Erstellt am: 4. 1. 2011 - 19:30 Uhr
Schöne neue Medienwelt?
"Ungarn führt die Zensur ein", "Umstrittenes Mediengesetz in Kraft" und "eine Schande für die Europäische Union" - so betitelten diverse deutschssprachige Zeitungen in den vergangenen Tagen ihre Berichte über Ungarn, das seit 1. Jänner 2011 für ein halbes Jahr die EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat. Seit Jahresanfang ist auch ein neues Mediengesetz in Kraft und eine neue Medienbehörde (NMHH) hat bereits ihre Arbeit aufgenommen.
Das erste Ziel der Behörde, die direkt der Regierung unterstellt ist und deren Leiterin auf neun Jahre bestellt wurde, war das freie Radio Tilos in Budapest. Die Radiostation, die alternative Musik spielt und ideologisch eher links orientiert ist, muss sich wegen der Ausstrahlung des Ice-T Songs "It's on" verantworten. Derzeit wird noch geprüft, ob es, laut ungarischem Mediengesetz, strafbar war den Song, der wie viele Gangsta-Rap-Stücke Gewalt- und Sexismusversatzstücke beinhaltet, vor 21.00 Uhr auszustrahlen. Bei einer Verurteilung droht dem Radiosender jedenfalls eine hohe Geldstrafe, die das Aus für das älteste freie Radio Ungarns bedeuten könnte. Diese Vorgangsweise lässt vermuten, dass die neue Medienbehörde vor allem kleine, unangenehme Medien mundtot machen möchte. Doch heute wurde bekannt, dass auch gegen die private Fernsehstation RTL Klub, eine Tochter des deutschen RTL-Senders, bereits ein Verfahren läuft. Im Oktober 2010 hatte der Sender über einen Brudermord in einem ungarischen Dorf berichtet und, wie es heißt, zu "reißerische" und "für Jugendliche sehr schockierende" Bilder gezeigt. Die Ergebnisse beider Verfahren stehen noch aus.
Regulierende Medienbehörden gibt es in fast jedem europäischen Land - wo liegen die Gefahren in Zusammenhang mit der neuen ungarischen Medienbehörde? Kann man tatsächlich von einer Zensur sprechen? Welche Auswirkungen haben die angedrohten Strafen auf Journalisten und Medienunternehmen? Für Antworten auf diese Fragen haben wir heute Anthony Mills vom International Press Institute in Wien, einer Organisation, die sich für die Wahrung der Pressefreiheit einsetzt, ins FM4 Studio gebeten.
Anthony Mills: Der neuen Medienbehörde fehlt es gänzlich an Unabhängigkeit, da ihre Mitglieder von der rechtskonservativen Fidesz-Regierung (Anm. Sie hat eine 2/3-Merheit im Parlament) bestellt worden sind. Außerdem ist ihre Macht allumfassend. Das heißt, die Behörde kann im Grunde alle Medien - nicht nur die öffentlich-rechtlichen - überwachen und kontrollieren. An den Beispielen des Senders RTL Klub und Tilos Radio wird das neue Gesetz jetzt erstmal getestet.
Mari Lang: Interessant ist, dass beide Ausstrahlungen, sowohl bei Tilos Radio als auch bei RTL Klub schon im vergangenen Jahr passiert sind. Wiese greift dieses neue Gesetz auf Geschehnisse aus 2010 zurück?
Es kann sein, dass die Regierung jetzt mal ein bisschen ausprobiert, wie sie diese neuen Regeln einsetzen und wie weit sie gehen kann. In den kommenden Monaten werden wir jedenfalls sehen, wie weit die Medienbehörde gehen wird.
In dem einen Fall sprechen wir von Song-Lyrics, in dem anderen von einer Reportage, das heißt einem klassischen journalistischen Gestaltungselement. Die Gefahr ist natürlich, dass diese Behörde, wenn sie von der Regierung kontrolliert wird und die Macht hat, auch Privatsender so zu überwachen, schlussendlich entscheidet, worüber berichtet wird und worüber nicht. Sollte ein Privatsender eine Reportage über eine Korruptionsaffäre machen oder etwas, das die Regierung in einem schlechten Licht darstellt, hätte die Behörde die Macht, die Privatsender sowie die öffentlich-rechtlichen Medien davon abzuhalten, darüber zu berichten.
Die öffentlich-rechtlichen Medien stehen fast noch schlechter da. Denn auch da gibt es eine neue Behörde, die dafür zuständig ist, alle Inhalte zu kontrollieren. Der Chef dieser Behörde hat - ungarischen Medien zufolge - vor ein paar Monaten gesagt, dass die Rolle der öffentlich-rechlichen Medien Regierungstreue sein sollte, und dass sie der Opposition fair gegenüber stehen sollten. Das widerspricht natürlich der Aufgabe von öffentlich-rechtlichen Medien. Denn sie sind nicht da, um einer Regierung zu dienen, sondern um der Bevölkerung eines Landes einen unabhängigen Austausch von Ideen darzustellen.
NMHH kann Medien, die gegen das Mediengesetz verstoßen, mit Strafen versehen - unter anderen mit hohen Geldstrafen. Was bedeutet das denn für ein freies Radio, wie das Tilos Radio, einen kleinen Radiosender, der ohnehin nicht viel Geld hat?
Die Strafen können tatsächlich so hoch sein, dass sie die Existenz dieser Medien bedrohen. Die Journalisten, mit denen ich gesprochen habe, befürchten, dass es dadurch zu Selbstzensur kommt. Das heißt, dass Sender in Zukunft eher nicht über Themen berichten werden, die zu Geldstrafen führen könnten. Das heißt auch, dass die Bevölkerung wichtige Informationen vielleicht nicht mehr bekommen wird.
Es gibt ja auch sehr viel freie Journalisten, müssen die damit rechnen, dass sie - wenn sie investigative, gut recherchierte Berichte machen, die nicht "regierungstreu" sind, keine Aufträge mehr bekommen?
Was wir befürchten, ist, dass es in der ungarischen Medienlandschaft bald keine Ideen-Vielfalt mehr geben wird - dass das nur mehr eine Reflektion der Ideen der Regierung sein wird. Dass die öffentlich-rechtlichen Medien nur mehr das bringen, was die Regierung will, und dass es bei den Privatmedien immer mehr zur Selbstzensur kommt, und dass das Recht des Volkes informiert zu werden, wegfallen wird.
Dieses neue Mediengesetz wird ja auch schon vielerorts kritisiert, es gibt aber auch Kritiker der Kritiker, die zum Beispiel sagen, dass Jugendschutzgesetze wichtig sind, dass es wichtig sei Medien zu kontrollieren, damit sie nicht explizit Mord und Totschlag zeigen können, etc.. Was sagen sie denn dazu?
Keiner der Kritiker des neuen Gesetzes ist dafür, dass die Medien Narrenfreiheit haben. Ich denke aber, dass die ungarische Regierung die Kritik - von den Journalisten, Pressefreiheitsorganisationen, verschiedenen Regierungen in Europa, darunter Deutschland, Luxemburg, Großbritannien, bishin zur OSCE und der Europäischen Komission, die jetzt gerade mitgeteilt hat, dass sie Fragen zu dem Gesetz hat - sehr ernst nehmen sollte.