Erstellt am: 5. 1. 2011 - 15:47 Uhr
Journal 2011. Eintrag 5.
Das Jahr 2011 bietet also wieder ein Journal, ein fast tägliches, wie das schon 2003, 2005, 2007 und 2009 der Fall war.
Ein wenig über 300 Einträge werden da schon zusammenkommen, vielleicht auch mehr. Dazu komplettieren noch die wohl wieder 60, 70 Einträge ins Fußball-Journal '11 die diesjährige Blumenau-Show im Netz.
Meist wird es hier Geschichten/Analysen geben, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/sehen/hört hätte, aber nirgendwo gefunden habe; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit ein paar Fragen zur Medien-Moral ein wenig als Anschluss an den gestrigen Eintrag.
Anlass: die Sicherheit, die nur dann vorkommt, wenn sie bedroht, verringert oder sonstwie gefährdet ist - was zur direkten Wahlhilfe gerät.
Wesentlicher Bezugspunkt ist die Rede von Armin Thurnher zur Verleihung des Toleranzpreises des Österreichischen Buchhandels.
In der feiertagsvollen Zeit zwischen den Jahren lese ich mehr als sonst, auch anderes, früher dichter verfolgtes, Amerikanische Zeitungen etwa, wie die USA Today, die ich mir sonst spare. In der Jahresanfangs-Ausgabe hat das US-Massenblatt mit einem Titel aufgemacht, der augenfällig das Interesse weckt: Homicide fall in big cities. Zwischen 46 und 79% Rückgang der Mord-Raten in New York, Chicago und Los Angeles; und zwar in den letzten zwei Jahrzehnten.
Wer wie ich durch die defacto-Investigativ-Serie The Wire positiv versaut ist, weiß um die Tricks, mit denen die entsprechenden Statistiken gefälscht werden und auch um den Strukturwandel der Verbrechen an sich.
Trotzdem ist die Nachricht im Kern realpolitisch bedeutsam und repräsentiert fraglos eine US-amerikanische Entwicklung der letzten Dekaden.
Und eine bis an die Zähne bewaffnete Angsthasen-Gesellschaft, die im Krimi ihre ureigenste epische Erzählform gefunden hat, wird das zur Kenntnis nehmen. Auch weil der "Feind" gegen den man sich rüsten soll (egal ob mit innen-, außen- oder gesellschaftspolitischen Maßnahmen) sich vom Mordsgesellen (alle Nicht-Weißen) rüber zum Terroristen (alle Nicht-Christen) verlagert hat. Aber auch weil die Nachbarschaften tatsächlich "sicherer" geworden sind (die Frage nach dem Preis dafür will ich jetzt hier nicht stellen).
In jedem Fall kommt im Kernland der Hysterie, Bigotterie und der Verschwörungs-Theorie auch diese Nachricht des vorläufigen Endes eines klassischen Traumas durch.
Erfolgs-Modell Soko Ost
In Österreich geht sich das nicht aus. Kann diese Nachricht gar nicht mehr durchkommen.
Rein strukturell.
Dabei gab es, auch knapp vor dem Jahreswechsel, auch anlässlich einer Statistik-Präsentation, Grund dazu.
Es hat sich nämlich auch des Österreichers Lieblings-Angst/Trauma, statistisch ebenso wie gefühlt, in Richtung Minder-Bedeutung verabschiedet: der Wohnungs-Einbruch.
Da ging etwa die Anzahl, die für die "Die Ost-Banden plündern uns aus!"-Panik gesorgt hatte, retour, statistisch. Das heißt: aktuell ist wieder der normale Stand, für den in erster Linie die heimischen Kräfte zuständig sind, erreicht. Auch die Banküberfälle, die eine Zeitlang stark im Ansteigen waren, haben sich aufs alte Level eingependelt.
Zumindest mitschuld daran ist (bei allen schon vorher erwähnten Schönungs-Tricks) auch die in ihren Anfgangszeiten gar hämisch zur Belustigung freigegebene Soko Ost, die sich in Reality-Show-mäßigen Auftritten als technisch rückständige, tendenziel dickbäuchig-schnauzbärtige Truppe präsentierte. Offenbar erreichte die Sonder-Kommission nach den ersten Bauchflecken irgendwann die nächsthöhere Stufe, und schaffte vor allem eines: Bekanntheit und Präsenz. Was die entsprechend organisierten Banden, die ja auch Medien konsumieren und ihre Informanten haben, zur Kenntnis nahmen um sich künftig andere Schwerpunkten zu widmen.
Regierungs-Propaganda
Alles ganz banal, aber ein Erfolg - zumindest im Sinn der Sicherheits-Industrie, die ja mittlerweile auch eine politische geworden ist: SP und VP versuchen da ja alles, um der FP das noch existierende Monopol abzugraben.
Wenn euch jetzt auffällt, dass euch diese Meldung nicht aufgefallen ist, dann ist euch etwas aufgefallen. In den Medien, die die Sicherheits-Panik nie befeuert hatten, war die Nachricht ein bubbling-under-Thema. Aber auch in den Marktschreiern, die jeden Einzelfall zu einem gesellschaftlichen Versäumnis und den Untergang des Abendlandes aufblasen, dem Boulevard also: fast nichts. Ein Zweispalter in der Krone.
Und in Österreich war die Meldung einer von 10 auf einer Doppelseite ausgebreiteten Gründen, warum 2011 "ein gutes Jahr wird".
