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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

9. 1. 2011 - 17:14

Kein Heimweh nach dem Kurfürstendamm

Einst das glitzernde Herz Westberlins, jetzt am Arsch der Welt.

Das Jahr ist noch jung und in Berlin erholt man sich immer noch von den anstrengenden Jahresendfestivitäten. Einige Jubiläen stehen aber auch im neuen Jahr an, so würde eine Berliner Berühmtheit - die Berliner Mauer - 50, stünde sie noch, da sie aber nun mal fiel, wird an ihren Bau vor 50 Jahren erinnert.

Plattencover Hildegard Knef

DECCA

Noch älter ist der Kurfürstendamm, der Ku'damm wie ihn die Berliner nennen, er wird 125 Jahre alt. Auch das wird gefeiert und ist Anlass für wehmütige Betrachtungen über das alte Westberlin. „Ich hab so Heimweh nach'm Kurfürstendamm” heißt ein Bildband zum Jubiläum. In dem bekannten Berlinlied reimte sich “Kurfürstendamm” noch auf “Berliner Tempo, Betrieb und Tamtam!" Als Hildegard Knef 1963 das Lied sang war der Ku'damm das glitzernde Herz von Westberlin, jetzt liegt er am Arsch der Welt. Vom einstigen Glanz der dreieinhalb Kilometer langen Prachtstraße ist 2011 wenig geblieben.

Kino

Gebaut als besserer Feldweg sollte nach den Plänen des Reichskanzlers Bismarck der Kurfürstendamm zur Champs Élysée Berlins werden. Ab 1890 entstand die typische Ku'dammarchitektur mit verspielten Prachtfassaden und riesigen Luxuswohnungen, da begründete das Café des Westens die intellektuelle Kaffeehauskultur in der Stadt. 1913 eröffnet dort mit Max Reinhardts "Insel der Seligen" die Filmbühne Wien, eins der ersten Kinos, die den späteren Ruf des Ku'damms als Kinostandort begründeten. Bald aber fielen der "Arisierung" durch die Nazis nahezu alle Künstlertreffpunkte, Amüsierlokale, Galerien und Auktionshäuser zum Opfer. Durch die Verfolgung und Ermordung der Berliner Juden verlor der Kurfürstendamm seine geistige und künstlerische Substanz.

Nach dem Wiederaufbau wurde die Straße in der Zeit des Kalten Krieges zum Schaufenster des Westens und Symbol für das Wirtschaftswunder. Aber vom Fall der Mauer hat sich der Boulevard des Westens niemals erholt, er bleibt auch Jahrzehnte später der große Einheitsverlierer.

Erste Adresse für Autokorsos

Disko Eden

Christiane Rösinger

Der unvermeidliche Geronto-Playboy Ralf Eden lebt zwar noch, aber seine Disco "Big Eden", in den Sechzigern und Siebzigern Schauplatz der Misswahlen und Hangout der Berlinale Stars, wurde längst verkauft.

Das ehemalige "Schaufenster des Westens" rückte an den Rand der wiedervereinigten Stadt, am berühmten Bahnhof Zoo halten nur noch die Regionalzüge. Auch demonstriert wird inzwischen anderswo: Wo die 68er “Ho Ho ho Chi Minh” skandierten, wo Rudi Dutschke angeschossen wurde, wo die erste Loveparade entlang zog, da geht heute nix mehr außer shoppen.

Der letzte Höhepunkt für den Kudamm war vielleicht der 9.November 1989, als man aus Ostberlin kollektiv zum Ku’damm fuhr. Aber zu einer seltenen Gelegenheit lebt der Kudamm immer wieder auf: Beim Fußball-WM-Autokorso ist er die erste Adresse. Vielleicht auch dieses Jahr zur WM der Frauen.