Erstellt am: 6. 1. 2011 - 20:10 Uhr
Journal 2011. Eintrag 6.
Das Jahr 2011 bietet also wieder ein Journal, ein fast tägliches, wie das schon 2003, 2005, 2007 und 2009 der Fall war.
Ein wenig über 300 Einträge werden da schon zusammenkommen, vielleicht auch mehr. Dazu komplettieren noch die wohl wieder 60, 70 Einträge ins Fußball-Journal '11 die diesjährige Blumenau-Show im Netz.
Meist wird es hier Geschichten/Analysen geben, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo gefunden habe; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute die Frage warum sonst durchaus neugierige und intelligente Menschen sich durch bewusste Sparten-Ignoranz (auf die sie in Einzelfällen, schlimmstes Zeichen offensiver Dummheit, auch noch stolz sind) der Möglichkeit frischen Denkens in neuen Ansätzen entheben.
Und: ein Exkurs zum Nil und der ihn betreffenden Sportpolitik.
Die Vier-Schanzen-Tournee ist geschlagen, Nationalstolz-Gekrähe, egal ob übertrieben oder gönnerhaft, inklusive.
Und weil sie, ob ihrer in dieser Zwischen-den-Jahren-Kuschelnische verursachten kollektiven Bedeutung der einzige Jahreszeitpunkt ist, an dem auch speziellere Themen anzusprechen sind, hat sich heuer, endlich, einige Monate zu spät, eine Debatte um die Hungerhaken- bzw. Gewichtsprobleme, die diese Sportart aktuell wieder umweht, entwickelt.
Interessanterweise ging die nicht von den dafür Zuständigen (kritisch hinterfragenden Medien) aus - die liegen mit dem Dachverband, dem ÖSV, so intensiv im Kooperations-Bett, dass außer Behübschungs-Artikulation rein gar nichts geht - sondern von einem Athleten. Wolfgang Loitzl, Österreichs erfahrenster Springer-Aktiver, unternahm den nötigen Schritt, die Affären rund um technische Entwicklungen oder den BMI, also den Body-Maß-Index, der aus Sportlern bulimiegefährdete Anos macht, anzusprechen.
Loitzl, 4ST-Sieger von 08/9, ist aktuell nicht in Top-Ten-Form und kann sich deshalb Exkurse dieser Art leisten. Und weil die Skispringer traditionell reflexionsfähige Nachdenker sind, die über den Tellerrand ihrer Disziplin deutlich weiter hinaussehen als etwa die deutlich einfältiger vorgehenden Alpin-Sportler, wird eine Aussage wie die seine auch entsprechend ernst genommen. Die reden erst dann - und auch das nur vereinzelt - Tacheles, wenn sie aus dem Zirkus ausgestiegen sind. Weshalb auch das in dieser Szene allgegenwärtige Gegreine, dass dem Wintersport die großen Figuren fehlen, so pharisäerhaft daherkommt: Wer sich als Aktiver nix traut, wer nicht auch aneckt und in seinen öffentlichen Auftritten was riskiert, wird nie wirklich ein popstarmäßiger Kommunikator werden können.
Sport als gesellschaftliches Experimentierfeld
Die von Loitzl angezündete Ausnahme-Debatte ist - wie so oft im Sport-Bereich - das bestmögliche Durchdenk-Modell für gesamtgesellschaftliche Probleme.
Aktuell ist es die Frage: Wann, wie und warum schaffen neue Regulative (die einerseits einer technischen Weiterentwicklung, andererseits einer ökonomischen Logik, im vorliegenden Fall der klassisch-kapitalistischen Höher, schneller, weiter!-Gier folgen) menschenunwürdige Bedingungen, die dann wiederum das gesamte System destabilisieren?
Im Sport werden solche Entwicklungen (einerseits wegen der absoluteren Hörigkeit was technische Neuerungen betrifft, andererseits weil die Hoheit der Statistik hier die pursten fordistischen Bedingungen schafft) oft in ihrer reinsten Form praktiziert - das optimale Versuchs-Labor, sowohl für Wirtschafts-Theorie als auch für den philosophischen Überbau, der da korrigierend einzugreifen hat. Ich hab' das heuer bereits in Eintrag 1 (zur Windregel) und Eintrag 2 (der Wissenschafts-Hörigkeit thematisiert.
Seltsamerweise verzichten viele, in ihrer Arbeit und ihrem Alltag sonst umfassend aufgeschlossene Menschen bewusst (manch auch mit einem gewissen patrizierhaften Stolz) auf diese Denkexperimentierfelder.
Der Sport-Bereich, vor allem der von mir sehr speziell behandelte Fußball, so fünfzigerjahren sie, würde nicht genug Relevanz liefern. Ich muss jetzt nicht Camus zitieren. um das zu widerlegen - die alltägliche Praxis würde ausreichen.
Ausblenden als Jugendtorheit
Allerdings: wer sich einem bestimmten Lebensfeld verschließt, weiß auch nicht, was er dort verpasst - insofern nutzen Fakten wenig.
