Erstellt am: 31. 12. 2010 - 11:38 Uhr
2010 abgesagte Abschiebungen
Es gibt kaum ein politisches Themengebiet, das so polarisiert. Selbst bei gesellschaftlichen Spaltpilzen wie Studiengebühren, Föderalismus oder Gesamtschule gibt es vergleichsweise rationale Diskurse, bei denen Parteigrenzen verschwimmen, Parteilinien verändern können. Nicht so beim Asylrecht, also bei der rechtlichen Ausgestaltung des völkerrechtlich eindeutig definierten Begriffs von Flüchtlingen und ihren Rechten. In kaum einem anderen Gebiet sind sich die österreichischen Parteien über die Grundsätze so einig und stehen sich bei der Umsetzung in so unversöhnlichen Lagern gegenüber. Und bei kaum einem anderen Thema kann man anhand des eigenen Standpunktes deutlicher eine Wahlentscheidung treffen. Das macht den an sich indiskutablen Asylbegriff zu einem griffigen Thema für die politische Imagebildung im täglichen Wahnsinn eines gefühlten Dauerwahlkampfes.
- Rewind 2010 - FM4 Jahresrückblick
Das Asylrecht ist im vergangenen Jahrzehnt immer weiter verschärft worden, mit der Dublin-Verordnung als rechtliche Rückendeckung können AsylwerberInnen in sogenannte sichere Drittstaaten abgeschoben werden, in denen ein faires Asylverfahren unwahrscheinlich ist und dank des Zauberwortes Asylmissbrauch herrscht ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber Flüchtlingen, das bis zur Beweislastumkehr führen kann.
Es hat erstaunlich lange gedauert, bis die Gegnerschaft einer restriktiven Einwanderungspolitik (denn darum geht es letztlich) eine erfolgreiche Strategie gefunden hat, mit der sie auf die Härten des Asylrechts und mehr noch dessen Auslegung und Anwendung gefunden hat. Diese Strategie basiert darauf, dass die Schülerin Arigona Zogaj im September 2007 beschließt, sich gegen die Abschiebung ihrer Familie in den Kosovo zu wehren, untertaucht und dramatische Apelle an die Öffentlichkeit richtet. Selten zuvor waren sich österreichische Medien in einer Sache so einig, wie darin, dass dieses Mädchen mit dem oberösterreichischen Dialekt und den Rehaugen bestens integriert ist und bleiben dürfen sollte.
APA / Manfred Fesl
Die letztinstanzliche Entscheidung von Juni 2010, dass die Ausweisung der Familie Zogaj korrekt war, ist da nur mehr Nebensache. Arigona durfte wieder einreisen und Asyl-NGOs haben gelernt, effektiv Öffentlichkeit zu schaffen.
Das Jahr 2010 ist unter dem Motto gestanden, diese Strategie zu verfeinern, zu perfektionieren. Von der Vorarlberger Familie, die von rund 50 Nachbarn inklusive Bürgermeister vor der Abschiebung bewahrt worden sind, über den Fall des neunjährigen Bernard Karrica bis hin zu den
Komani-Zwillingen - von spontanen, mehr privaten Initiativen, über den Verein Ute Bock bis hin zu Purple Sheep und dem Freunde Schützen Haus. Waren Demonstrationen gegen Abschiebungen Anfang des Jahres kurzfristig zu organisierte, daher tendenziell kleine und medial nur durch glückliche Fügung größer wahrgenommene Aktionen, gibt es mit dem Freunde Schützen Hause nun eine Zentralstelle für von der Abschiebung Bedrohte, eine Adresse, an der schnell und effektiv DomonstrantInnen und JournalistInnen zusammengetrommelt werden können, ein Ort, der im Kurzwahlspeicher der Navis der Fremdenpolizei an erster Stelle liegt.
FM4 Claus Pirschner
Damit erreicht man ein Maximum an medialer Aufmerksamkeit (die natürlich auch die Polizei zu nutzen weiß) und kann anhand von Einzelfällen medienwirksam die Härten, die Ungerechtigkeiten, die Unsinnigkeiten des Systems zu zeigen. Damit begeben sich die OrganisatorInnen des Freunde Schützen Hauses aber auch auf einen sehr schmalen Grat zwischen Hilfe für Schutzbedürftige und medialer Inszenierung von AsylwerberInnen und ihrem Leid.
Kritik an diesem Weg, am Freunde Schützen Haus und der dort engagierten Rechtsberaterin Karin Klaric hat nicht lange auf sich warten lassen. Michael Genner, Obmann des Vereins Asyl in Not hat sich vor Kurzem mit einem offenen Brief gegen Klaric gewandt, deren Antwort natürlich schnell folgte. Aber egal, ob es sich dabei nur um einen neidgetragenen Streit um mediale Aufmerksamkeit und damit Spenden handelt, oder ob die Vorwürfe stimmen: Es ist die Grenze des guten Geschmacks, die den Asylbereich im Jahr 2011 bestimmen wird.