Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Kommunardin und Königin "

Elisabeth Scharang

Geschichten über besondere Menschen und Gedankenschrott, der für Freunde bestimmt ist.

31. 12. 2010 - 15:12

Kommunardin und Königin

Ein Doppelzimmer Spezial mit Claudia Mühl am 1. Jänner von 13 bis 15 Uhr.

„Da trifft man kaum einen, der nicht schon Therapien hinter sich hat, die Drogenszene durchwanderte, sich als Mönch auf Ceylon versenkte, an einer Zweierbeziehung wie im Beruf gescheitert ist oder unter sexuellem Notstand ächzt. Kinder des Väterchen Frust“, beschreibt DER SPIEGEL-Journalist Fritz Rumler 1977 seinen revolutionsmüden LeserInnen den Besuch am Friedrichshof im Burgenland. Es war die Zeit, in der linke Gruppen in Berlin sich mit den Mühl-Kommunarden regelrechte Schlachten geliefert haben, als diese im Hörsaal der Universität für neue Mitglieder und das Leben in der Kommune warben. Der Sektenvorwurf wurde auf Seiten der Kommunekritiker laut; „spießiges, angepaßtes Beziehungswichteltum“ und „das Hockenbleiben in der Theorie aus Angst vor der Praxis“ lauteten die Gegengeschosse der Kommunarden.

Heute sind es fast vierzig Jahre, dass sich die Kommune um den Wiener Aktionisten Otto Mühl gegründet hat; um ihre Geschichte zwanzig Jahre später, Anfang der neunziger Jahre, als Skandalschlagzeile in den Medien zu beenden. Die Verurteilung Otto Mühls zu sieben Jahren Haft wegen Unzucht mit Minderjährigen ist in der öffentlichen Wahrnehmung nahezu das einzige, was von der Sozialutopie geblieben ist. Gemeinschaftseigentum, freie Sexualität, Kunst als Teil des Alltags, Kreativität statt wirtschaftliche Potenz als Wertesystem - all diese Ansätze eines gelebten Gegenentwurfs zu unserer Gesellschaft sind letzten Endes daran gescheitert, dass wenige zu mächtig geworden sind und zu viele die Verantwortung abgegeben haben.

Beim Schutz der Kinder, die es sich nicht aussuchen konnten, ob sie Teil der Kommune sind oder nicht, haben die Kommunarden versagt. Dass der fehlende Schutz der Schwachen allerdings zum Alltag in unserer gegenwärtigen Gesellschaft gehört, wird von den Kritikern der Kommune stets unter den Tisch gekehrt – es wird mit zweierlei Maß gemessen.

Claudia Mühl

Radio FM4

Literatur:
"Die Mühl-Kommune
Freie Sexualität und Aktionismus. Geschichte eines Experiments" Von Robert Fleck, 2003, Verlag Walther König

"Mein Leben in der Mühlkommune. Freie Sexualität und kollektiver Gehorsam" Von Toni E. Altenberg

"Otto Mühl. Leben-Kunst-Werk"
Zur gleichnamigen Ausstellung im MAK 2003
Von Peter Noever, Verlag König

Ich habe Claudia Mühl 1996 kennen gelernt; im Zuge der Dreharbeiten für einen Dokumentarfilm über die Kommune. Sie war misstrauisch, wenig zugänglich. Ihr Mann, Otto Mühl, saß damals noch im Gefängnis. Sie hat nach langem hin und her schließlich doch ein langes Interview gegeben; nicht weil sie mich so nett fand, sondern weil sie wusste, dass der Schaden, den das Ende der Kommune hinterlassen hat, nicht mehr zu überbieten war.

Claudia Mühl ist mit Anfang zwanzig, also am Beginn der Siebziger Jahre, in die Kommune eingezogen und hat 1986 zum Erstaunen und zum Unmut vieler Kommunarden und gegen das gelebte Prinzip der freien Sexualität ohne Zweierbeziehung Otto Mühl geheiratet. Nach der Implosion der Kommune und der Verhaftung Otto Mühls stand auch Claudia Mühl vor Gericht. Sie ist ein Jahr wegen Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses im Gefängnis gesessen; es ging dabei um ihre sexuellen Verhältnisse zu 16- und 17-jährigen Burschen aus der Kommune. Seit Ende der Neunziger Jahre lebte das Ehepaar Mühl mit 20 ehemaligen KommunardInnen und 15 Jugendlichen und Kindern zurückgezogen als Gemeinschaft in Portugal.

Claudia Mühl

Radio FM4

1.1.2011, 13-15 Uhr: Doppelzimmer Spezial: Claudia Mühl im Gespräch mit Elisabeth Scharang

Vor zwei Monaten hat Claudia Mühl die Gruppe vorerst verlassen. Gemeinsam mit ihrer erwachsenen, schwer behinderten Tochter wohnt sie in Wien und ist das erste Mal seit vierzig Jahren auf sich gestellt. In dieser neuen Lebenssituation haben wir uns wieder getroffen.

Sich mit fast sechzig Jahren in den Spiegel zu schauen und nicht genau zu wissen, wer man ist. Reflexionen über die eigene Rolle in der Kommune anzustellen, sich ohne den Schutz und die Enge einer Gruppe zu erleben - das ist wie nach 40 Jahren Ehe oder nachdem in der DDR die Mauer zum Westen gefallen ist. Zumindest stelle ich mir das so vor.

Ein Lebenskonzept, von dem man ausgegangen ist, dass es für immer halten wird, löst sich auf. Das war für mich der Ausgangspunkt unseres Gesprächs für dieses Doppelzimmer Spezial. Ich wollte meinerseits keine Abrechnung mit einer Geschichte, die ihre Richter bereits gefunden hat. Wir haben FM4-intern intensiv über dieses Doppelzimmer Spezial diskutiert. Wir sind bis heute nicht einer Meinung darüber.

Zum Nachhören

Dieses Element ist nicht mehr verfügbar