Erstellt am: 20. 12. 2010 - 12:30 Uhr
Feld-Wald-Wiese
Was einem gehört, das kann man verkaufen. Das ist die simple Logik der heutigen Zeit. Und so ist es auch kein Wunder, dass eine Bande alter Männer, die glaubt, dass ihnen der Fußball gehört, zwei Weltmeisterschaften meistbietend verschachert. Die Farce fand vor ein paar Wochen in Zürich statt, begleitet von salbungsvollen Worten wie Sportlichkeit, Fairness, Fußballfamilie und Solidarität. Dort, am oberen Ende des Fußballs, tragen die Männer feine Anzüge und lassen sich von Hostessen den Schampus servieren. In ihren Gesten, in ihrer Mimik und in ihrem Auftreten liegt das Bewusstsein ihrer Macht.
Am anderen Ende des Fußballs
Echtzeit Verlag
Auch in Zürich. Auch hier spielen Frauen nur die Nebenrollen. Auch hier geht es um Macht, um Solidarität, sogar um Fairness. Aber nicht als Marketingstrategie. Und so wie die Macht am oberen Ende durch Geld abgesichert und alimentiert wird, so geht es hier, am unteren Ende, um viel weniger abstrakte Mittel: Es geht um Gewalt, um den Kick. Um Fußball geht es, hier wie da, nur ganz am Rande.
Daniel Ryser, Reporter der Schweizer Wochenzeitung WOZ, hat ein Jahr lang in der Zürcher Hooliganszene recherchiert. Das war nicht einfach, denn Journalisten ist im Zusammenhang mit Fußballfans, Ultras, Hooligans meistens die Empörung wichtiger als die Realität. Polizeimeldungen und Vorurteile sind meist näher als die Recherche. Doch welcher Hooligan klagt schon eine Zeitung, weil er sich missverstanden fühlt? Das Misstrauen ist im Umkehrschluss natürlich groß.
"Es ist das Gefühl von Macht, das mich geil macht", sagt Tyler und zieht an einer Zigarette. "Wenn wir in der Gruppe auftreten, spüre ich die Blicke auf mir. Wenn wir kommen, verstummen die Umstehenden. Polizisten kommen nervös auf uns zu und flehen uns an, friedlich abzuziehen. Diese Angst in den Augen der anderen."
Augenzeugenberichte und Kurzreportagen
Echtzeit Verlag
Autor Daniel Ryser ist seit 2005 Inlandredakteur bei der famosen Schweizer Wochenzeitung WoZ. Vor zwei Jahren wurde er mit dem Zürcher Journalistenpreis ausgezeichnet.
Daniel Ryser orientiert sich bei Feld-Wald-Wiese an den oral histroy Büchern wie "Verschwende Deine Jugend". Es besteht vor allem aus Zitaten und Augenzeugenberichten, angereichert mit Kurzreportagen. Das hat den Vorteil, dass es unmittelbar und authentisch rüberkomt und sich der Autor einer Be- oder Verurteilung der handelnden Personen enthalten kann.
Er begleitet Hooligans zu verabredeten Schlägereien, Feld-Wald-Wiese genannt, er ist bei Fußballspielen zugegen und rundherum. Er spricht mit jungen Ultras und alten Hools, mit Polizisten und Sozialarbeitern, er ist bei Pressekonferenzen der Polizei und von PolitikerInnen, die zwar von den wahren Verhältnissen keine Ahnung haben, aber glauben, sich mit besonders markigen Worten profilieren zu können.
Die Realität der Straße
Feld-Wald-Wiese ist ein dünnes Buch, aber es transportiert, in kurze Abschnitte gepackt, schonungs- und illusionslos die Realität der Straße als eine ganz andere als die medial abgebildete.
"Die fragen: Warum macht ihr das? Warum rastet ihr aus? Was soll ich antworten? Wie oft habe ich schon die Fresse poliert bekommen? Ich kann nicht aufhören. Das passiert aus vielen Gründen. Ich habe auch ziemlich viel Wut in mir. Richtigen Hass manchmal. Auf die Gesellschaft. Auf das System."
Auf die Frage nach dem warum? gibt das Buch keine Antwort. Nimmt man die Recherchen Daniel Rysers für bare Münze (und es gibt keine Anzeichen, warum man das nicht tun sollte), dann wird schnell deutlich, dass diese Antwort nicht im Umkreis des Stadions zu suchen ist. Wenn sie überhaupt mit Fußball zu tun hat, dann mit den mächtigen alten Männern am anderen Ende des Balles und ihrer Lieblingsbeschäftigung, dem Verkaufen.