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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

17. 12. 2010 - 11:00

Erzieherische Exzesse

Mit "Machete" infiltriert Robert Rodriguez das Exploitationkino mit politischen Botschaften. Ohne auf Blut & Beuschel zu vergessen.

Auch wenn es bestimmte feinsinnige Cineasten noch immer nicht wahrhaben wollen: Sex und Gewalt, Nacktheit und Monströses, das ist der Urstoff, aus dem die bewegten Bilder sind. Das Zwielichtige, Abseitige, Verbotene gehört zum Kino seit seinen Anfängen. Denn der Film hat seine Ursprünge in Jahrmarktbuden und Freakshows, im Ausbeuten voyeuristischer Schauwerte.

Obwohl aus Ländern wie Italien, Frankreich oder Spanien unzählige trashige Klassiker kommen, ist das Schmutz-und-Schund-Kino vor allem eine amerikanische Spezialität.

In seiner großartigen, bei der Viennale gezeigten Dokumentation "American Grindhouse" untersucht Regisseur Elijah Drenner die Geschichte des US-Exploitationfilms. Von schmierigen Stummfilmen über Nudies und Roughies, blutigen Splattermovies, Blaxploitation, Naziploitation bis zu Drogenfilmen und Bikermovies reicht das grelle Spektrum. Hinter all diesen sündigen Subgenres steht eine Idee: mit billigsten Mitteln maximale Einspielergebnisse zu erzielen. Kapitalismus auf, im besten Sinn, niedrigstem Niveau.

Nicht selten erinnern die Regisseure legendärer Exploitationfilme an Zirkusdirektoren und begnadete Verkäufer. Während das große Hollywoodkino jahrzehntelang einer strengen Zensur gehorchte, konnten sie mit Tabubrüchen Geld verdienen.

Ab den siebziger Jahren, sagt Elijah Drenner, seit Horrorblockbustern wie "Jaws", wurde der Schund plötzlich massentauglich und gesellschaftsfähig.

Machete

Sony

Schnitt in die Gegenwart. Im Zeitalter von YouPorn wirken Sexfilme wie niedliche Relikte aus der Vergangenheit, in jedem Multiplex laufen mittlerweile Torture-Porn-Schocker aus der unendlichen "Saw"-Reihe.

Die klassischen amerikanischen Grindhouse-Kinos und Drive-In-Cinemas haben dagegen längst geschlossen. Das Trashkino scheint vom Mainstream aufgesaugt worden zu sein.

Auf der anderen Seite haben neue Generationen den Exploitationfilm als grelle Inspirationsquelle entdeckt. Weil in diesen ohne Rücksicht auf Mensch (und oft auch Tier) runtergekurbelten Machwerken etwas atemlos Machendes, Irrlichterndes schlummert. Bizarre Schönheit. Abseitige Wahrheiten. Entertainment through pain.

Wobei intelligente Fans, Freaks und Kritiker dabei nicht ignorieren, dass die legendärsten Werke aus dem Giftschrank des Kinos gleichzeitig so sexistisch, antifeministisch und generell misanthrop daherkommen, dass es Vertretern der politischen Korrektheit den Magen aushebelt.

Ein zentraler Punkt bei vielen postmodernen Neo-Exploitationmovies ist deswegen eine radikale Umdeutung der Werte. Siehe Eli Roth' unterschätzte Kapitalismuskritik "Hostel 2" oder das Grindhouse-Projekt von Quentin Tarantino und Robert Rodriguez, in dem starke Frauenfiguren und antireaktionäre Einsprengsel die Schmutz-und-Schund-Genreklischees unterlaufen.

Machete

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In seinem Meisterwerk "Inglourious Basterds" lässt Tarantino dann einen kompromisslosen Antifaschismus so sehr mit grellen Trashzitaten kollidieren, dass man beinahe von einem – Achtung, Widerspruch in sich – aufgeklärten Exploitationfilm sprechen möchte.

Sein Buddy Robert Rodriguez knüpft mit "Machete" hier jetzt direkt an. Drei Jahre nach dem gleichnamigen umjubelten Faketrailer, der zum Grindhouse-Doublefeature gehörte, liefert der Regisseur nun einen richtigen Film rund um den zerfurchten Actionveteran Danny Trejo als Drogenfahnder.

Die Familie ermordet, der Ruf ruiniert, das Leben in Gefahr. Als mexikanischer Undercovercop, der sich gerne mit diversen Stichwaffen gegen seine Gegner wehrt, gerät Señor Machete in eine fatale Verschwörung. Finstere Drogenbarone, rechtspopulistische Senatoren, rücksichtslose Geschäftsleute, sie alle wollen seinen Kopf.

Aber Trejos Figur trägt ihren Spitznamen nicht umsonst. Denn erst einmal rollen die Köpfe der Bösewichte in diesem Film. Machete startet einen blutigen Rachefeldzug, bei dem er von diversen Mitstreitern unterstützt wird.

Die sind primär weiblich, gutaussehend und können perfekt mit Waffen umgehen. Und vor allem stehen sie für eine antirassistische Haltung und geben den schießwütigen US-Bürgerwehren, die im Film an der mexikanischen Grenze patroullieren, knallhart Kontra.

Machete

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Ein grimmiger Antiheld mit knappen Onelinern, viele Bikini Girls With Machineguns, Splatterexzesse, Explosionen ohne Ende: "Machete" ist genau der erwartete feuchte Traum für Geeks aller Altersstufen geworden. Aber Robert Rodriguez hat diesmal eben, im Vergleich zu reinen Fanbuben-Streichen wie "Planet Terror", noch mehr zu bieten als schundige Pflichterfüllung.

Hinter der ironisch inszenierten Nonstop-Gewalt dieses Meta-Mexploitationmovies steckt wie angedeutet eine heftige Politsatire. Rodriguez attackiert die strenge amerikanische Einwanderungspolitik auf messerscharfe Weise, im wahrsten Sinn des Wortes.

Die rauschhafte Respektlosigkeit, mit der "Machete" das Migrantenthema behandelt, erreicht bisweilen Schlingensief-artige Dimensionen und ist höchst erfrischend. Als weiterer Pluspunkt erweist sich aber auch das versammelte Ensemble. Robert De Niro, Jessica Alba, Steven Seagal, Michelle Rodriguez, Don Johnson oder Lindsay Lohan haben sichtlich Spaß am schundigen Overacting.

Also nur Grund zum Jubeln? Von den Schwächen der meisten Rodriguez-Filme, wie etwa einem kompletten Mangel an erzählerischer Dramaturgie oder Charakterzeichnung, ist auch "Machete" nicht frei. Vom spirituellen Bruder Quentin T. scheint Robert R. weiterhin meilenweit entfernt.

Aber als schnelles, billiges, ein bisserl hohles Vergnügen funktioniert dieser Mix aus Kunstblut, brachialem Humor und Außenseiterperspektiven durchaus. ¡Viva Machete!

Machete

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