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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

28. 12. 2010 - 17:29

Hipster Bashing

Jung, stilbewusst und „anders“: Wie die Welt gelernt hat den Hipster zu hassen und ein Programmhinweis auf ein Homebase Spezial zum Thema mit Mark Greif vom N+1 Magazine.

You know it, when you see it

Hipster

Christian Lehner

Coney Island, Brooklyn, Sommer 2009

Du trägst Brillen mit Kaffetassenuntersatz-großen Gläsern? Deine Jeans sind "skinny" und Du fährst Fixies oder Vintage Bikes? Karo ist toll, Fetzenschal auch, und ein Bart sowieso? Du stellst ausgestopfte Tiere in Deine Wohnung, hängst Geweihe an die Wand, streichelst Deine Hundis und Katzis und steppst zu Grizzly Bear oder Wolf Parade? Du kannst all die schönen, mehrheitlich aus Symbolen bestehenden Bandnamen des Mikro-Trends Witch House (oder auch Drag, Hounted House und Screwgaze) auswendig von hinten nach vorne aufsagen und kommst nicht ohne tägliche Lektüre von P4K und diesem Schalk da aus? Am liebsten schießt Du Fotos von Dir selbst (und Deinen Party-Abenteuern) und postest sie mit allerlei geschmackssicheren Popreferenzenzen in Deinem Blog und feuerst FB-Status Updates und Tweets in die Weiten des Netzes?

Hipster

verynoise.com

Treffen mehrere dieser Kriterien auf Dich zu, bist Du höchstwahrscheinlich ein Hipster. Auch wenn Dir das innerlich vielleicht schmeichelt, als Hipster willst Du natürlich trotzdem nicht bezeichnet werden (das Wort „Hipsterin“ ist nicht gebräuchlich). Falls Du nicht weißt, was ein Hipster ist, obwohl Du wie einer aussiehst, bist Du höchstwahrscheinlich ein Douchebag, also jemand, der einen Lodenmantel samt Filzhut völlig ironiefrei trägt, also ein Jäger.

Der zeitgenössische Hipster

Amerika hat offensichtlich die Nase voll vom Subkulturtypus No. 1 der letzten 10 Jahre. Während der in der zeitgenössischen Auslegung zu verstehende Begriff erst allmählich im kontinentaleuropäischen Mainstream anzukommen scheint, setzt die US-Chronologie des modernen Hipsters im Jahr 1999 an.

Die wirtschaftliche - wie wir heute wissen auf Pump beförderte - Prosperität der späten Clinton Jahre führte zur Umkehrung des sogenannten White Flight Phänomens. Die einst maroden Innenstädte diverser US-Metropolen erlebten durch den Rückgang der Kriminalität einen kräftigen Zuzug von weißen Mittelstandskids und Jungkreativos, die auf der Suche nach billigen Bleiben für nahe Universitäten waren und natürlich auch nach post-adoleszenten Abenteuern in Downtown oder den zentrumsnahen Bezirken mit authentischer, lokaler Kultur.

Sie brachten zunächst ironisch verbrämte Codes des White Trash also der weißen Unterschicht (Trucker Hats, PBR-Dosenbier, Porno-Schnautzer usw) und kuschelige „Mama und Papa in den 80er Jahren“ Nostalgie. Beide Stilströmungen sollten in Variationen das folgende Jahrzehnt in Sachen Mode, Musik und (Interior)Design bestimmen.

Hipster

Christian Lehner

Waterfront Williamsburg, Brooklyn, Sommer 2009

Hipster Hass war von Beginn an ein immanentes Kriterium der Hipster Kultur. Die Stadtzeitschrift New York Magazine setzte ihn in der letztjährigen Jahrzehnte-Rückblicksausgabe mit dem Auftauchen einer frühen und stilprägenden Band des Williamsburg/Brooklyn Hypes synonym. Die Yeah Yeah Yeahs, vor allem ihre schillernde Frontfrau Karen O., definierten nicht nur neue Maßstäbe in Sachen Retro, Style und Postfeminismus. Das Trio zog bereits mit der ersten, namelosen EP im Jahr 2002 den Unmut vieler Modernisten auf sich, die – ähnlich wie bei den Strokes - einen künstlerischen Rückzug auf das Bewährte fürchteten.

