Erstellt am: 4. 1. 2011 - 11:11 Uhr
Journal 2011. Eintrag 4.
Das Jahr 2011 bietet also wieder ein Journal, ein fast tägliches, wie das schon 2003, 2005, 2007 und 2009 der Fall war.
Ein wenig über 300 Einträge werden da schon zusammenkommen, vielleicht auch mehr. Dazu komplettieren noch die wohl wieder 60, 70 Einträge ins Fußball-Journal '11 die diesjährige Blumenau-Show im Netz.
Meist wird es hier Geschichten/Analysen geben, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/sehen/hört hätte, aber nirgendwo gefunden habe; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Manchmal wie heute wird eine bereits angebrochene Debatte weitergeführt. Am 1.12., zu Beginn der Cablegate-Veröffentlichungen von WikiLeaks habe ich die Rolle der hiesigen Qualitäts-Medien im Panikmacher-Chor der Pharisäer angesprochen - in der Geschichte Insubordinationen. Ziviler Ungehorsam macht Macht-Bewahrer seit jeher nervös.
Der von mir dort angeführte Investigativ-Journalist Florian Klenk hat sich falsch verstanden gefühlt - und gestern, als mir eine neue WikiLeaks-Veröffentlichung untergekommen ist, poppte das Thema wieder auf; zum nochmaligen Durchdenken.
Ich könnte damit anfangen, dass ich gestern gelernt habe, dass sämtliche große bulgarische Fußball-Vereine Verbrechern gehören.
Ich könnte mit dem Spruch des österreichischen Presserats beginnen, der nicht veröffentlicht werden darf.
Es gibt aber auch die personalisiert zugespitzte boulevardistische Möglichkeit das heutige Journal zu eröffnen.
Die geht so: Florian Klenk war ein wenig angepisst und ich kann es verstehen.
Mir liegt nun nichts ferner als einen der maximal fünf Mutigen dieses Landes anzuagitieren - aber innerhalb der niederen österreichischen Diskursdichte, wo eben nur eine Handvoll Menschen überhaupt eine öffentliche Äußerung, die eine eigene Idee in sich trägt, riskieren (anstatt die siebzehnte gediegene aber uninspirierte und dadurch auch flache Analyse zur Lage abzusondern und sich dafür die ich-war-im-Wochenend-Standard-Meriten abzuholen, die genau deswegen eben gar nichts mehr bedeuten), geht es oft gar nicht anders.
Der Anlass-Fall waren die Cablegate-Enthüllungen von Wikileaks.
Der herausragende Investigativ-Journalist Klenk hatte sich und seine in Österreich kaum existente Spezies dadurch angegriffen gefühlt und im Falter ein paar Dinge publiziert, die mir als Angriffsfläche für eine Geschichte mit dem Titel Insubordinationen gegeben hatte.
Die Sache mit der Vorgeschichte
Klenk hatte, als Teil einer unbeabsichtigten Koalition mit konservativen, marktliberalen aber auch nach Regulativen schreienden Kollegen, die Deutungshoheit in Bezug auf von Medien verarbeiteten Geheimnisse bedroht gesehen.
Das wäre, so lautet der kollektive Schluss, nur in der Sorgsamkeit und dem Berufs-Ethos von "Old Media" möglich und nicht bei den ungelenken und vor Missionierertum übersprudelnden neuen Blogger-Elite der Marke Assange.
Abgesehen davon, dass es in Österreich keinen funktionierenden Presserat, also auch keinen Ethos gibt und die Sorgsamkeit im Umgang mit wahrlich Explosivem auch ein sehr relatives Gut ist - mir riecht das alles nach einem in dieser Härte überflüssigen Abwehr-Kampf der alten Platzhirschen, die die aktuelle Gesamt-Bedrohung des Journalismus (der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts) mit gewandelten Konsumenten-Bedürfnissen und veränderten Kommunikationsströmen gleichsetzen.
