Erstellt am: 27. 12. 2010 - 16:45 Uhr
Banges Silvester für wirtschaftliche Eliten
Viele BesitzerInnen kleiner und großer Vermögen können in den letzten Jahren schlecht schlafen: Gerüchte von der drohenden Hyperinflation machen die Runde und erzeugen Angst. Wie wild wurden 2010 Gold und Immobilien gekauft, bisweilen schon zu Preisen, die nicht mehr ganz geheuer sind.
- Rewind 2010 - Der FM4 Jahresrückblick
Doch die Angst kommt spät, denn die große Inflation hat schon stattgefunden – und zwar auf den Finanzmärkten in den Jahren vor der Krise. Die große Finanzmarktblase hat die Preise von Immobilien in Amerika, Irland, Spanien und anderswo genauso ansteigen lassen wie diverse Wertpapiere, die auf verschlungenen Wegen mit diesem Boom verbunden waren und damit im Wert mitgestiegen sind. Als sich die Erkenntnis durchsetzte, dass diese vermeintlichen Wertsteigerungen eigentlich Illusion sind, also Inflation statt echter Erträge darstellen, weil der ganze Wirtschaftsmotor von Krediten befeuert worden war, die die Rückzahlungsfähigkeit eines Großteils der SchuldnerInnen übersteigen, war die Luft erst mal raus. Die Preise fielen, und kurz, bevor sie alle in den Keller sackten, hielt der Staat seine rettenden Hände auf: Bankenrettungspakete und Konjunkturpakete spannten einen Fallschirm über die taumelnden Kurse.
Starke Schultern gesucht
Staatsbankrott – was wäre wenn?
Wenn ein Privatschuldner oder ein Unternehmen seine Schulden nicht mehr zurückzahlen kann und in Konkurs geht, gibt es ein klares Verfahren: Das Gericht schreitet ein und der Schuldner wird gepfändet.
Es gibt aber keinen internationalen Gerichtshof oder Regeln, die vorschreiben, was zu tun ist, wenn ein Staat seine Schulden nicht mehr bezahlen kann. In der Regel setzt sich der staatliche Schuldenmanager dann mit den Gläubigern (Banken, Unternehmen und Privatpersonen im Inland und im Ausland, die Staatsanleihen gekauft haben) zusammen und verhandelt: Über eine Fristverlängerung, also einen Zahlungsaufschub. Oder über einen Verzicht auf einen Teil der Forderungen.
Alle potenziellen Gläubiger werden deswegen schockiert sein und in Folge eine Zeitlang diesem Staat kein Geld mehr borgen oder nur zu extrem teuren Zinsen. Über Nacht muss der Staat also mit dem Geld auskommen, das im Inland über Steuern hereinkommt und kann keine neuen Schulden mehr machen. Weil ein solcher Schritt eine wirtschaftliche und politische Destabilisierung bedeutet, versuchen Regierungen eine Zahlungsunfähigkeits-Erklärung in der Regel so lang wie möglich zu vermeiden.
Damit sollte erst mal Zeit gewonnen werden. Denn rasanter Preisverfall auf den Finanzmärkten birgt ungemütliche Chaos-Gefahren. Doch die gewonnene Zeit war kurz bemessen: Einige Staaten hatten sich mit dem Auffangen der geplatzten Blase übernommen, wie sich etwas später herausstellte. Das Jahr 2010 stand deshalb im Zeichen der Debatte um drohende Staatsbankrotte. Ein von korrupten Eliten über Jahre ausgeplünderter griechischer Staatshaushalt geriet nach der teuren Rettung seiner Banken endgültig ins Scheinwerferlicht, und das vormalige wirtschaftsliberale Musterschülerland Irland musste zur Rettung seiner maroden Banken die Finanzmärkte mit Kreditbegehr in Höhe von einem Drittel der jährlichen Wirtschaftsleistung schockieren.
Der Versuch, die Schuldenlasten von eingeknickten (Banken) auf stärkere Schultern (Staaten) zu heben, brachte die Situation also noch nicht überall unter Kontrolle. Noch stärkere Schultern mussten gefunden werden, um die schwächelnden Helferschultern aufzufangen: Die internationale Staatengemeinschaft (EU und Internationaler Währungsfonds) wurde mobilisiert, um Griechenland und Irland mit Krediten den Rücken zu stärken. Doch auch damit ist nicht alles gerettet.
