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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

2. 1. 2011 - 13:25

Handyklauen gegen Gentrifizierung?

Berlin Protest 2011: Mit Rammstein und Motte gegen Kastanie 21

Nun ist es also da, das neue Jahr, und man fragt sich: "Was wird uns 2011 bringen?"

In Deutschland wurde ja "Wutbürger" zum Wort des Jahres 2010 gewählt, der Normaldeutsche ist angeblich rebellischer und renitenter geworden. Aber in Berlin ist wie immer alles anders.
Hier gibt es zwar nach wie vor viel Wut, aber wenig Bürger. In den Innenstadbezirken Berlins ist man links-alternativ bis grün- wertkonservativ, der Rest der Stadt ist proletarisch-prekarisiert - aber auch ohne den Wutbürger nach Stuttgarter Vorbild wird 2011 in Berlin das Jahr der Proteste werden.

Dagegen sein ist ja erst mal immer gut und zu vielen städtischen Bauvorhaben haben sich schon Wut-Bürgerinitiativen gebildet, z.B. gegen den zu erwartenden Fluglärm des neuen Großflughafens Berlin-Brandenburg, gegen den Ausbau der Stadtautobahn, gegen Gentrifizierung des Spreeufers und Luxusappartements auf dem stillgelegten Flughafen Tempelhof.

Protestierende mit transparent gegen Fluglärm

Henning onken

So sehen Berliner Wutbürger aus den Außenbezirken Mahlow-Lichtenrade.

Kastanie 21

Relativ neu ist die Protestbewegung "Kastanie 21". Die Kastanienalle - auch liebevoll Castingallee genannt - liegt mitten in dem schlimm gentrifizierten Bezirk Prenzlauer Berg, in einer Eiapopeia-Kinderbabywelt mit "Lila Lämmchen"-Bioseide- Kinderbekleidungsgeschäften, pittoreskem Kopfsteinpflaster,
Kindereiscafés und gewaltbereiten Latte-Macciato- Kampfmüttern, die mit ihren 800 Euro-Kinderwägen alles überrennen, was sich ihnen in den Weg stellt.

die kanstanienallee in berlin

Roesinger

In diesem Horrorszenario ist die chaotische Kastanienallee die einzige Straße, die noch an den wilden Osten erinnert.
Aber sie ist eigentlich zu schmal für den regen Verkehr aus Straßenbahn, Radfahrern, Bussen und Autos. Deshalb soll sie nach einer Idee des grünen Stadtrats verbreitet werden, das heißt die Gehwege werden kleiner.

Dagegen wird jetzt mit prominenter Unterstützung protestiert. In der Kastanienalle wohnt schließlich Dr. Motte, der Erfinder der Loveparade, FAZ-Journalisten treffen sich in der Bar 103 in der Kastanienallee, die Band Rammstein hat ihre Unterstützung zugesagt - die mediale Aufmerksamkeit für das Protestprojekt ist also gesichert .

Wem gehört die Stadt?

Die ganzen Protestbewegungen lassen sich auch 2011 unter dem Motto "Wem gehört die Stadt?" zusammen fassen."Denen die drin leben!", will man darauf antworten. Das sieht auch die autonome Zeitschrift interim so und ruft eine militante "Antitourismus-Kampagne 2011" aus. Der boomende Berlin-Tourismus sei Teil der Aufwertungs- und Verdrängungstendenzen in der Stadt - dagegen könne "sichtbare Alltagskriminalität" helfen. Das heißt "Geldbörsen und Handys im Vorbeifahren von den Tischen der Fressläden klauen, Autos anzünden, Hotels einwerfen, Müll verursachen, Touribusse bewerfen". Die folgende Polizeipräsenz werde die Kieze für Investoren unattraktiv machen, heißt es.

häuserwand auf der "kapitalismus zerstört" steht

fensterzumhof.eu

Das mit dem Kapitalismus stimmt zwar immer, aber diesmal geht es um grüne Verkehrsberuhigung die normiert und zerstört.

Ob dieser Plan gelingt? Eine verstärkte Polizeipräsenz macht die Kieze ja auch für die Bewohner unattraktiv. Und Touristen sind nicht gleich Touristen, sie nerven die Einheimischen mehr oder weniger und tragen nicht überall zur Gentrifizierung bei.
Hostelhorden machen viel Lärm und Dreck, bringen aber Geld und reisen wieder ab, einen Hostelbaustopp für Kreuzberg-Friedrichshain gibt es schon und schlimmer sind eigentlich die betuchten Langzeittouristen die hier teure Wohnungen beziehen und die Preise und den Flair der Kieze verderben.

In der linken Szene findet der Aufruf zum Handyklau wenig Anklang. "Wir beteiligen uns an sozialen Kämpfen, nicht am Handyklauen", so der Sprecher der Antifaschistischen Linken Berlin. Recht hat er, und soziale Kämpfe wird es auch 2011 genug geben.