Womit wir zum angesprochenen strukturellen Problem kommen: diese Doppelseite bewegt sich, auf höchst schwammige Art, zwischen redaktioneller Berichterstattung und ungenügend gekennzeichneter Regierungs-PR. Das ist kein Einzelfall, sondern fast schon die Regel.
Thurnher zitieren schadet nie:
Ich darf in diesem Zusammenhang aus der vielbeachteten Rede von Armin Thurnher zur Verleihung des Toleranzpreises des Österreichischen Buchhandels aus dem November zitieren: "Bei uns ... regiert die Gleichgültigkeit der Eliten, nicht nur der politischen. Längst gibt es wieder eine finanzstarke Klasse; warum benimmt sie sich nicht wie einst das Bürgertum und gibt sich zufrieden mit einer strukturell korrupten Medienlandschaft? Warum nimmt sie, warum nehmen wir die skandalös korrupten medialen Zustände im Land gleichgültig hin?
Korruption bedeutet ja soviel wie Missbrauch seiner Machtstellung zum eigenen Vorteil. Damit meine ich nicht nur die mehr oder weniger offen gestalteten korrupten Verhältnisse von Politik und Medien zueinander. Nicht nur den Gusenbauer-Faymann-Brief an die Krone. Nicht nur die Tatsache, dass ein Krone-Journalist im Küchenkabinett des Bundeskanzlers sitzt. Nicht nur, dass ein Löwenanteil quasi-offzieller Presseförderung in Form von Inseraten fast ausschließlich an die drei österreichischen Boulevardmedien Krone, Heute und Österreich fließt. Nicht nur, dass diese Inseratenflüsse in der Regel durch unsanften Druck von Seiten der Medien am Fließen gehalten werden."
Thurnher bezeichnet - und es wurde ihm seither von niemandem widersprochen - die heimischen Boulevard-Medien als Teil einer struktruell korrupten Medienlandschaft, wo institutionalisiertes Nehmen und Geben, die Verhandlung machtpolitischer und ökonomischer Interessen längst den Zweck der veröffentlichten Meinung, das Übermitteln von Nachrichten und Analysen, abgelöst hat; und sich auch gar nicht mehr bemüht, diese Tatsache großartig zu verschleiern.
Wie der Boulevard die Politik verarscht
Das hat alle möglichen verheerenden Folgen.
Die, um die es mir heute geht, ist die der Entwertung der Nachricht.
Die aktuelle Machtpolitik der Boulevard-Medien funktioniert über Bedrohungs- und Skandalisierungs-Szenarien, die das Interesse der Massen ebenso anlocken soll wie die Beschwichtigungs-Maßnahmen der Politik - die dann, egal ob via Inserat, über Goodwill-Stories oder über Informations-Weitergabe bezahlt.
Die den eigentlichen Panik-Schlagzeilen entgegnenden News finden in diesem Kreislauf gar nicht mehr den Weg zurück in die Schlagzeile. Sie bleiben, dem neuen Verständnis des Boulevards entsprechend, in den in irgendeiner Hinscht entgeltlichen Beschwichtigungs-Notizen der Poltik stecken.
Das ist doppelt fatal.
Zum einen, weil eine Relativierung der (aus rein ökonomischen Interessen, aus reiner Gier) erzeugten Panikmache gar nicht mehr erfolgen kann.
Zum anderen, weil die augenzwinkernd als Regierungs-Gefälligkeiten ausgewiesenen Positiv-G'schichtln schon aufgrund ihrer Machart keiner mehr liest oder ernstnimmt. Was der Politik selber (auch weil sie nach Zentimetern und Sekunden rechnet, statt den Impact zu berücksichtigen) noch nicht in ausreichendem Maße bewusst ist.
Die wird vom Boulevard schlicht verarscht.
Dass dabei der Leser, Konsument, Bürger an allerletzter Stelle kommt - eh klar. Der ist das Faustpfand dieser Unternehmung.
Und wenn man Thurnhers Basis-Definition von Korruption (Korruption = Missbrauch seiner Machtstellung zum eigenen Vorteil) heranzieht, dann ist dieses System strukturell korrupt.
Das Regime der Affekte
Im Übrigen würde die Argumentation der Blattmacher, warum sie die Einbruchs-Rückgänge auch sonst nicht aufs Cover gehoben hätten, so lauten: interessiert keinen. Gute Nachrichten zum Thema Sicherheit lassen sich nicht verkaufen - so sind's die Leut'!
So zynisch, so wahr.
Und es macht den Unterschied zwischen der zwar hysterischen, aber selbstbewussten US-Gesellschaft und der hysterischen und apathischen österreichischen Gesellschaft deutlich. Dieser blinde Fleck wird nicht mehr wegzukriegen sein, und unseren Eintritt in eine postdemokratische Security-Gesellschaft deutlich befördern. Aber das ist eine andere Geschichte.
Um das "Regime der Affekte", wie Thurnher das charakterisiert, das letztlich auf die Abschaffung der Demokratie abzielt, nachhaltig aufzubrechen, ist die Offenlegung genau solcher Strukturen nötig.
Dazu wäre jedoch auch dort aufklärerische Medien-Kritik nötig, wo man sich aktuell noch mit Haifisch- und Feuerwerks-Pipifax zufriedengibt.