Erstellt am: 4. 1. 2011 - 15:00 Uhr
Retrospiralnebel einer neuen Popgalaxie
Das FM4 Geburtstagsfest am 22. Jänner 2010 in der Arena, Wien
Ein schmatzender Synthie zischelt im Ohr, während über einen trockenen Groove und scheppernde Basssaiten eine Stimme davon erzählt, mit Gewohnheiten zu brechen. Der zackige Rhythmus wird durch angezerrte Gitarrenakordzerlegungen ergänzt und mündet schließlich in einen aufbrausenden Refrain, über dessen harmonische Wogen Ben Martin davon singt, der Kapitän seines Schiffes sein zu wollen.
I Am Cereals
In Wahrheit ist der Schlachtkreuzer I AM CEREALS, mit dem der niederösterreichische Musiker schon vor zwei Jahren in die heiß umstrittenen Popgewässer vorgedungen ist, nur ein Teil seiner musikalischen Flotte. Denn neben seinem Soloflaggschiff Ben Martin gehört auch der Aufklärer The Black Riders zu seiner kreativen Armada. Schon 2009 war auf die oft gestellte Frage "Are you cereals?" der frenetische Beifall von rund 1700 Menschen am Lautesten. So stehen die sechs Frühstücksflockenfetischisten im gleichen Jahr auch glatt am yello carpet des Austrian Amadeus Music Awards und somit als gewitzte human vocoder im Finale.
Was jedoch die Wenigsten wissen ist, dass bald nach dem selbstbetitelten Debüt und während ausgiebigem Touren die Teleskope auf neue akustische Welten ausgerichtet wurden. Schon damals haben Ben Martin und seine Crew die glitzernden Elektrofunken einer Galaxie erspäht, die uns erst jetzt, knapp zwei Lichtjahre später mit ihren Polarringen umschließt.
Sira-Zoé Schmid
Die Armee des Lichts
Die glitzernden Keyboardtöne und blendenden, wabbernden Synthieflächen überwiegen nicht nur bei dem Eröffnungs- und Titelstück "Galaxy". Auch der nachfolgende, smoothe und sofort eingängige Pophit "My Reality" ist trotz realem Schlagzeugspiel eindeutig von den digitalen und analogen Maschinen geprägt. In diesem - stark an die 1980er Jahre erinnerndem - Sounduniversum ist das Ben Martin-sche Gitarrenpiel lediglich ein schnell vorbeihuschender Komet aus einer der Nachbargalaxien. Selbst bei dem dancigen, schweißtreibenden Groovemonster "Waiting" klingen die sechssaitigen Melodien, als würden sie nur von den Langstreckensensoren in die Kommandobrücke übertragen werden, was dem ganzen Tanzbodenfeger eine wirklich galaktische Atmosphäre verleiht.
I Am Cereals
Erst mit der unruhigen, aufwühlenden und gleichzeitig melancholisch anmutenden Uptempo-Nummer "If Only" kommt einem der früher sehr divergente Klangfluss in Erinnerung. Denn eines ist schon nach den ersten Songs klar: die neue Popgalaxie von I Am Cereals erstrahlt durch ihre kompakte Kongruenz ihrer dichten Soundnebel. Die zwölf Songs sind stringenter, folgen einer "einheitlicheren" Atmosphäre und springen nicht mehr ganz so ungestüm von einem Genre in das nächste. Es herrschen klare Popstrukturen vor, die durch eine gewisse Reduktion gleichzeitig mit arrangementtechnische Feinheiten ausstaffiert werden. Dabei gewinnen Melodien und Refrains eindeutig an Präsenz, während die klangliche Ästhetik in den Zeiten der breiten Snare-Sounds und analogen Synthie-Arpeggios angesiedelt ist. Dabei kommt aber auch das eine oder andere Funk-Riff nicht zu kurz, das zum Beispiel dem großartigen Chorus von "18 Needles" eine in die Beine gehende Dringlichkeit verleiht.
Die Band um die beiden Fixsterne Ben Martin und Bauchklang Beatboxer Gerald Huber besteht aus Schlagzeuger Daniel Letschka, Bassist Christoph Richter und den Keyboardern Felix Teiretzbacher sowie Marcus Hufnagl. Sie haben sich auf dem zweiten Werk erneut in verschiedenen Etappen ins Studio zurückgezogen, um in spontaner und sehr effizienter Jam-Arbeit die Grundgerüste zu erarbeiten, die in weiterer Folge behutsam, detailgenau und mit euphorischem Experimentierdrang zu den kunstvollen Popplaneten modelliert wurden.
Dunkle Materie
Wie schon beim Debüt bleiben I Am Cereals auch diesmal nicht in der seichten, hedonistischen Partywelt stecken. Zu vielschichtig sind die Themen, die auf "Galaxy" angesprochen werden. Individualismus, Todesstrafe, Liebe, Lügner und der Alltag sind nur einige Bestandteile, denn schließlich geht es fast schon im Douglas Adams-schen Sinne um das Leben, das Sounduniversum und den ganzen Rest.
Sira-Zoè Schmid
Genau diese manchmal dunklen Schichten, die sich zwischen die hell glitzernden Discotanzflächen schieben, erzeugen eine sich über das ganze Album erstreckende Spannung. Von Trübsal und Depression sind Ben Martin, Gerald Huber und Co. jedoch weit entfernt. Schließlich bieten Songs wie "You Know What" eine klare Alternative, nämlich sich den schwierigen Dingen nicht nur zu stellen, sondern Kummer und Leid durch extatischen Tanz auch zu überwinden. Und das machen einem I Am Cereals mit ihrem fetten, gut produzierten Songs wirklich leicht.
Apropos Tanzen: Die neue "Galaxy" von I Am Cereals wird von der Armee des hellen Discolichts höchstpersönlich am 22. Jänner erstmals live beim FM4 Geburtstagsfest präsentiert.