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Albert Farkas

Ein kühnes Kratzen an der Oberfläche von Hohlräumen.

27. 12. 2010 - 17:16

FM4 Jahrbuch - Menschen 2010

Manuel Ortlechner, Innenverteidiger bei der Wiener Austria, lässt das Jahr 2010 Revue passieren und spricht über aufgezwungene Rivalitäten, abgenutzte Umkleidekabinen und das Fach, in dem er inskribiert ist.

Diese Sendung ist 7 Tage als Stream on demand abrufbar.

Manuel Ortlechner, 30, Innenverteidiger bei der Wiener Austria, besitzt eine Eigenschaft im Übermaß, die im Fußball rar gesät, aber dafür umso weniger wert ist: Herzlichkeit. Bescheuklappte, eingefleischte Rapid-AnhängerInnen werden bis zur ebenhier stehenden Schilderung, wie einen die von ihm ausstrahlende, fundamentale Güte schon nach dem allerersten Händedrück mit einer Atmosphäre der absoluten Entspanntheit beseelt, schon gar nicht mehr vorgedrungen sein.

Genauso wie ihre Konterparts auf der Gegenseite wohl noch nie auf der Website von Andreas Dober waren. Und wie ich persönlich keine Sekunde an eine Home Story mit einem Chelsea-Star verschwenden würde.

zikmund und ortlechner

ortlechner und zikmund

Kollege Robert Zikmund (l.) beim Interview mit Manuel Ortlechner

Im Fußball schafft man sich seine (Fan-)Beliebtheit eben nicht dadurch, dass man freundlich ist. Sondern, in zweiter Linie, mit der erbrachten Leistung, und in erster halt durch die Muster, die das Jersey zieren. Ein (manchmal mitreißender, manchmal überzeichneter) Schinken wie der Fußball braucht neben seinen Klischee-Helden eben auch seine Klischee-Schurken. Genauso, wie man es als bequemlicher Kinogänger nicht erdulden möchte, Robin Williams aus seiner angestammten Rolle als zwinkernder Strahlemann zu entlassen (oder Gary Oldman aus seiner Verantwortung als Bösewicht), wird auch Manuel Ortlechner von 99% der Menschen, die sich nicht analytisch mit Fußball auseinandersetzen, nach den Regeln der sektiererischen Farbenblindheit beurteilt. Und das ist okay – oder wenn schon nicht okay, dann zumindest verständlich.

Wenn die siebenjährige Manuela der ebenfalls siebenjährigen Sabrina vor der versammelten Klasse aus Eifersucht über einen besser benoteten Aufsatz wünscht, dass sie durchfliegt, wird die Lehrerin das Nachschlagewerk zum dialogbasierten Konfliktmanagement schon griffbereit haben. Wenn der Toiletteartikelhersteller X im Zuge seiner neuesten Plakatkampagne einfach mal so behauptet, sein Weichspüler sei um Ecken flauschiger als der vom Toiletteartikelhersteller Y, wird er höchstwahrscheinlich vor den Werberat zitiert werden. Auch PolitikerInnen wird ein beharrliches Niedermachen eines politischen Konkurrenten eher als Zeichen einer unschönen Zwangsneurose ausgelegt werden. Fußball ist die einzige breitenwirksame, in der Realität ausgetragene Aktivität, in deren Rahmen offen zur Schau gestellte Rivalität und auch Feindseligkeit salonfähig sind – das gilt besonders für das ansonsten weiß Gott wie konfliktscheue Österreich.

Ortlechners gutmütige Disposition, die auch in seinen unablässigen Charity-Auftritten zum Vorschein kommt, macht ihn zu einem Kuriosum in einem Bereich, der vor Anomalien nur so wimmelt. Denn Manuel Ortlechner selbst ist ja bei allen seinen aktuell vorgebrachten, glühenden violetten Loyalitätsbekundungen nicht im tiefsten Favoriten aufgewachsen, sondern im Innviertel, und hat in den letzten zehn Jahren außer für die SV Ried auch noch für den FC Kärnten gespielt. Kollegen werden zu Konkurrenten, Verehrer zu Schmähern, und umgekehrt, und alles plötzlicher als im Zuge jedweder Büro-Intrige. Und der Fußballspieler, der ein höher dotiertes Engagement bei einem Mitbewerber nicht zumindest in Betracht zieht, muss erst geboren werden.

So kommt es vor, dass, während es sich sonst allerorts Menschen mit festen politischen Überzeugungen an ihre Fahnen heften, gewisse Marken oder Länder wegen deren Besitzer oder Regierungen zu boykottieren, beispielsweise bekennende linke Kicker kein Problem damit haben, für einen Club von Silvio Berlusconi aufzulaufen, oder ausgewiesen passionierte Christen für einen Verein mit einem Glücksspielanbieter als Hauptsponsor.

ortlechner bei einem charity termin

fm4

Und schlussendlich ist es dann ja doch auch eigentlich noch so, dass es auch zur Berufsbeschreibung von jemandem wie Manuel Ortlechner gehört, einem Gegenspieler in extremis dann doch eventuell eher zwischen als sauber vor die Beine hineinzugrätschen. Eine professionsbedingte Aggressivität, von der natürlich auch er selber jederzeit Opfer werden kann – und auch schon geworden ist: Das wahrscheinlich prägendste Erlebnis für den nunmehr in Wien-Währing Ansässigen war die mehrmonatige Rekonvaleszenzphase nach seinem am 14. August in einer Cup-Partie (ausgerechnet) gegen Ried erlittenen doppelten Bänder- und Kapselriss im Knöchel. Eine Verletzung, von der kaum ein Mitglied der restlichen allgemeinen Öffentlichkeit wohl weiß, dass man sie sich überhaupt zuziehen kann, die aber im Fußball, der trotz eines progressiv zugunsten des Gesundheitsschutzes entwickelten Regelwerkes eine konstant hohe Verletzungsrate aufweist, keine Seltenheit ist.

Bei so einem Berufsrisiko, beim riesigen Erwartungsdruck seitens eines immer größeren Publikums, bei den konstanten Einflüsterungen einer auch in Österreich immer zahlreicheren Klientel an Nutznießern, die rein von wirtschaftlichen Interessen getrieben werden, und angesichts eines „Stehsatzcoachings“, das bei jedem professionellen Fußballverein wohl mindestens genauso sehr an Gehirnwäsche grenzt wie in einer Parteiakademie, ist es fast ein kleines Wunder, dass Manuel Ortlechner immer noch so offenherzig lächeln kann. Und offenherzig sprechen.

In der zweiten Ausgabe der Sendungsreihe „FM4 Jahrbuch – Menschen 2010“ gewährt der sympathischste Fußballer Österreichs im Gespräch mit Robert Zikmund Einblick darin, was sein am fürsorglichsten gehütetes Tausch-Trikot ist, welche Zustände in den abgenutztesten Gästeumkleidekabinen der Bundesliga herrschen, und in welchem Fach er eigentlich inskribiert ist.