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Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

29. 12. 2010 - 10:49

Der sichere Staat und seine Agenten

Zwanzig Jahre nach dem Fall des Kommunismus in Bulgarien lauert der Geist der Staatsicherheit immer noch über der ganzen Gesellschaft.

Die Geschäftsführer des Kommunismus führte die bulgarische Wirtschaft nach dem Fall des eisernen Vorhangs hinaus aus dem Land. Die ganze Wirtschaft wurde brav in Koffer verpackt. Sie verschwanden in London, New York, Berlin und auch in Wien. Wer dafür verantwortlich ist, wird meine Generation wohl nie erfahren.

Am 7. September 1978 macht sich der bulgarische Dissidentenschriftsteller Georgi Markov in London auf den Weg zur Arbeit in die bulgarische Abteilung der BBC. In der Nähe der Bushaltestelle spürt er einen Stich im rechten Bein. Er sieht sich um und bemerkt einen Mann, der einen Regenschirm aufhebt. Zwei Tage danach stirbt Markov an einer Rizinvergiftung. Der Ereignis geht als der "bulgarische Regenschirmmord" in die Geschichte ein. Er wurde nie aufgeklärt. Weder Täter noch Auftraggeber wurden gefasst - trotz jahrelanger Ermittlungen von Scotland Yard. Die Akten der Staatsicheheit zu dem Fall wurden unmittelbar nach der Wende vernichtet.

Zwanzig Jahre nach dem Fall des Kommunismus in Bulgarien lauert der Geist der Staatsicherheit immer noch über der ganzen Gesellschaft. Die Akten werden erst nach und nach geöffnet. Viele, die erst nach 1989 Karierre gemacht haben, wurden als ehemalige Staatsicherheitsagenten enttarnt, darunter Medienmogule und Politiker. Für mich und für die Menschen in meinem Alter, die wenig vom Kommunismus miterlebt haben, ist es unklar, wie die Maschine der Staatssicherheit funktioniert hat. Irgendwie entschied sich die Mehrheit dafür, Kollegen, Freunde und Familie auszuspionieren. Die meisten traten freiwillig ins System ein. Doch an den Kommunismus selbst glaubten nur Wenige.

Bulgarien ist inzwischen Mitglied der EU. Die Mehrheit der bulgarischen Diplomaten sind ehemalige Geheimagenten. Darunter auch der Botschafter in London, also dort, wo Georgi Markov einst ermordet wurde. Insgesamt 33 bulgarische Botschafter waren mal im System der Staatssicherheit beschäftigt. Früher mussten die Kapitalisten ausspioniert werden, jetzt werden die Fortschritte der bulgarischen Demokratie hoch angepriesen.

Es ist anscheinend nicht schwer, die Fronten zu wechseln. Das Ziel bleibt der Koffer voll mit Geld.