Erstellt am: 16. 12. 2010 - 15:59 Uhr
Clash der Techniken
Nach drei Büchern - allesamt sehr unterhaltsam - die relativ genau dasselbe Terrain sondieren und sich mehr oder weniger an einem Witz abarbeiten - es ist ein sehr guter - wird es langsam Zeit, in neue Landstriche aufzubrechen: "Von jetzt an gibt's bloß noch Literatur!" sagt Hans Nieswandt im Interview, und in seinem neuen, dritten Buch "DJ Dionysos - Geschichten aus der Diskowelt" will schon ein wenig ein Brückenschlag betrieben werden.
Hans Nieswandt
Dass Hans Nieswandt ein ganz ein Guter ist, das hat sich vermutlich schon herumgesprochen: Plattenunterhalter seit über 20 Jahren, Musikjournalist erlesensten Stils, beispielsweise für die SPEX, und Produzent. Der Titel des Überfliegertracks seines gemeinsam mit Justus Köhncke und Eric D. Clark betriebenen House-Extravaganz-Trios Whirlpool Productions wird noch auf Jahre hin als Kopfzeile für Kolumnen und Texte zu Nachtleben und Clubkultur herhalten müssen. Zu Recht. "From: Disco To: Disco" soll niemals sterben.
Aus Nieswandts wunderbaren Büchern "Plus minus Acht" und "Disko Ramallah" haben wir gelernt, wie es sich anfühlt, wenn man als DJ in irgendwelchen Diskos in irgendeiner Provinz ankommt und wenn man auf unangenehmes Unverständnis von Seiten des Publikums prallt. Wir haben aber auch von den Annehmlichkeiten gehört, die Auftritte in absurden italienischen Charts-Shows mit sich bringen, oder wie aufregend es sein kann, vom Goethe-Institut als Botschafter für elektronische Musik aus Deutschland ins Westjordanland entsandt zu werden. Beide Bücher haben zu großen Teilen von diversen Culture-Clashs gelebt, im Großen und im Kleinen. Getragen von Nieswandts sonorem Sprachwitz, unterfüttert von Erkenntnissen über die DJ-Kultur - im Historischen wie im alltäglich Erlebten: "Denn Hörerwünsche implizieren fast automatisch eine Kritik, einen Verbesserungsvorschlag an der Musik. Dagegen sind DJs allergisch."
Hans Nieswandt
Zur Hälfte ist das in "DJ Dionysos - Geschichten aus der Diskowelt" nicht groß anders: Hans Nieswandt bereist Südostasien und fährt mit Matias Aguayo und zwei russischen Produzenten in der transsibirischen Eisenbahn nach Novosibirsk, um dort eine Boombox und unter Zuhilfenahme von reichlich Vodka im Zug gebastelte Tracks abzuliefern. Hans Nieswandt soll eine "moderne" Inszenierung von "Romeo und Julia" mit ein bisschen DJ-Glamour aufsexen, in einer Podiumsdiskussion den DJ-Standpunkt zum Thema "68er" erläutern oder er findet sich in Disko-Szenen von Film-Produktionen als Komparse wieder. Und wird wieder rausgeschnitten. Besonders erhellend: Eine Szene, die eigentlich gar nichts mit Nieswandts Kern-Tätigkeiten zu tun hat: Er lässt sich von einer Freundin dazu überreden - auch wenn er es zunächst für eher albern hält - es im Sinne der körperlichen Ertüchtigung einmal mit einem Ballett-Anfängerkurs für Erwachsene zu versuchen:
"Im Studio, einem typischen Tanzraum mit Spiegelwand und Festhaltestangen wie in „Flashdance“, waren inzwischen die anderen Teilnehmer des Anfängerkurses für Erwachsene erschienen – etwa zehn Mädchen zwischen 18 und 25 in Tütüs! Absurderweise war ich von lauter Typen wie mir ausgegangen. Im goldenen Licht der untergehenden Sonne, das durch die großen Fenster hereinschien, wirkte die Szene wie durch einen Weichzeichner gefilmt, träumerisch, fast wie bei „Zärtliche Cousinen“. Dazu ich auf Socken. Man hätte es sich nicht besser ausdenken können."
- Ein Interview mit Hans Nieswandt gibt es am Donnerstag, 16.12., in der FM4 Homebase (19-22 Uhr) zu hören.
Diese tatsächlich erlebten und literarisch möglicherweise nur geringfügig aufpolierten Privat-Abenteuer des Hans Nieswandt, die sich hier abermals als sehr, sehr lustig gestalten und vielleicht jetzt im dritten Anlauf nur geringfügige Abnutzungserscheinungen aufweisen, wechseln sich nun in "DJ Dionysos - Geschichten aus der Diskowelt" mit erdachten Episoden aus dem fiktiven Leben eines DJ Dennis ab.
KiWi-Verlag
"DJ Dionysos - Geschichten aus der Diskowelt" von Hans Nieswandt ist bei Kiepenheur & Witsch erschienen"
Dennis ist ein etwas unbedarfter Nachwuchs-DJ, spielt nur mit Laptop-Programm und weiß auch gar nicht so genau, was denn eigentlich jetzt "Elektro" heißt. In den Figuren der Erzählung spiegelt sich freilich Nieswandt selbst wieder: In Dennis, dem Jungen vom Lande, der zum Superstar-DJ Dionysos aufsteigen wird, im schulmeisterhaften Alt-DJ Dudi Rutschke, der Dennis über die wahre Schule des schwarzen Goldes Vinyl und die History of Dance Music aufklärt. Hier werden sanfte Grabenkämpfe zwischen Alt und Neu ausgetragen. Es wird verhandelt wie technische Innovation das Bild des DJs verändert hat. Viel lieber aber als von Platzhaltern hätten wir das von Hans Nieswandt als Hans Nieswandt selbst erfahren. Mit analytischem Einblick in die Materie und von durchaus scharfem Standpunkt aus betrachtet, wie man das sonst von Nieswandt kennt. Lesen muss man "Dj Dionysos - Geschichten aus der Diskowelt" natürlich trotzdem. So schleppen wir uns ein bisschen durch die schon auch amüsanten literarischen Passagen und warten auf das nächste Buch von Hans Nieswandt, das dann ganz und gar Roman sein wird. Inzwischen lesen wir noch einmal das Kapitel mit dem Bier-Ufo, in dem unser realer DJ-Freund mitten im Niemandsland im "riesigen Erlebniscenter dieser bedeutenden Biermarke" übernachtet. Es ist keine sonderlich erfolgreiche Nacht gewesen.