Die Einwände gegen den Hipster

Hip Links:

N+1 'What Was The Hipster? A Sociological Investigation'

Look At The F**g Hipster

Hip:The History by John Leland.

lauten ähnlich wie jene gegen den Bobo, den ich hier salopp als „Onkel und Tante des Hipsters“ bezeichnen möchte und der sich im Post-9/11 Amerika nicht lange als soziale Kategorie behaupten konnte. Auch am Hipster wird das rückgratlose Durchwurschteln durch den Spätkapitalismus kritisiert, seine Anbiederung an die bestehenden Verhältnisse im Umschlag mit Arbeitsmarkt und Selbstverwirklichung, der Rückzug ins Private. Ein weiterer Generalvorwurf zielt auf die Apathie des Hipsters, der sich mit symbolischen Distinktionssgefechten begnügt und politische Aktivität auf „gut finden“ aber nur ja nicht „selber machen müssen“ beschränkt.

Und tatsächlich steht US-Präsident Obama derzeit verärgert und ratlos vor einer jungen Wählerschaft, die – wie die Kongresswahlen vom November gezeigt haben – wie vom Erdboden verschluckt scheint. Dabei sind die Jungamis nicht einmal über verfehlte Politik und gebrochene Wahlversprechen verärgert. Politik ist momentan einfach keine Agenda, jetzt, da die Alten und Verängstigten auf der Tea Party tanzen.

Einkaufen geht der Hipster brav zum teuren Organic-Store (Bioladen). Er fährt Rad und befördert die Gentrifizierung seines Stadtviertels, ohne sich – wie die Boheme früherer Jahre – mit der angestammten Community zu solidarisieren und aktiv gegen Mietwucher und Disneyfizierung anzugehen. Generell ist er "zu weiß, zu männlich, zu bürgerlich", um nicht am gesamten Verderben der modernen Welt Schuld zu sein.

Hipster

Christian Lehner

G-Train Station "Metropolitan Avenue", Herbst 2010

Look At This Fucking Hipster

Wie eingangs erwähnt: Hipster Hate war immer schon „part of the game“. Doch die Flut an Schmähschriften, viralen Videos, obsessiv dem Thema gewidmeten Blogs und Essays hat im vergangenen Jahr eine Dimension erreicht, die auf ein tiefes Unbehagen der kritischen Kulturwahrnehmung gegenüber ihrer jungen Elite schließen lässt.

Doch ist es nicht ein bisschen billig, den Hipster für alle Schweinereien dieser Erde verantwortlich zu machen?

Einer der größten Kritiker des zeitgenössischen Hipsters war Mark Greif von der progressiven Universität New School in Manhattan. Greif hat mehrere polemische Essays zum Thema verfasst (u.a. auch in der New York Times) und in einem Panel der von ihm mitbegründeten, linken Kulturzeitschrift N+1 die Frage gestellt „What Was The Hipster?“ Doch mittlerweile ist der Autor und Wissenschaftler zu einer etwas positiveren Einschätzung des Hassobjekts mit dem H-Wort gekommen.

Homebase Spezial

Warum Greif seine Meinung etwas nachjustiert hat, wieso der Begriff „Hipster“ wesentlich älter ist als die Popkultur selbst und was die möglichen emanzipatorischen Potentiale der damit assozierten Lebensstile sind, ist am 29. Dezember in einem FM4 Homebase Spezial mit Mark Greif als Gast zu hören – und natürlich auch viel „Hipster“ Musik von The Strokes, Animal Collective, Joanna Newsom, Twin Shadow, der zur Sendung ein beherztes „Pro“ Pamphlet beigesteuert hat und der Jazz Sängerin Blossom Dearie, die bereits in den frühen 60ies ironisch zu berichten wusste:

"I'm hip
I'm no square
I'm alert
I'm awake
I'm aware
I am always on the scene
Makin' the rounds
Diggin' the sounds
I read playboy magazine
'Cause I'm hip"