Und: Ich kenne diese Ignoranz ja auch aus eigener Erfahrung; und kann sie deshalb nachvollziehen - als eine Art Jugendtorheit.
Ich habe bis zu meinem etwa 22. Lebensjahr den Fehler begangen mich mit der Ökonomie der Dinge höchst ungenügend auseinanderzusetzen. Schuld daran war neben der humanistischen und antimaterialistischen Durchdringung meiner Sozialisation unter anderem beschissene Lehrer und ein Tiefstand des Wirtschafts-Journalismus in diesem Land. Erst die zufällig unternommene Beschäftigung mit dem gefährlich trockenen) Wirtschaftsteil der FAZ hat das geändert - seit ich dann eine "Musicbox" über den damals boomende Postpunk in Eire und Nordirland auf einer Geschichte über die Wirtschafts- und Sozialdaten der Insel basiert habe, hat sich die Berücksichtigung eines davor als kulturell insignifikanten Bereichs normalisiert.
Sport ist im Jahr 2011 längst wichtiger Teil der Welt-Ökonomie, ein zentraler Bedeutungsträger was kulturelle Zeichen und Popstartum betrifft (und hat etwa die Popmusik längst in den Schatten gestellt), und selbstverständlich politisch von unerlässlicher Bedeutung.
Ägyptische Fußball-Politik
Und zwar nicht nur hierzulande, sondern schlicht und ergreifend überall.
Hier ein kurzer Überblick zum AFC Asian Cup.
In Katar beginnt morgen der Asian Cup, die kontinentale Meisterschaft, die - nach der höchst umstrittenen Selektion der Emirate für die WM 2022 - als Nagelprobe angesehen wird. Wie überhaupt jeder Schas, der bis dorthin in der Golf-Region passieren wird, genau unter die mediale Häme-Lupe kommen wird (vergleichbar mit dem was vor der WM in Südafrika abging).
Noch deutlicher äußert sich die Vermengung von allem mit allem dieser Tage in Ägypten. Dort findet seit gestern das Nile Basin-Turnier statt.
Das ist ein ein wenig hektisch installiertes Einladungs-Turnier für die Nationen, durch die der Nil, die Mutter aller Flüsse fließt.
Diese Sportveranstaltung hat für den Ausrichter und Einlader Ägypten vor allem zwei Zwecke: einen sportpolitischen und einen politischen.
Zum einen soll der Regional-Verband der ost- und zentralafrikanischen Staaten, die CECAFA destabilisiert werden.
Zum anderen geht es um diverse Bau- und Stau-Vorhaben der Länder am Unteren Nil, die die beiden in vielerlei Aspekten fast vollständig vom Fluss abhängigen Obernil-Staaten Sudan und eben Ägypten direkt beeinflussen.
Die Interessen der Neun Anrainerstaaten divergieren massiv - und Ägypten hat es teuflisch spät gemerkt. Zudem wurde erst unlängst publik, dass einige der Projekte zur Energiegewinnung in den Quell-Ländern auch noch von Israel co-finanziert werden - was die bisher gepflogene Politik der dezenten Ignoranz drastisch veränderte.
Die neue und seltsame Nil-Allianz
Seit etwa Ruanda, Äthiopien, Uganda and Tanzania einen neuen Vertrag zur gemeinsamen Nutzung der Kräfte, die der Nil freisetzt geschlossen haben, ist in Kairo nun Feuer am Dach.
Und neben dem Versuch sich durch Verhandlungen wieder als Player ins wirtschaftliche Geschehen zu bringen, gibt es eben auch die andere Ebene: das Nile-Basin-Turnier.
Sieben der neun Nationen sind dabei: Ruanda verweigert sich ebenso wie das zusätzlich eingeladene Eritrea und auch Äthiopien, die den Ursprung des Blauen Nils beherbergen - ist nicht dabei, angeblich, weil man dort keine Mannschaft zusammenbekommen hat, was bereits zu diplomatischen Verwicklungen geführt hat.
Trotz diverser Rückschläge ist die multilaterale Ökonomisierung des Nils für Ägypten (und auch für den innerlich zerrissenen Sudan, der demnächst wohl in zwei Teile zerfallen wird) so wichtig, dass man bereits deutlich machte dieses Prestige-Turnier (schließlich können sich die deutlich schwächeren Nationen mit dem aktuellen Afrika-Cup-Holder messen) ab sofort jährlich durchzuführen.
Selten lassen sich machtpolitische Vorgänge so schön anhand öffentlich durchgeführter Aktionen beobachten.
Morgen an dieser Stelle: das erste Fußball-Journal von 2011. Es wird um den Umgang mit jungen Menschen gehen.
So jetzt muss ich doch Albert Camus, den Tormann von Racing Universitaire Algérois zitieren, oder besser, erweiternd interpretieren: Das meiste, was ich über die Welt außerhalb meiner sozialen Grundordnung in Erfahrung gebracht habe, ein Großteil dessen, was meine Neugier erweckt hat, hängt direkt oder indirekt mit Sport (und da meist mit Fußball) zusammen.
Wer darauf verzichten mag, tut mir ehrlich leid.