Waldsee @flickr.com
Bange Silvester-Fragen
Beim Bleigießen zum Jahreswechsel drängen sich für die wirtschaftlichen AkteurInnen zwei Fragen auf:
1. Wie viel weitere Hilfseinsätze kann der breite Rücken der internationalen Staatengemeinschaft vertragen, ohne selbst zum Fall für den Orthopäden zu werden (manche schauen auch in Richtung chinesische Medizin)? Wenn ein paar größere Staaten das Vertrauen der privaten Kreditgeber verlieren, und um Hilfe beim EU-Rettungsschirm ansuchen, wächst das den beteiligten Helfern vielleicht auch bald über den Kopf. Finanziell, aber auch innenpolitisch: Die deutsche Öffentlichkeit missversteht sich als „Zahlmeister“, und wähnt sich von faulen Griechen und Iren ausgebeutet, ohne zu sehen, dass die Alternative für eine Unterstützung wegfallende Exportmärkte für den Exportweltmeister und zusammenbrechende deutsche Banken sind, die ihre Milliarden-Forderungen an irische und andere europäische Banken und Staaten in den Rauchfang schreiben können.
2. Sind die Schulden, die jetzt von einer Einheit auf die andere (erst von den Banken auf die Staaten, dann von den Staaten auf die internationale Staatengemeinschaft) überwälzt werden, überhaupt rückzahlbar? Oder muss es nicht doch einen teilweisen Forderungsverzicht geben? Jahrelange Extrem-Sparpakete zu Lasten der Bevölkerung in Schuldnerstaaten wie Griechenland und Irland, nur damit ausländische Gläubiger ihr Geld zu 100% zurückkriegen, sind auf die Dauer schwer durchhaltbar. Diese Befürchtung sorgt derzeit für Unruhe auf den Finanzmärkten: Den Vermögenden dämmert, dass ihre Guthaben Ansprüche darstellen, die nicht in voller Höhe erfüllbar sind. Die verzweifelte Suche nach einem sicheren Hafen, der jetzt für so viel Hin- und Hergeschiebe von Geld sorgt, hat darin sein Motiv.
erikaheinzurlaub @flickr
Um die Unsicherheit zu beenden, wäre eine Instanz mit Autorität vonnöten, die ein Zahlungsmoratorium für alle Beteiligten setzt, und dann die Sachlage eingehend sondiert: Wie viel Rückzahlung ist den SchuldnerInnen zumutbar? Was ist unzumutbar und worauf muss folglich verzichtet werden? Schließlich wäre zu untersuchen, ob die daraus entstehenden Verluste GläubigerInnen treffen, die das verkraften können, und ob es einzelne GläubigerInnen gibt, denen wiederum geholfen werden muss (weil ihr Zusammenbrechen Kettenreaktionen auslösen oder soziale Härtefälle verursachen würde – etwa wenn Pensionsfonds getroffen sind in Ländern, wo die Menschen ganz auf private Vorsorge angewiesen sind). Gelder für diese Hilfsmaßnahmen wären dann von leistungsfähigen Quellen per Steuer einzutreiben.
das juengste gericht
Doch im globalen Kapitalismus mit seinem freien Kapitalverkehr gibt es keine solche Instanz. Und so regiert das Recht des ökonomisch Stärkeren und das Rette-sich-wer-kann-Prinzip in einem chaotischen Durcheinander. Das bisherige Handeln der EU-Regierungen war vom Glauben an die Bewahrung des Status Quo geprägt: Mit dem Kaufen von Zeit (etwa durch Aufspannen eines kostenpflichtigen „Rettungsschirms“, unter den Staaten schlüpfen können) würde die Krise irgendwann verpuffen und der „Tag des Jüngsten Gerichts“ ließe sich vermeiden, wo die Verteilungsansprüche zwischen Vermögenden und Armen, SchuldnerInnen und GläubigerInnen, neu ausverhandelt werden müssen. Doch dieser Glaube ist zum Jahreswechsel brüchiger als je zuvor.