Erstellt am: 26. 12. 2010 - 17:13 Uhr
We are family
Machen wir uns nichts vor, an der Institution Familie kommt niemand vorbei dieser Tage, auch und gerade die konsequentesten Christbaumverweigerer nicht.
Wie immer widmet sich pünktlich zum Fest das Kino besonders vehement dem Thema. Vielleicht in der etwas altmodisch anmutenden Hoffnung, das sich dann Mama, Papa und die lieben Kinder tatsächlich gemeinsam ins Multiplex verirren.
Ein Film, der definitiv auf diesen Effekt setzt, erst recht in der deutschen Betitelung, ist "Little Fockers - Meine Frau, unsere Kinder und ich". Das dritte Kapitel der Comedy-Saga um die konträren Familien Focker und Byrnes variert die bisherige Erfolgsformel nur geringfügig.
Noch immer schnüffelt der besessene Ex-CIA-Agent Robert de Niro seinem verhuschten Schwiegersohn Ben Stiller hinterher, dem er einfach nicht trauen will. Der arme Gaylord "Greg" Focker hat es aber diesmal nicht nur mit manischen Verwandten zu tun. Eine hübsche Arzneimittel-Vertreterin bedrängt ihn beruflich und privat und bringt ihn in verfängliche Situationen. Die dann der Spürnase des strengen Schwiegerpapa natürlich erst recht nicht entgehen.
UIP
In "Little Fockers" nimmt erstmals Paul Weitz ("American Pie", "About A Boy") auf dem Regiestuhl Platz, der sich bemüht an den Tonfall seines Vorgängers Jay Roach nahtlos anzuknüpfen. Und auch das gesamte Ensemble tritt wieder geschlossen an, von Barbra Streisand und Dustin Hoffman als nervigen Hippieeltern hin zum esoterischen Investment-Banker Owen Wilson, erweitert um Neuzugänge wie die charmante Jessica Alba und einen Kurzauftritt von Harvey Keitel.
Als jemand, für den die neue amerikanische Komödie zu den wichtigsten Kunstformen der Gegenwart gehört, stehe ich den Focker-Filmen milde schulterzuckend gegenüber.
Irgendwie neutralisieren sich die paar herrlichen Pointen und die vielen unvermeidlichen Furzwitze, die Handvoll irrwitziger Ansätze und die grundsätzlich familienfreundliche Moral auch im dritten Teil gegenseitig.
Selbst wenn die weihnachtliche Idylle, der diverse Hollywod-Schmonzetten so ungebrochen huldigen, hier immer wieder durch Blutbäder beim Truthahndinner oder Erektionspillen im falschen Moment sabotiert wird - vom anarchischen Humor des Comedygurus Judd Apatow oder auch der Brüder Farrelly sind die Klamotten um Jack Byrnes und Gaylord Focker weit entfernt.
Sehenswerte Auseinandersetzungen mit dem Thema Familie gab es 2010 viele im Kino: Von der jiddischen Tragikomödie "A Serious Man" der Coen Brüder über das etwas jenseitige Drama "The Lovely Bones" von Peter Jackson bis zu Sofia Coppolas hypnotischer Tochter-Vater-Meditation "Somewhere".
Besonders auf den Punkt brachten die Ära der zersplitterten, defekten Familienmutationen aber zwei Genrewerke: Im Sci-Fi-Schocker "Splice" endet die Utopie einer ganz anderen Vater-Mutter-Kind-Konstellation im bizarr-ödipalen Horror. Und die fantastische Comic-Groteske "Kick-Ass" von Matthew Vaughn zeigt Daddy Nicolas Cage und Töchterlein Chloe Moretz als mörderisches Vigilantenduo mit perversem Touch.
Will wer das wahre Talent des famosen Ben Stiller aufblitzen sehen, dann führt an Meisterwerken wie "Tropic Thunder" oder "Greenberg" kein Weg vorbei. Trotzdem muss man zugestehen, das sich der Mainstream in "Meine Frau, unsere Kinder und ich" von seiner sympathischen Seite zeigt. Nette Komödienkost, kann man sich gut mal nebenbei anschauen.
UIP
Von der durchgeknallten Focker-Familie aus Chicago zum ganz normal dysfunktionalen Wiener Sackbauer-Clan. Weil sentimentale Vergangenheitsaufarbeitung längst nicht nur die Hollywood'sche Remake-Machinerie antreibt, gibt es nach dem Kottan-Comeback jetzt auch ein weiteres Wiedersehen mit Mundl und Konsorten.
Mit dem Kinofilm "Echte Wiener" kehrte der proletarische TV-Antiheld der siebziger Jahre im Vorjahr äußerst erfolgreich zurück. Im Vorfeld zum Sequel gab es aber angeblich massive Probleme, von Budgetkürzungen und künstlerischen Disputen war die Rede. Mundl-Erfinder Ernst Hinterberger zog sogar seinen Namen von dem Streifen zurück.
Buch und Regie bei "Echte Wiener 2 - Die Depperten & die Gspritztn" kommen jetzt von der Dokumentarfilmerin Barbara Gräftner, die allerdings die Originalbesetzung rund um Karl Merkatz und Ingrid Burkhard von ihrer Vision überzeugen konnte.
Und gerade diesem Wechsel hinter den Kulissen verdankt sich ein kleines Wunder. Während "Echte Wiener" als verbitterte Nostalgieveranstaltung enttäuschte, verpackt in biederer Fernsehspielästhetik, haben schon die ersten Szenen der Fortsetzung etwas Kinogerechteres und Lebendigeres. Die Kamera ist viel näher an den Figuren dran, an ihren depressiven und komischen Momenten. Spuren von Authentizität flackern auf - und plötzlich wieder Erinnerungen an eine lässige Fernsehserie, die der erste Teil fast ausgelöscht hatte.
Thimfilm
Dabei geht es selbstverständlich erneut um Krisen, ob gesellschaftlicher Natur oder den Sackbauer'schen Haushalt betreffend. Ehefrau Toni möchte endlich einmal das Wiener Ehegefängnis verlassen und fliegt mit Tochter Hanni nach Irland. Natürlich zuckt der Mundl erst einmal aus, als er plötzlich alleine die Gemeindebauwohnung hüten muss. Aber dann ergeben sich auch für den alten Grantscherben neue Perspektiven.
Ohne die üblichen kabarettistischen Schübe des österreichischen Comedykinos kommt auch "Echte Wiener 2" nicht aus, besonders was den Strang rund um Enkerl Rene (Manuel Rubey) betrifft.
Aber zwischen müden Gags und halblustigen Anspielungen gibt es viele sehenswerte Momente. Die Chemie zwischen Karl Merkatz und der großartigen Ingrid Burkhard berührt diesmal ernsthaft, einige Milieustudien, vor allem wenn Mundl ein Obdachlosenheim besucht, wirken überraschend ambitioniert.
Barbara Gräftner packt zwar so viele soziale Problemfelder in ihre Geschichte, das es den Film oft erdrückt oder wie eine Grünen-Wahlwerbung aussehen lässt. Auf der anderen Seite gelingt ihr aber auch eine echt leiwande Liebeserklärung an die Stadt Wien.
Thimfilm