Erstellt am: 28. 12. 2010 - 16:13 Uhr
Bewahr-Pädagogik
Man kann ja nicht sagen, dass da keine Visionen wären: Die Wissenschaftsministerin hätte gerne Studiengebühren. Die Unterrichtsministerin hätte gerne alle LehrerInnen in der Zuständigkeit des Bundes. Zwei deklarierte Forderungen von zwei nicht gerade unwichtigen Akteurinnen, die zwar Staub aufwirbeln, aber nicht umgesetzt werden können. Was Bildungspolitik betrifft, steckt der Karren in Österreich tief im Dreck, kommt nicht vor und nicht zurück. Und wenn er könnte, wüsste man immer noch nicht recht, wohin die Reise gehen soll.
Lenken verboten
Im gesamten Bundesgebiet laufen über 4000 Schulversuche, einige seit den frühen 80er Jahren. Eine "echte Regelschule" ist in Wirklichkeit kaum zu finden, das System ist längst bis ins letzte durchfragmentiert. Vom Skigymnasium über eine spezielle AHS für Angehörige der Ballettschule der Wiener Staatsoper, diverse Sprachvarianten und individuelle Schwerpunktsetzungen: Es gibt fast nichts, was nicht irgendwo in Österreich unterrichtet wird. Das ist grundsätzlich zu begrüßen, aber erstens oft kein Schulversuch, sondern eine ganz spezielle Form der Schulautonomie und zweitens alles andere als ein bildungspolitischer Masterplan.
Einzelne Schulen mögen gut oder schlecht funktionieren, als ganzes scheint dieses System momentan unsteuerbar zu sein. Es gibt zwar Gas und Bremse (mehr Geld und weniger Geld), Lenken ist aber offensichtlich streng verboten. Einmal völlig unabhängig davon, was man von einzelnen Vorschlägen halten mag: Dass grundsätzlich irgendeine Gewerkschaft und eine Hand voll Landeshauptleute laut aufschreien, hat mit sachlicher Diskussion nichts zu tun. Die mögen es allesamt nicht glauben, aber: So konservativ kann man im Bildungsbereich gar nicht agieren, dass man irgendetwas (außer Kollektivverträgen und Pensionsansprüchen) erhalten könnte. Wenn man alles daran setzt, dann gibt es eben statt einer überschau- und vielleicht sogar ein bisschen berechenbaren großen Änderung die 4000 kleinen. Dieser bildungspolitische Kräutergarten mag das eine oder andere echte Schmankerl hervorbringen, ob man als SchülerIn davon profitiert, ist aber in erster (und im Moment sogar einziger) Linie Zufall. Und das kann es bei dem dahinterstehenden bürokratischen Apparat ja eigentlich auch nicht sein.
Schlechte Bildung kann man deutlich billiger haben
Was an Unsteuerbarkeit im Schulbereich beginnt, setzt sich momentan an den Universitäten fort. An sich ist es ein fast unhaltbarer Zustand, dass die Wissenschaftsministerin davon überzeugt ist, dass kein Weg an Studiengebühren vorbeiführt, sie aber keine einführen kann. Blöderweise fehlt es dann nämlich an der nötigen Kreativität, um andere Lösungen für ein offensichtlich vorhandenes finanzielles und räumliches Problem zu finden.
Einfach die Plätze zu beschränken ist nämlich die mit Sicherheit unkreativste. Das soll ab nächstem Wintersemester in Fächern möglich sein, "in denen aufgrund außergewöhnlich erhöhter Nachfrage [...] Kapazitätsengpässe vorhanden sind oder drohen, welche geeignet sind, zu einem nicht vertretbaren Qualitätsverlust zu führen." Sogar der Österreichische Rechtsanwaltskammertag hält diese Formilierung in ihrer Schwammigkeit für verfassungswidrig. Unterm Strich läuft das darauf hinaus, dass nach ein paar Monaten jemand "Ich hab ja gesagt, dass es ohne Studiengebühren nicht geht", raunt. Beherztes Vorgehen schaut anders aus. Umsichtiges sowieso.
Das ist kein Plädoyer für rücksichtsloses Drüberfahren. Aber der Flickenteppich namens Bildungssystem besteht inzwischen großteils aus Versatzstücken und ein paar Nähten, die das Ding notdürftig zusammenhalten. Weil zu viele an längst Überholtem festhalten.
Es wäre langsam an der Zeit, alles neu aufzustellen, vom Vorschulbereich bis hin zu den Universitäten. Nicht reparieren, sondern gestalten. Das wäre mal ein guter Vorsatz für 2011.