Erstellt am: 15. 12. 2010 - 15:41 Uhr
Roma in Ungarn
Mit an die 12 Millionen sind die Roma die größte Minderheit der europäischen Union, eine klare Roma-Politik der Union scheint aber zu fehlen. Das bleibt als Eindruck von 2010, in dem Frankreich Tausende Roma nach Rumänien ausgewiesen hat.
Ab Jänner 2011 soll die Lage der Roma ganz oben auf der EU Agenda stehen – so kündigt es zumindest der ungarische Regierungschef Viktor Orban an. Und auch in Ungarn selbst gibt es einiges zu tun, um die Lage der Roma zu verbessern.
Immer noch lebt der Großteil der Roma-Bevölkerung, geschätzte 700.000 leben in Ungarn, in armen bis ärmsten Verhältnissen, die Arbeitslosigkeit ist hoch. Von der jüngeren Generation schließen zwar immer mehr eine Schule und eine weiterführende Ausbildung ab, viele sind dann aber am Arbeitsmarkt mit Diskriminierungen und Vorurteilen konfrontiert. "Roma wollen nicht arbeiten" lautet eines davon.
FM4 / Veronika Weidinger
Die rassistische Gewalt steigt
FM4 / Veronika Weidinger
Jüngst berichtet Amnesty International vor einer Zunahme rassistisch motivierter Gewalt gegen Roma in Ungarn. Bisheriger Höhepunkt war eine Mordserie in den Jahren 2008 und 2009. Sechs Menschen kommen bei diesen rassistisch motivierten Anschlägen um, die immer nach demselben Schema ablaufen: Ein Brandsatz wird in ein Haus am Rand einer Siedlung geworfen, flüchten die BewohnerInnen vor dem Feuer, wird auf die geschossen. Seit August 2009 sitzen vier Männer in Untersuchungshaft. Die mutmaßlichen Mörder stehen dem rechtsextremen Gedankengut nicht fern.
Mit dem Erstarken des Rechtsextremismus scheint auch die tatsächliche Gewalt gegen die größte ungarische Minderheit, die Roma, zu steigen, meint Robert Kushen, Präsident des European Roma Rights Center in Budapest: "Wir haben gesehen, dass rassistische Reden oder ach die Beschuldigungen, die Rede von einer Zigeunerkriminalität, das ein wichtiges Thema für Jobbik ist, wie auch für andere politische Figuren... das alles führt zu Gewalt."
MTI / ZSOLT SZIGETVARY
residenz
Buchtipp: Die beiden Journalisten Gregor Mayer und Bernhard Odehnal haben heuer das Buch Aufmarsch - Die rechte Gefahr aus Osteuropa (Residenzverlag, 2010) veröffentlicht, Ungarn ist das längste Kapitel gewidmet.
Die neue Rechte: Jobbik
Im April 2010 tritt die rechtsextreme Partei Jobbik zum ersten Mal bei Parlamentswahlen an und bekommt gleich 17% der Stimmen. Seither stellt die Jobbik 47 der 386 Abgeordneten im ungarischen Parlament. Als "Bewegung für ein besseres Ungarn" wurde die Jobbik 2003 gegründet und fällt vor allem durch Antisemitismus und die Agitation gegen Roma auf. Straffällig gewordenen Roma sollte die Staatsbürgerschaft aberkannt und sie sollten außerhalb der Städte in Lager gesteckt werden; Roma-Kinder müssten zwangsweise in Erziehungslager untergebracht werden - das fordern Jobbik Vertreter in den letzten Monaten. Und, die Jobbik warnt vor der "Zigeunerkriminalität", ein zentrales Schlagwort aus den jüngsten Jobbik-Wahlkämpfen. Der kriminologische Fachterminus wird seit den 70ern in Ungarn nicht mehr verwendet, wurde durch "Armutskriminalität" ersetzt. Damit wird das Phänomen von erhöhter Kleinkriminalität unter ärmeren Bevölkerungsschichten beschrieben. Die Jobbik aber hat "Zigeunerkriminalität" vor einigen Jahren wieder ausgegraben und für sich entdeckt. Wie es rechte Parteien gerne machen, kombiniert die Jobbik damit ein soziales Problem mit ethnischen Merkmalen.