Klenks gefühlsmäßig deutlich zu heftiges Einstimmen in den erwähnten Chor hat sich kurz darauf, in einem Club 2 zum Thema, in dem er neben Konrad Becker und Erich Möchel Teil einer, wie ich finde, grandiosen Runde von Analysten und Erhellern war, wieder relativiert, argumentierte er da doch deutlich differenzierter als noch in der Falter-Ausgabe.
Die Sache mit dem journalistischen Ethos
Vielleicht war er deshalb angepisst, in seiner am nächsten Tag erfolgten Reaktion auf meine Gegen-Polemik. Nicht im Wortlaut, nur in den Zwischentönen. Wie gesagt, ich kann es nachvollziehen.
Klenk sagt, dass ich ihn nicht richtig verstehen würde. Es gehe weder um Skandalsierung noch um Einzementieren der Deutungs-Hoheiten oder dem Bewahren von Herrschaftswissen, sondern um den Wert des Journalismus (egal welcher Art der sei); genauso wie um den Wert von geschützten Bereichen in einer Gesellschaft.
Das wären Dinge, die man nicht, auch nicht unter Berufung auf irgendwelche höheren Ideale in die Tonne treten könne.
Das ist eine Erwiderung, die niemand nicht unterschreiben würde.
Zwei Wochen nach dem Club legt Klenk in einem Falter-Kommentar, der auch auf seiner eigenen Homepage nachzulesen ist, dann nach. Und zwischen allen möglichen Assange-Flamereien und der Erkenntnis, dass Wikileaks mit seinen Infos genauso schamlos taktiert wie jedes andere Medium das tun würde (was eigentlich bedeuten müsste, dass die davor gepflogene Herbeischreibung eines himmelhohen Unterschieds gegessen wäre; immerhin), findet sich dann auch dieser Satz: "Die Zeitungen kritisieren zwar Assange, aber sie verabsäumen es, der jungen Internetgeneration den Wert, das Handwerk, das Ethos und die Arbeitsbedingungen ihrer gutbezahlten Aufdecker zu erklären." Dann zitiert Klenk Leyendecker, stellt den Re-Check und die Gewichtung heraus, die die "alten" Medien naturgemäß besser beherrschen würden als das reine Anspiel-Portal.
Womit wir dann auch bei der Symbiose wären, die WikiLeaks mit weltweit wichtigen Medien bereits eingegangen ist.
Die Sache mit den Kosten und der Handvoll an Gerechten
Vollständige Zustimmung. Und natürlich wird sich ein Qualitäts-Medium von den vielen medialen Dreckschleuder, von den Kampfwaffen der Interessensgruppen immer genau darin unterscheiden. Dass es abwägt, was wann wie und wo veröffentlicht wird, weil da immer Menschen und Leben dranhängen. Und im besten Fall lieber Vorsicht walten lassen als Unschuldige zu gefährden,
Unterschrieben.
Allerdings: wie viele, und ich will das Worft "gutbezahlt" außen vor lassen, wie viele Aufdecker gibt es aktuell in Österreich? Ich komme auf vier oder fünf.
Also: wie soll sich das ausgehen?
Wie sollen eine Handvoll Menschen einen Berufsstand vertreten?
Alles in Klenks Argumentation läuft auf ein funktionierendes Presse-Wesen hinaus, bedingt ein gemeinsame Stoßrichtung, geht also von etwas aus, was nicht existiert. Gegen Ende seiner Geschichte sagt er es selber: es würde eine Menge an brisantem Enthüllungs-Zeug direkt vor jedermanns Nase liegen, aber aus den erwähnten Kostengründen nichts passieren.
WikiLeaks operiert in einem anderen Denkraum.
Wenn tausende Cables aus US-Botschaften rund um den Globus offengelegt werden, dann wertet und checkt niemand nach, dann wird gefährdet und verraten. Das ist ein Problem in vielerlei Hinsicht, ja.
