Erstellt am: 5. 1. 2011 - 14:34 Uhr
Weißrussland auf dem Weg in die Isolation
Mitte Dezember fanden in Weißrussland Präsidentschaftswahlen statt. Aufgrund von Verfassungsänderungen in der Vergangenheit konnte Präsident Alexander Lukaschenko, der das Land seit 1994 führt, für eine vierte Amtszeit kandidieren. Offiziellen Ergebnissen zufolge hat er bei der Wahl knapp 80% der Stimmen erhalten. Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sprechen von schweren Unregelmäßigkeiten. Auf Proteste des Volkes reagiert Präsident Lukaschenko mit harter Hand. Hunderte Menschen wurden bei Demonstrationen verhaftet, darunter auch Oppositionspolitiker und Journalisten.
Iryna Piarvoikina ist schon vor vier Jahren, nach einer ähnlichen Niederschlagung der Opposition, aus Weißrussland nach Österreich geflüchtet. Sie studiert in Wien und beobachtet, was in ihrer alten Heimat geschieht. "In den staatlichen Medien Weißrusslands werden die Menschen ständig gewarnt", sagt sie. "Es wird gesagt: Wer protestiert, könne wegen Aufhetzung oder sogar wegen Terrorismus strafrechtlich verfolgt werden." Das Land riegelt sich auch nach außen immer mehr ab, zuletzt hat die weißrussische Regierung sogar das Büro der OSZE gesperrt. Informationen über die Lage in Weißrussland, sagt Iryna Piarvoikina, dringen hauptsächlich übers Internet durch: "Die meisten verlässlichen Informationen kommen aus Social-Networking-Plattformen wie Facebook."
EPA/TATYANA ZENKOVICH
Allerdings können sich nur die wenigsten Menschen Computer und Internetanschluss leisten: Das Monatseinkommen in Weißrussland liegt im Durchschnitt bei 200 Euro. Auch an einem öffentlichen Internetcomputer sei die Meinungsäußerung gefährlich: "Seit April 2010 gilt ein Gesetz: Wenn man in ein öffentliches Internetcafé geht, muss man seinen Ausweis mitnehmen. Aufgeschrieben werden werden dann dein Name, deine Passnummer, Datum, Uhrzeit und der Computer, an dem du sitzt."
Bei der letzten Wahl vor vier Jahren hat Iryna Piarvoikina noch selbst als Wahlbeobachterin mitgeholfen - und schon damals Unregelmäßigkeiten bei der Auszählung bemerkt. Den Kontakt mit ihrem früheren Umfeld zu halten, sei schwierig: "Privat kenne ich Ales Michalewitsch. Er hat bei den Präsidentschaftswahlen kandidiert. Derzeit befindet er sich im Gefängnis des KGB. Das tut ziemlich weh, weil er zwei Töchter hat, die Kleinere ist jünger als ein Jahr. Man hatte zuerst keine Ahnung, wo die Leute waren, es bestand tagelang kein Kontakt zu den Verhafteten." Mittlerweile besteht über den Anwalt von Ales Michalewitsch zumindest spärlicher Kontakt.
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Ein anderer Präsidentschaftskandidat wurde vor kurzem freigelassen, dafür kam es Anfang der Woche zu einer neuerlichen Verhaftungswelle gegenüber JournalistInnen und FotografInnen. In einer Zeitungsredaktion wurden sämtliche Computer beschlagnahmt. Iryna Piarvoikina: "Die Leute haben mit Wahlbetrug gerechnet, aber sie haben auf ein knapperes Ergebnis gehofft. Die Menschen sind nicht überrascht - sie sind entsetzt. Eine Sache, die ich von meinen Bekannten übers Internet mitkriege, freut mich aber: Dass die Leute jetzt in der Öffentlichkeit reden! In der Straßenbahn, in den Geschäften. Früher hat man in der Küche geredet oder sich geweigert, die Meinung zu sagen, weil es gefährlich ist. Jetzt reden die Leute auf der Straße miteinander. Denn die Verhafteten unter den Demonstrierenden waren nicht nur Oppositionelle, es waren ganz normale Leute - und das verärgert die Bevölkerung."
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Wie sich die Zukunft von Weißrussland entwickelt, hängt auch von der Politik Russlands und der EU ab. Alexander Lukaschenko hat zu Beginn seiner Karriere als Präsident Weißrusslands eine Annäherung an Russland - und sogar eine Neuauflage der Sowjetunion - propagiert. Einige Jahre später wird er vom russichen Präsidenten Dimtri Medwedew der "antirussischen Propaganda" bezichtigt. Ein Grund für die Spannungen sind die stets wiederkehrenden Debatten über den Preis russischer Gaslieferungen an Weißrussland.
Die Europäische Union wiederum denkt nach jahrelangen Bemühungen um eine Annäherung an Weißrussland jetzt wieder über Sanktionen nach. Aufgrund der exzessiven Gewalt gegenüber der weißrussischen Bevölkerung fordern Deutschland und Schweden bereits ein Einreiseverbot für Alexander Lukaschenko und seine engsten Mitarbeiter - eine Sanktion, die erst vor zwei Jahren ausgesetzt wurde. Gegen Sanktionen spricht sich hingegen EU-Mitglied Litauen aus, selbst eine ehemalige Teilrepublik der Sowjetunion: Der Baltenstaat hält derzeit den Vorsitz in der OSZE und warnt vor einer kompletten Isolierung Weißrusslands, sowohl vom Osten, wie auch vom Westen.