FM4 / Veronika Weidinger
Kein klares Nein zu Rassismus
fm4 weidinger
Ungarns Öffentlich-Rechtliches Radio und Fernsehen haben sich vor den ungarischen Kommunalwahlen im Oktober geweigert, einen Wahlkampf-Spot der Jobbik zur "Zigeunerkriminalität" auszustrahlen. Das oberste Gericht hat aber entschieden, dass der Spot laufen muss - denn für die Verweigerung gebe es "keine rechtliche Handhabe". Robert Kushen vom European Roma Rights Center meint, in Ungarn mangele es an politischen Konsequenzen für rassistische Hetzkampagnen, er fordert, dass Beamte und PolitikerInnen sich hier auf ein Nulltoleranzstrategie einigen - aber das ist bisher leider nicht geschehen.
ecowin verlag
Buchtipp: Paul Lendvai , ORF Osteuropaexperte, schreibt über die Entwicklung Ungarns seit der Wende, sehr klar analysiert Lendvai auch die jüngsten politischen Entwicklungen Ungarns. Lendvais Kritik, seine Einschätzungen der Jobbik und des Verhältnisses von Fidesz zur Jobbik, hat dem gebürtigen Budapester nicht nur Anfeindungen, auch Drohungen eingebracht. Paul Lendvai: Mein verspieltes Land. Ecowin, 2010
Die neue Roma Politik der Fidesz
Die rechtskonservative Fidesz regiert seit Mai mit einer 2/3 Mehrheit alleine in Ungarn. Den rassistischen Tönen einer Jobbik hat die starke Regierungsfraktion unter Viktor Orban bisher nichts entgegengesetzt. Viel mehr, so meinen einige politische Beobachter und Journalisten, wie etwa Paul Lendvai, besetzt die Fidesz selbst Themen der Jobbik. Setzt man etwa die Roma Thematik ganz oben auf die Agenda, überlässt man das Feld nicht nur der extremen Rechten.
Die Roma Politik wird seit einigen Monaten von Zoltan Balog gelenkt. Der parteifreien Theologen, der Viktor Orban in dessen erster Amtszeit beraten hat, leitet das neu eingerichtet Staatssekretariat für soziale Integration. "Arbeit und Bildung", von beidem müsse es für die ungarische Roma-Bevölkerung mehr geben, so Balog, der ambitioniert wirkt, wenn er seine Pläne vorträgt.
Die ersten Gesetzesbeschlüsse der Fidesz – Kürzungen bei der Sozialhilfe – betreffen, so Robert Kushen, die ärmeren Roma und seien "strafende Maßnahmen". Von der Jobbik wurden sie mit Applaus quittiert – dementsprechend schätzt Kushen die ersten Schritte der Roma-Politik der Fidesz auch als Signale Richtung Rechts ein.
Um Maßnahmen für die Bevölkerungsgruppe der Roma besser einschätzen zu können, will Zoltan Balog demnächst die ethnische Zugehörigkeit in der ungarischen Bevölkerung erheben – um Diskriminierungen zu vermeiden, ist das bisher nicht passiert. Geschehen diese Erhebungen, wie angekündigt, anonym und unter Einhaltung des Datenschutzes, dann begrüßen auch internationale NGOs, wie das European Roma Rights Center, diese Initiative – und, Zoltan Balog will seinen Vorschlag auch auf EU-Ebene einbringen. "Brüssel leidet auch darunter... da wissen die Verantwortlichen auch nicht, ob die Maßnahmen geholfen haben oder nicht und brauchen auf ihre Programme eine gewisse Rückmeldung, auch in ethnischer Hinsicht".
FM4 / Veronika Weidinger
Roma auf der EU Agenda
Heute, Mittwoch, geht's in einer Stunde Homebase Spezial um die Situation der Roma in Ungarn.
(Homebase von 19 bis 22 Uhr)
Die ethnische Datenerhebung auch auf EU Ebene zu forcieren, das ist das einzig inhaltlich-konkrete Vorhaben Ungarns, das bisher bekannt ist. Gergely Pröhle, Staatssekretär im Außenministerium, kündigt darüber hinaus an, dass Ungarn die nötigen Foren schaffen wird, um die Situation der Roma – eine "europäische Problematik" – zu diskutieren. Im European Roma Rights Center hofft man darauf, dass innerhalb der EU klare Standards und Strategien für eine gemeinsame Roma-Politik formuliert werden, in denen Diskriminierungen auch tatsächlich keine Chance mehr haben.
Ob die Situation der größten europäischen Minderheit ab Jänner wirklich zu einem vieldiskutierten Thema auf EU Ebene wird und ob unter ungarischem Vorsitz zumindest ein Anfang in einer gemeinsamen Strategie in der Roma-Politik gemacht – das wird sich ab Jänner zeigen. Die Zukunft wird auch zeigen, ob und was unter der rechtskonservativen Regierung für die Roma in Ungarn verbessert.