Die Sache mit den bulgarischen Mafia-Ringern
An die noch vor ein paar Wochen raustrompetete Alternative - man würde das alles nicht brauchen, die alten Medien könnten den "Job" eh viel besser, glaubt aber keiner mehr, Klenk zumindest nicht.
Die Cables zeigen jedem, was er/sie sehen will, insofern sind sie den vorgescreenten Old-Media-Veröffentlichungen (die ja auch zu 95% aus Interessensabwägungen erfolgen und nur in Ausnahmefällen, zu denen der Falter definitiv gehört, einem Berufs-Ethos gehorchen) sehr ähnlich.
Wenn man sich die Botschaften seiner Umgebung rausholt, bleibt man lokal, wenn man den Tratsch sucht, bleibt man Seitenblicker, wenn man die High Politics forciert, bleibt man Amateur-Portisch.
Wer sucht, wie ZurPolitik wird finden und sich womöglich aus diversen Mosaik-Steinen ein Kaleidoskop des Welt-Zustands herausdestillieren, das sich auf anderem Weg niemals eröffnet hätte.
Die APA hat die Geschichte gebracht und die Wiener Zeitung etwa hat sich ihr liebevoll angenommen.
Eine am 30.12. innerhalb eines gemeinsamen Pakets mit El Pais veröffentlichte Depesche etwa von der Botschaft in Sofia von Anfang des Jahres zeigt in wunderbarer, fast schon investigativer Weise den hierzulande vielleicht nur mich und drei andere interessierenden Zustand des bulgarischen Fußballs auf - als korrupten Haufen, als Geldwaschanlage der dortigen Mafia-Bosse, die auf schöne Namen wie "The Skull" hören oder deren Banden "Die Ringer" heißen, Wettbetrug, Spiel-Manipulation und Steuer-Betrug betreiben und die gesamte Liga, alle großen Clubs bis hin zum Verband unter ihre Kontrolle gebracht haben. Mit besten Verbindungen zur Staatsmacht selbstverständlich. Deren lodernde Untätigkeit der Grund für dieses lapidare US-Cable (das sich irgendwie in der Tradition klassischen analytischen angloamerikanischen Journalismus befindet) ist.
Die Sache mit WikiLeaks
Offenbar gab es lokale Veröffentlichtungen, gibt es bulgarische Aufdecker - aber erst eine globale Aufmerksamkeit kann hier seriösen Druck machen; und wenn es sich nur darum handelt, dass nun jeder Bescheid weiß und die entsprechenden Erhebnisse sortieren kann.
Das sind Ergebnisse, die die lokalen Klenks niemals hätten erzielen können.
Im übrigen sind bei den Cables, die Österreich betreffen einige Namen (von Informanten) geXt, also quasi geschwärzt worden. Von wegen Schutz der Informanten.
Für Eröffnungen wie diese sage ich den gewissenlosen Nachrichten-Reinstellern und Geheimnisverrätern meinen Dank. Weil das Dinge betrifft, die andere eben nicht leisten können, einfach weil "Old Media" noch allzu lokal, bestenfalls national denkt.
Darin liegt die große, seltsamerweise kaum beachtete Qualität von WikiLeaks: in der globalen Bündelung. Weshalb ich, wäre ich investigativer Journalist, eher eine Kooperation anstreben würde um dann alles, was journalistisch notwendig ist, einzubringen. Also eine weitere Quelle nützen, anstatt zuerst einmal die Unrechtmäßigkeit der Veröffentlichungen zu thematisieren und den Begriff der Transparenz so hinzudrehen, dass er die Whistleblower belastet.
Nichts gegen eine prinzipielle Abwehrhaltung, wenn man sich (wie ich finde: ohne jede Not) bedroht fühlt: aber mit dem nötigen Abstand von ein paar Wochen ist ein anderer, ein offensiver und unaufgeregterer Zugang schon angebracht. Which is happening, glücklicherweise, sofern ich die Zeichen richtig deute. Zumindest bei den bereits erwähnten wenigen Mutigen, bei denen, auf die es ankommt.