Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Von Tasten und Tänzen"

Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

15. 12. 2010 - 16:48

Von Tasten und Tänzen

Das Musikvideospiel ist noch lange nicht tot. Ein Rückblick und eine Analyse.

"Gebt mir Turntables!" ruft Operator Burstup verzweifelt, als wir Mitte 2006 zu dritt mit dem Kollegen Zikmund das allererste "Guitar Hero" für FM4 testen. Der Wunsch wird drei Jahre später Wirklichkeit: Statt Knöpfe auf einer Plastikgitarre in unterschiedlichen Abfolgen zu drücken, legen wir 2009 unsere verspielte Hand tatsächlich auf die Nachbildung eines Plattenspielers. In "DJ Hero" wird getappt und gescratcht, der Crossfader wandert flugs von links nach rechts und mit einem Drehregler zaubern wir lustige Effekte auf das Mashup von zwei Songs.

Der mit Vektorgrafik in schwarz/weiß dargestellte Hase aus dem Videospiel "Vib Ribbon".

NanaOn-Sha / Sony PlayStation

"Vib Ribbon"

Es ist eine Rückkehr zu den Anfängen des Musikvideospiels, das schon rund ums Jahr 2000er stark von elektronischer Tanzmusik geprägt war. Bereits bei "Vib Ribbon" (1999) und "Frequency" (2001) hat man mit dem PlayStation-2-Controller die einzelnen Spuren eines Songs rhythmisch korrekt eingetappt und konnte Remixes erstellen und eigene Songs integrieren. Auch Tanzspiele wie "Dance Dance Revolution" (ab 1998) des japanischen Musikspielevorreiters Konami waren auf schnellen Techno und frenetischen J-pop ausgerichtet.

Mit Old Rock in den Mainstream

Der Renner für die Masse sollte aber nicht zeitgenössischer Pop oder elektronische Musik werden. Vielmehr avanciert das westliche Konami-Konkurrenzprodukt "Guitar Hero" vom US-Entwickler Harmonix innerhalb kurzer Zeit zum Hit. Als Ende 2007 die Serie ihren Höhepunkt erreicht und sich der dritte Teil von "Guitar Hero" insgesamt rund 15 Millionen mal verkauft, sind auch die davor noch skeptischen Musiker/innen und Bands von den finanziellen Vorteilen des neuen Absatzmarktes restlos überzeugt.

Den Höhepunkt der neuen Cashcow erlebt Harmonix aber nicht mehr mit: Die "Guitar Hero"-Lizenz wird vom ehemaligen Geschäftspartner verkauft und Harmonix wird seinerseits Teil des MTV Network. Zeit für eine Neuausrichtung: der Beginn der Band-Ära. Statt nur auf der Gitarre Song-Programmierungen runterzunudeln, passiert das mit "Rock Band" ab sofort auch mit Drums und Mikrophon.

Introsequenz des Videospiels "Rock Band": Eine Gitarristin und ein Gitarrist stehen auf einem Truck der durch die sonnige Landschaft fährt.

Harmonix / MTV Games

Introsequenz von "Rock Band"

Das Konzept geht auf, verkauft sich aber nicht mehr so rasend gut wie noch ein Jahr zuvor. Nach dem zweiten, bislang erfolgreichsten "Rock Band"-Teil sieht es Ende 2008 nicht mehr danach aus, als ob das Interesse der Spieleinstrumentenbesitzer/innen noch lange aufrecht erhalten werden könnte. Das Genre stagniert und wird nur mehr durch geringfügige Adaptierungen und unwesentliche spielerische Neuheiten erweitert. Experten und Kritiker, die schon länger das Melken des Musikspiels monieren, hätten es immer schon kommen sehen. Nach einem weitgehend musikleeren Videospieljahr 2009 glauben wenige an eine Rückkehr der Plastikinstrumente in den Mainstream.

Tanz mal wieder

Doch man hat die starke Durchdringung des Spielezubehörs in die Wohnzimmer dieser Welt und die popkulturelle Relevanz unterschätzt, die die "Guitar Hero"-, "Rock Band"- und auch "SingStar"-Serien in nur wenigen Jahren errungen haben. Sie haben Musikvideospiele zu einem Standard werden lassen, der möglicherweise nicht immer gut verkauft, aber auch nicht so schnell verschwindet.

