosen, aus dem Pragmatismus einer zwischen Militär-Herrschaft und Aristokratismus pendelnden Monarchie, die ihre Herrschaft auf Ökonomie, Diplomatie und Bajonette gründete.

Österreich - Ungarn

Seitdem sind die offiziellen und inoffiziellen Beziehungen zwischen Österreich und den Nachfolgestaaten auf einem Level zwischen Geht-so und Gar-nicht angesiedelt. Klar, der eiserne Vorhang, der ab den 50ern Europa zerschnitt und Österreich vor allem von Ungarn, der CSSR abtrennte, war kein Beförderer. Aber erstens waren da auch schon drei Jahrzehnte an Aus-dem-Weg-geh-Politik dazwischen und auch die relativ offene Grenze mit Jugoslawien diente ausschließlich als ideologisches Aufmarschgebiet diverser Krypto-Nationalisten.

Nicht einmal die tränendrüselige Zaunzerschneidung von 1989 hat viel geändert: in der öffentlichen Wahrnehmung wird das Verhältnis, vor allem das zu Ungarn, der Slowakei und Tschechien (deren Hauptstädte allesamt in Rufweite von Wien liegen) als "so fremd wie möglich" definiert. Nur keine Gemeinsamkeiten suchen oder gar finden.

Böses aktuelles Beispiel dieser Nicht-Beziehung ist die Reaktion auf das neue Mediengesetz der rechtspopulistischen Regierung Orban, das seit 1.1. alle ungarischen Medien kontrolliert und durch die Schwammigkeit der verwendeten Begriffe (Ausgewogenheit, die öffentliche Ordnung, nationale Sicherheit, "gegen die Nation gerichtet", Ethos/Moral) und durch die Unverhältnismäßigkeit der Strafen eine klare Einschüchterungs-Politik fährt und die Schere im Kopf forciert.
Da diese wohl nicht mit europäischen Mediengesetz.-Standards vereinbare Richtlinien just am 1.1., also dem Beginn des ungarischen Ratsvorsitzes in der EU zusammenfiel, ließ die Wogen hochgehen. Europaweit. Durchaus auch in Österreich.

Österreicherfreie Proteste

Während sich allerdings in Tschechien oder Deutschland wichtige Protagonisten für die Medienfreiheit zu deutlichen Protesten einfanden, kamen aus Österreich nur Lippenbekenntnisse.

Schlimmer noch: die europaweit wichtigste Initiative der Protest-Unterstützung, die Platform iprotest, die von Intellektuellen, Wissenschaftern und Politikern wie Vaclav Havel oder Marianne Birthler getragen wird, kommt ohne einen einzigen Österreicher, eine einzige Österreicherin aus.
So draußen sind die hiesigen Proponenten aus dem europäischen Zirkel.
So wenig ernst werden sie genommen. So sehr hat Österreich jede Osteuropa-Kompetenz verloren. So wurscht sind wir. Und zurecht.

Wer sich ständig nur den eigenen Nabel auspuhlt, maximal noch nach Deutschland schielt und schon die Schweiz für fremd, anderssprachige aber bereits mit "Bedrohung" gleichsetzt, wie das im politisch und gesellschaftlich provinzialisiertem Österreich, einem Land, das sich seit Jahrzehnten am xenophoben Nasenring der Haiders und Straches in die Inzucht mit sich selbst zerren läßt, der Fall ist, darf sich darüber nicht weiter wundern.

Die EU hat aus dem Versagen der Sanktionen gegen Österreich gelernt und setzt im aktuellen Fall Ungarns andere Maßnahmen.
Europa hat aber offenbar ebenso gelernt sich in Sachen Ost-Kontakte nicht mehr österreichischen Know-Hows zu bedienen: jetzt, wo die Grenzen offen sind, braucht man die Ost-West-Drehscheiben-Folklore in Wien nicht mehr um zu kommunizieren.

Keine Expertise, nichtsnutzig

Dass just dieser Tage mit Vielleicht in einem anderen Leben ein Film, der sich mit einer der dunkelsten Stunden in der österreichisch-ungarischen Geschichte befaßt, anläuft (und so die löbliche Ausnahme zum dumpfen Nichts darstellt), fällt mir erst in Nachhinein auf/ein.

Und da Österreich seit fast hundert Jahren nicht mit seinen Nachbarn, seinen ehemaligen Protektoraten/Kolonien kommunizieren will und kann, gibt es da auch kaum etwas, was man anzapfen könnte.

Und weil ich da schon die Ausreden-Maschinerie höre und dort sicher sofort der Begriff der gemeinsamen Sprache auftaucht: zum einen ist Deutschlernen in Ungarn/Tschechien/Slowakei nie unattraktiv gewesen; und zum anderen hätte ein kleiner und speziell auf die ehemaligen Doppelmonarchie-Ländern abgezielter Sprach/Kultur-Export (mit einer Art Goethe-Institut, das man je nach Geschmack ja Grillparzer/Nestroy/Musil-Institut hätte nennen können) da eine Menge an Verbindungen, Kontakten und Verbindlichkeiten gebracht.

Am Freitag wird es, immerhin, zeitgleich zu den in Budapest angekündigten Groß-Demos zu von Reporter ohne Grenzen und diversen österreichischen Medien-Vertretungen organisierten Kundgebung vor der ungarischen Botschaft in Wien kommen.

Dass Österreich nach 1989 ausschließlich auf wirtschaftlicher Ebene (also wieder als Eroberer) eingefallen ist und sich weder politisch noch kulturell um auch nur irgendetwas bemüht hat, trägt nichts zu einer wirklichen Expertise bei.

Die Krise rund um das Medien-Gesetz in Ungarn zeigt nun die Folgen dieser von allen gesellschaftlichen Kräften gleichermaßen getragenen Politik der Ignoranz und Wurschtigkeit: Österreich ist für nichts, was sich außerhalb seiner Grenzen abspielt, zu gebrauchen. Nicht einmal dann, wenn es sich in Nachbarland, mit dem man jahrhundertelang eng verbunden war, abspielt.