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Boris Jordan

Maßgebliche Musiken, merkwürdige Bücher und mühevolle Spiele - nutzloses Wissen für ermattete Bildungsbürger.

9. 1. 2011 - 13:39

Song Zum Sonntag: Bright Eyes

Sie verlassen Indierockland: Shell Game

"Shell Game" ist das Hütchenspiel - ein aus dem Dauerwerbefernsehen und aus Fußgängerzonen bekanntes Trickbetrügerspiel, das davon lebt, dass der Beobachter sich in Sicherheit wiegt und glaubt, er sei der Einzige, der das Spiel durchschaut hat und gewinnen kann. Eine schöne Metapher für ein biographisch zurückschauendes und zugleich vorwärtsblickendes Lied.

Plus:

Cover er neue Bright Eyes CD "The People's Key"

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Er ist zurück. Nach dem runden "Cassadaga", das Robbie Robertson Ehre gemacht hätte und dem uninspirierten Gerocke mit der "Mystic River Band" kündigt Conor Oberst, Nullerjahre Version des Role Model "sensibler Jungamerikaner", mit "Shell Games" die neue, siebte Platte seiner Großfreundeband Bright Eyes an. "Shell Games" ist eine intelligente, wortreiche Rückschau eines Erwachsenen, der sich ändern möchte, sich selbst vergeben möchte, auch zu Schwachen grausam gewesen zu sein, der sich neu orientiert und darauf vertraut, dass die große, schwere Liebe ihm hilft - wenn er nur jemanden findet, der diese Last mit ihm trägt. Ein schöner Text über das ganze Leben, der - wie das große "Let's not shit urselves" von "Lifted", das vielleicht der Anfang von dem ist, das mit "Shell Games" abschließt - rechtfertigt, dass man Oberst schon mit 17 als den "Dylan seiner Generation" gefeiert hatte.

Minus:

Portrait Conor Oberst vor See mit Schwan

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Thomas Kramar kriegt mich: Der Sound dieser an sich wieder tollen Nummer erfüllt auch mich, einen relativ früh geborenen Bewohner des "Independent-Soziotop" (Presse am Sonntag), mit sofortigem Ekel. Selbstverständlich ist "Shell Game" nicht die erste Geschmacksherausforderung, die die Indiehelden der Nullerjahre denen zufügen, die die ekligen rockistischen oder schmalzigen Originale der 70er und 80er noch in Erinnerung haben und sich jetzt wundern, wie deren Pomp sich durch eine Art aktuelle "Experimentierfreudigkeits" - Hintertür wieder ranschleicht, ausgerechnet bei den jungen Bands, die sich eigentlich an denen orientiert hatten, die Gegenentwürfe zu genau dem erfunden hatten.

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Ich denke da an die von mir gerne gehassten Phoenix mit ihrem dauernden, manchmal von Spandau Ballet unterbrochenen Peter Frampton (als Resultat der missverstandenen Ironie von Urge Overkill), manche Gobelinteppich-Dramasingereien der an sich guten Elbow, der leere Pink Floyd Bombast, den Radiohead seit Jahren mit "Sinn" füllen wollen, die aufgesetzte "Split Enz"- Hektik bei Vampire Weekend, die - ich sag's nochmal - ganzen Yeah Yeah Yeahs, und - wenigstens lustig - die "Herzblatt" Melodie und die INXS Drums bei MGMTs "Kids". So, wieder genug Feinde für einen Sonntagnachmittag gemacht.

Für Forscher des schlechten Geschmacks: Bei "Shell Games" hört man Anschwellintro, Eingroovepiano a la Robin Trower und Billy Joel (gegen den ich meist nichts habe) und Midtempo-Nachdenklichkeitsbreak, und all das assoziiert die Creme de la Creme der Ekelbands, die das Radio bestimmten, als Conor Oberst geboren wurde: Flash and the Pan, Boston, REO Speedwagon und weiter mag ich gar nicht in den Erinnerungen graben.

Über Bright Eyes macht sich auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar in der Presse am Sonntag seine Gedanken, mit denen er mich diesmal wieder durchschaut hat.

Natürlich schuldet das Lied dem alten Springsteen mit seinen überbordenden Build Ups einiges, aber der hat ja auch nicht immer Stil bewiesen - wenn ich es mir recht überlege, ist Stil sogar das Letzte, das Springsteen zu beweisen versucht hat.

Und Melodieerkennern wünsche ich, dass ihnen nach ebenso langem Grübeln eine andere Melodie einfällt als mir, an die sie "Shell Games" erinnert - bei mir war's nämlich eindeutig "Stoak wia a Fölsn" von Stefanie Werger.