Zwei grafisch stilisierte Tanz-Avatare aus dem Videospiel "Just Dance".

Ubisoft

"Just Dance"

In der von Sony und Microsoft aufgeregt lancierten Promotion ihrer Bewegungstechnologien "PlayStation Move" und "Xbox Kinect" wird während des Jahres 2010 weitgehend übersehen, dass - neben den obligatorischen Sport-, Kampf- und Partyspielen - Tanzspiele eine der naheliegendesten Anwendungen dafür sind. Tatsächlich wird das von Harmonix entwickelte "Dance Central" der mit Abstand beste Start-Titel bei Erscheinen von "Kinect" Ende November 2010. Und auch der ursprüngliche Bewegungsinnovator Nintendo erlebt mit den beiden Teilen von Ubisofts "Just Dance" für seine verhältnismäßig schon betagte Wii einen Erfolg von weit über sieben Millionen verkauften Einheiten. Ein Michael Jackson-Tanzspiel ("Michael Jackson: The Experience") erscheint Ende November, zunächst exklusiv für die Wii, und verkauft innerhalb von zwei Wochen über eine halbe Million Einheiten.

Neuausrichtung der Band

Dank der schützenden Stabilität der neuen Tanzmusikspiele in Sachen finanziellem Erfolg und öffentlicher Aufmerksamkeit, dürfen auch die ehemaligen Posterboys des Musikvideospiels an einem Neustart basteln. Harmonix sorgt Mitte 2010 mit den angekündigten, neuen Features für "Rock Band 3" auch über die üblichen Videospielkanäle hinweg für mediales Interesse. Der Pro-Modus des Spiels erlaubt nun das Verwenden einer echten E-Gitarre und kommt dem tatsächlichen Erlernen des Instruments täuschend nahe. Auch das neu hinzugestoßene Keyboard geht über das schnöde Drücken von fünf Knöpfen hinaus und fordert im Profi-Modus konzentriertes Lernen der Klaviatur. Der Keytar-Controller ist ein vollwertiges, MIDI-fähiges Instrument, das ebenfalls abseits des Videospiel-Kontextes einsatzfähig ist.

Der zweite Teil von "DJ Hero" schaltet im Herbst 2010 in Sachen Komplexität ebenfalls einen Gang nach oben, wenn auch das Gameplay weiterhin dem traditionellen Plastikinstrumenten-Modus verpflichtet ist. Gespielt werden kann mit einem oder zwei DJ Decks, zusätzlich darf - Erweiterung der Zielgruppe! - eine Rapperin bzw. ein Sänger im Stile von "SingStar" eine Gesangsperformance abliefern.

Eine Sammlung an Musikvideospielinstrumenten, darunter ein DJ Deck und ein Umhängekeyboard.

Robert Glashüttner

Alt und neu: DJ Decks von "DJ Hero", die "Rock Band 3"-Keytar und eine alte "Guitar Hero"-Gitarre

The New Hardcore

Kein Games-Hersteller kann heutzutage noch frustrierende Videospielerlebnisse verkaufen. Doch das heißt nicht, dass hohe spielerische Herausforderungen der Vergangenheit angehören. Im Gegenteil: In vielen Bereichen wird das Futter für ehrgeizige bis leicht masochistische Gaming-Expert/innen eher mehr statt weniger. Solange das jeweilige Spiel einsteigergerecht designt ist und unterschiedliche Schwierigkeitsgrade bietet, ist alles gut.

"Rock Band 3" und "DJ Hero 2" sind familienfreundlicher und partytauglicher als die Serien je waren. Aber auch, wer nach Aufgaben à la "Das-ist-doch-unmöglich-schaffbar!" sucht, wird nicht enttäuscht. Der Pro-Modus von "Rock Band 3" bringt bei manchen Songs selbst langjährige Musikspiel-Veteran/innen zum Verzweifeln und bei "DJ Hero" wird es stellenweise auch schon ab "Medium" knifflig. So holen sich Musikvideospiele also nun den Pakt mit der Ewigkeit: Durch Videospielzubehör, hinter dem sich echte Instrumente verbergen und einer hohen Bandbreite an interessierten Usern, die mehr sind als bloß eine Zielgruppe.