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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

8. 1. 2011 - 18:24

Journal 2011. Eintrag 7.

Der Zivildiener, Prototyp des prekären Jugendlichen, wird wohl verschwinden - das bringt Panik bei den einseitig Generationen-Verträge Abschließenden. Wie die Jungen das nützen können.

Das Jahr 2011 bietet also wieder ein Journal, ein fast tägliches, wie das schon 2003, 2005, 2007 und 2009 der Fall war.
Ein wenig über 300 Einträge werden da schon zusammenkommen, vielleicht auch mehr. Dazu komplettieren die wohl wieder 60, 70 Einträge ins Fußball-Journal '11 die diesjährige Blumenau-Show im Netz.

Meist wird es hier Geschichten/Analysen geben, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo gefunden habe; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute etwa die Frage nach dem Loch, die der abzuschaffende Zivildienst im Fall der Fälle (der konkret angedachten Abschaffung der Wehrpflicht) hinterlassen wird; und wer es wie füllen sollte; und warum diejenigen, die gern einseitig Generationen-Verträge abschließen da schon Ideen haben.

Außerdem: War der Zivildienst die Vorhut des seit einigen Jahren überdominanten Prekariats-Zustands vieler junger Österreicher?

Die allgemeine Wehrpflicht steht knapp vor ihrer Abschaffung. Das Verteidigungs-Ministerium wird demnächst mögliche neue Modelle präsentieren, offenbar haben sich die Lobbys aber bereits auf eine Variante geeinigt, die die Zwangs-Verpflichtung beendet.

Während dieses Thema durchaus Wellen schlägt, auch im öffentlichen Bewusstsein, ist die gesellschaftlich und in weiterer Folge auch wirtschaftlich viel wesentlichere Frage, was das für die damit gleichzeitige Abschaffung des Zivildiensts bedeutet, aktuell kaum eine Debatte wert. Wie immer, wenn man einmal kurz um eine Ecke weiter denken muss, scheitern die Mainstream-Medien an ihrer zentralen Aufgabe.

Zuletzt haben sich fast ein Drittel der tauglichen Stellungspflichtigen für den Zivildienst entschieden. Pro Jahrgang hielten zuletzt etwa 13.000 Zivildiener ein sehr löchriges System am Laufen, als billige und von der Staatsgewalt einteilbare Arbeitskräfte. Vor allem dort, wo der Sozialabbau im letzten Jahrzehnt (vor allem durch die selbsternannte Wenderegierung ordentlich gewütet hatte, in Alten-, Krankenbetreuung, im Gesundheits- und Sozial-System.

Die Abhängigkeit des gesamten sozialen Netzes

Wie fatal das bislang unter den Tisch gekehrte Problem ist, kann man aus der Stellungnahme der zuständigen Innenministerin ersehen, die die Aufrechterhaltung des aktuellen Systems als einzige Begründung für ihr Ja zur Wehrpflicht angibt. Fekter wörtlich: "Das gesamte soziale Netz in Österreich ist auf den Zivildienst angewiesen." Dass sie in weiterer Folge argumentiert, dass Migranten-Kids nur beim Bundesheer identitätsstiftend echte Österreicher werden könnten, haken wir einmal als misslungenen Gag ab.

Als Ausgleichs-Möglichkeit geistert (eh schon seit ewig) das "freiwillige Sozialjahr" herum, das wegen seines inoffiziellen Arbeitsjahr/Zwangscharakters aber eine ausgesprochen heikle Sache ist. Auch wenn es für andere Gruppen als nur die jungen wehrpflichtigen Männer geöffnet ist: junge Frauen oder auch Senioren.

Das geht so nicht, ließ da die einer Hälfte der österreichischen Senioren-Regierung, Andreas Khol, verlauten: die Arbeit wäre zu hart. Dass im Alterssegment der über 65jährigen ein Vielfaches der 13.000 jährlichen Jungspunde als Personal-Reserve drinsteckt, verschweigt Khol dezent.

Zivildienst als gezielte Ausbeutung

In jedem Fall diskutieren (mit ganz wenigen Ausnahmen wieder einmal diejenigen, die schon bisher die Generationen-Verträge abschließen: Die politisch Wirkungs-Mächtigen und die lobbyistisch extragut aufgestellten Alten.
Was jetzt schon einen klaren Schluss zulässt: die Arbeit die aktuell 13.000 Burschen jährlich machen, wird auch weiterhin an den Jungen pickenbleiben. Ob mit zumindest halbwegs anständigem und ein Überleben sicherndem Erlös - das steht noch aus.

Schließlich war der Zivildienst im Lauf seiner 35jährigen Geschichte ein Exerzierfeld von Augenauswischereien, Pharisäertum und vor allem gezielter Ausbeutung - also letztlich die erste Versuchs-Anordnung des jugendlichen Prekariats, wie wir es heute erleben.

Ich will hier die Philosophie und auch die Praxis des Zivildienst nicht schlechtreden: Er hat mir und den meisten Absolventen, die ich kenne, nicht schlechtgetan - im Gegenteil, ein Blick in andere Arbeits- und Lebenswelten tut durchaus Not.
Die Begleitmusik aber, egal ob von Seiten des Ministeriums und der Kräfte, die die dort geschaffenen Werte ausnutzten, um die Sozialleistungen rundherum sukzessive auszuhöhlen und amerikanische Zustände zu schaffen, war immer eine widerliche. Auch weil hier nie ein Generationen-Dialog angestrebt wurde, sondern reine Dekretiererei herrschte.

Generationen-Vertrag ohne junge Generation?

Auf das läuft es wie gesagt auch jetzt hinaus.
Wenn sich niemand auf die Hinterbeine stellt, dann wird die sozial und ökonomisch dringend notwendige Arbeit im Sozial- und Gesundheits-System wieder per Top Down-Bestimmung verteilt werden. Und egal ob die Sozialdienste verpflichtend oder freiwillig werden, egal ob frech Gratis-Leistung verlangt oder seriös gerechnet wird, solange niemand die Interessen der Jungen vertritt, wird sich an der Lage der hin- und hergeschobenen Praktikums-Generationen nichts ändern - im Gegenteil.

In der letzten Sonntags-Presse ist sie groß avisiert gewesen: die neue junge Politiker-Generation. Ich würde meinen, dass die allerspätestens jetzt zu beginnende Debatte um die Nachfolge des Zivildienstes ihre echte Nagelprobe sein wird. In der direkten Auseinandersetzung mit den auf vielen Linien akkordiert handelnden Senioren rund um die Doppelspitze Blecha-Khol, den zentralen Partnern dieses neuauszuhandelnden Generationen-Pakt, ist ein parteiübergreifendes Handeln unumgänglich.

Und vielleicht die letzte Chance den aktuell fast schon vertragslosen Zustand zwischen Demokratie-Politik und den ins Desinteresse der Privatheit wegdriftenden Jungen zu erneuern.