Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Vom Überleben in der Metropole"

Andreas Spechtl

Ist Sänger der Band "Ja, Panik" und lebt in Berlin.

8. 1. 2011 - 10:03

Vom Überleben in der Metropole

II - Das Gemeinsame und die Gemeinschaft. Möglichkeiten und Gefahren.

Wenn alle Schizophrenen zusammenstehen,
haben die Ingenieure keine Macht mehr über uns.

M.D. Blitz

Es ist die Überlebende also als eine Art Flaneur charakterisiert worden, als eine fließende Persönlichkeit. Um Missverständnisse aus dem Weg zu räumen: Mit der ursprünglichen Figur des Flaneurs hat sie jedoch nicht mehr, aber auch nicht weniger, gemein, als ein Rechenschieber mit dem neuesten MacBook Pro.

Es wurde schon gesagt, die Verwalter der Welt haben großes Interesse daran den flanierenden Geist und Körper auszumerzen, denn er stellt in jeder seiner Äußerungen eine Gefährdung dar, weil er per Definition nicht kompatibel ist. Kompatibel zu sein ist aber alles was die modernen Königshäuser von ihren Untertanen verlangen. Verknot-, anschließ- und zwischenschaltbar. Es wird vom kybernetischen Kapitalismus gesprochen. Wenn man unsere Heldin fragt, wird sie jedoch heute null und morgen eins antworten, in ihren wüstesten Stunden wird sie sich hinreißen lassen und von dreien, vieren oder fünfen halluzinieren. Man könnte auch sagen, in ihrer ganzen Unfertigkeit ist sie, in eine Zahl übersetzt, π, unendlich lang, aber nicht periodisch, keiner Regelmäßigkeit unterstellt.

Die Grenze verläuft nicht zwischen Oben und Unten, sondern zwischen Dir und Mir.

Hat man sich identitär einmal derart abgerüstet, wird es darum zu gehen haben, einander zu finden und Welten miteinander zu verbinden, denn es steckt eine beunruhigende Wahrheit in dem alten Sprichwort: Einsam geht die Welt zugrunde. Das ist fürwahr der Status Quo. Wie also einerseits fließen und andererseits sich verbinden? Wie das nicht abgeschlossene, das nicht feste, das „unterwegs sein“ propagieren und dabei nicht auf ein Neues der Vereinzelung in die Hände fallen? Man hat uns Verbindungen als Stillstand gelehrt, und das werden sie auch bleiben, solange man nicht radikal alle Grenzen und Mauern einreißt, um Außen wie Innen mit einem Schlag zu völlig sinnfreien Wörtern und unbegehbaren Orten zu machen. Dann erst werden die Möglichkeiten geschaffen sein, um zusammen unterwegs zu sein.

Mauer mit Aufschrift

Andreas Spechtl

Das Wort für Zirkulation UND Gemeinschaft ist: Vermischung.

So lässt sich auch nur in der hemmungslosen und wilden Vermischung der Antirassismus der großen Multikulti-Party als feister Rassismus erkennen und zugleich bekämpfen. Nicht friedlich nebeneinander, sondern orgiastisch INEINANDER ist dieses Leben zu organisieren.

Doch man verstrickt sich lieber in Widersprüche. Ein schönes Beispiel: Hierzulande wird euphorisch ein Mauerfall gefeiert, während zeitgleich Grenzen, vollkommen fiktive Grenzen, immer rigoroser abgeriegelt werden. Nur die Dümmsten bringen jetzt das europäische Projekt als Einwand. Es mag zwar sein, dass hier Grenzen fallen, aber nur um sich an den äußersten Rändern dieser durch und durch rassistischen Festung mit vereinten Kräften noch wirkungsvoller gegen die einfallende Barbarenhorde zu schützen. Im Namen der Menschenrechte wird wohl dem einen oder anderen Einlass gewährt, doch muss er seine Würde und eben jene Menschenrechte gleich am Eingang, sozusagen als Pfand, abgeben, in der Hoffnung, dass er bald wieder da hin zurück geht, wo er hergekommen ist. Dass die meisten dann doch bleiben, und zwar ohne sich zu assimilieren (=Pfand eintauschen), ist einer Tatsache geschuldet, die der Flüchtling, wenn er sie vielleicht auch nicht klar erkennen kann, so doch in gewisser Weise fühlt: Sein Status als Entrechteter unterscheidet ihn bloß offiziell vom vollwertigen Staatsangehörigen, in Wahrheit aber hat er selbst als Vorlage und Blaupause für diesen gedient. Die Gleichheit ist also auf eine perfide Art und Weise Wirklichkeit geworden.

Man spürt, dass was nicht stimmt. Angst macht sich breit. Wie schon so oft lassen sich jedoch die, die beieinander stehen sollten, gegeneinander aufwiegeln. Die Situation birgt, in demselben Maße wie sie einen endgültigen Ausweg in sich trägt, auch eine schreckliche Gefahr. Die romantischen Schwärmereien manch hemmungsloser Optimisten sind gerade zu Recht in aller Munde, und doch sollte man nicht vergessen:

Parallel dazu nehmen entsprechend dem wohlbekannten Grundsatz, nach dem grundlegende Angleichung, bei gleichzeitigen formalen Differenzen Hass und Intoleranz verschärft, fremdenfeindliche Reaktionen und Verteidigungsbereitschaft zu.

Wir wissen, die Sache ist schon einmal schlecht ausgegangen.

Wie dem auch sei, die Lage spitzt sich zu, das lässt sich nicht leugnen. Die Widersprüche werden tagtäglich offensichtlicher, alles funktioniert immer schlechter und die Antworten drängen sich eigentlich ganz von selbst auf. Es gilt das Ei einzudrücken. Rom, Athen, London, Paris. Aber dazu ein andermal mehr.

In diesem Sinne: noch 97 Tage bis DMD KIU LIDT

Das Ei des Kolumbus

Andreas Spechtl