Erstellt am: 12. 1. 2011 - 15:05 Uhr
Poor little rich guy
Krimis schreibt Martin Suter nicht, wenn schon, dann Kriminalromane und bis jetzt musste man dann immer noch begriffserklärerisch ausholen, dass das kriminalistische Handlungssegment bloß Begleiterscheinung sei, ein Entertainment-Fundament, auf dem Suter auch seine "neurologische Trilogie" ("Small World", "Ein perfekter Freund" und "Die dunkle Seite des Mondes") gebaut hat. Dieses suspensegetränkte Triumvirat, das mit Thriller und Drama gleichermaßen liebäugelt, in der Figuren durch Drogen, plötzlichen Gedächtnisverlust und Alzheimer mit ihrer eigenen Identität bzw deren Verlust konfrontiert werden, machte aus dem ehemaligen Werbetexter und Kolumnisten den Bestsellerautor Martin Suter. Auf jedes Bestseller folgt ein Backlash, manchmal rappelt es im deutschen Feulleton-Karton, dass der Suter gar nicht schreiben kann, so schreibt Ulrich Greiner in "Der Zeit", raunt von "Konfektionsprosa". Die Lektion, dass das, was alle gut finden nicht automatisch gut ist, haben wir ja schon gelernt, dass aber auch nicht automatisch alles schlecht ist, was viele gut finden, an der Erkenntnis fehlt es meist in der deutschsprachigen Rezensionskultur. Hinzu kommt der so oft leicht verächtliche Blick auf allzu leicht Konsumierbares. Dass leicht zu Lesendes, einfach zu Schreiben sei, ist ein Irrtum, genau wie, dass sich hinter leicht zu Lesendem nichts Tiefgründiges verbergen kann.
Die "Small World" Verfilmung ist leider misslungen, richtig misslungen wird aber wohl erst die Verfilmung von "Die dunkle Seite des Mondes" von Oliver "Der Untergang" Hirschbiegel sein
Wer auf Suter ebenjenen leicht verrächtlichen Blick wirft, wird dieser Tage zu schielen beginnen: Während der 2009 erschienene Roman "Der Koch" noch auf den Bestsellerlisten zu finden ist, und die Verfilmung von "Small World" noch in den Kinos läuft, erscheint "Allmen und die Libellen" und mit dem gibt Suter gleich ein Versprechen auf weitere Bücher. Denn "Allmen und die Libellen" ist nicht nur jetzt tatsächlich ein Roman, den man mit Kriminalroman ausreichend beschreibt, sondern auch noch Auftakt zu einer Serie von Kriminalromanen. Yay!
Ein Schöngeist namens Allmen
Johann Friedrich von Allmen nennt er sich, der neue Mann im Suterversum, seine Taufnamen Hans und Fritz hat er zu den Langformen veredelt und in dieser kleinen Tat steckt schon der diesmalige Suters Kern, der Schein, die Oberfläche, die Inszenierung. Bei Allmen, dem verschuldeten Bonvivant und Kunstkenner, Vielleser und Opernabonnementen weiss man nicht recht, ob der jetzt eine wahnsinnig altmodische Figur ist oder schon wieder eine hochmoderne, weil er eine Gegenposition zu den die Krimiwelt beherrschenden Ermittlerfiguren ist. Wo vor allem skandinavische Krimi-Autoren, ganz Sjöwahl/Wahlöö verpflichtet, gesellschaftspolitische Tendenzen verarbeiten, wo grausame Morde Kommissare den Glauben an diese Welt rauben und die Ermittler selbst mit dunklen Vergangenheiten und moralischen Dilemmas zu kämpfen haben, schenkt uns Suter den schöngeistigen Allmen mit Mammon-Hawarie aber stets um Contenance bemüht. Echte Welt? Je m'en fous!.
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Soll diese echte Welt doch machen, was sie will, Allmen fehlen zwar die Scheine, doch er wahrt den Schein, wohnt im Gärtnerhaus seiner Villa, die nun einem Treuhandunternehmen gehört, trinkt seine Margaritas in der Goldenbar und den Kaffee im Viennois und schätzt das Nachmittagsschläfchen, das er Lebensschwänzen nennt. Das Erbe hat er verpulvert, der treue Butler Carlos, der im Gegensatz zu Allmen ein-namig bleibt, ist ihm geblieben und wird im Laufe des Romans zum Komplizen der Gaunereien seines Arbeitgebers. Nachdem die Familienerbstücke erfolgreich versetzt worden sind, wird Allmen zum eleganten, gewaltlosen Antiquitäten-Dieb. Irgendwie muss schließlich Geld reinkommen.
Diogenes Verlag
Faszinierende Oberfläche
Inspiriert vom tatsächlichen Raub von fünf Glasschalen mit Libellenmotiven im Jahr 2004, verstrickt, nein, das wär zu engmaschig, verhäkelt oder verluftmascht Suter seinen Allmen in verbrecherische Komplikationen. Allerdings spielt "Allmen und die Libellen" bezüglich der Milde und Gemütlichkeit der kriminalistischen Handlung fast in der Agatha Christie-Liga, wo Gewaltverbrechen im Grunde nur eine lästige Unterbrechung des angenehmen Adelslebens sind. Suter erzählt ungewohnt stringent, mit reduziertem Personenstab und frei von Verwirrungen eine ausgeschmückte Anekdote von Betrug, Diebstahl, Mordversuch und Mord. Aber eben auch Cocktails, Zigarren, Herrenhandschuhen, Konzertflügel, Espressobars und Hotelpantoffeln. Raffiniert, elegant und mit einer tiefen Liebe für die Oberfläche, die stets mehr ist als nur Oberfläche, beschreibt er Hemdkrägen wie Damenfrisuren, Schuhputz-Rituale wie Bettwäschen. Müßiggänger Allmen lässt sich im Cadillac zur Oper fahren und der Chauffeur hört Glenn Miller, Suter macht aus Allmen einen Retro-Ästhetiker aber keinen sentimentalen Deppen. Googeln fällt trotzdem ins Tätigkeitsfeld des guatemaltekischen Carlos. Nur einmal scheint es, da gehen doch de Pferde der Altherrenfantasie ein wenig mit Suter durch, wenn Joelle, die semi-mysteriöse Opernbekanntschaft auftaucht und den plötzlich so wehrlosen Allmen mit nach Hause nimmt.
"Allmen und die Libellen" ist bereits im Diogenes Verlag erschienen. Allmen liest übrigens auch fast ausschließlich Autoren, die bei Diogenes erscheinen. Seltsam, aber so steht es geschrieben. Allmen hat sogar eine eigen Website.
Erst am Ende von "Allmen und die Libellen" wird Allmen eine neue Tätigkeit finden, die wohl die kommenden Romane bestimmen wird, insofern ist der Auftakt der Kriminalroman-Serie ein reiner Luxus, etwas, das in jeder anderen Serie in ein paar Absätzen zusammengefasst werden würde, um den Hintergrund der Figur klar zu machen. Suter nimmt sich dafür ein ganzes Buch Zeit. Lässt Butler Carlos noch ein wenig im Dunkeln, nimmt sich überhaupt noch ein wenig zurück, ein dezenter Auftakt, ein Buch, das nach Ledersessel und Samtsofas riecht, nach Seidenschal und Humidor. Ein Buch, für den Herren in den besten Jahren in uns allen.