Erstellt am: 8. 12. 2010 - 17:29 Uhr
Brüllen, zertrümmern und weg
Wenn es so etwas gibt wie die programmtische Slime-Nummer, dann ist es Deutschland. Anfang der Achtziger Jahre wurde die Textzeile Deutschland muss sterben, damit wir leben können von der Staatsmacht zensiert, in der Punkszene dafür ein Slogan mit enormer Breitenwirkung.
Slime
Der Spruch steht auf unzähligen Nieten besetzten Lederjacken, wie auch andere Slime Songtitel: Yankees raus, Legal, Illegal, Scheißegal oder Polizei SA/SS. Oft weiß man schon nicht mehr, ob hier die Songtitel zu Parolen wurden oder Parolen zu Songtiteln.
Slime sind hauptverantwortlich dafür, dass die Punkszene in Deutschland in den Achtzigern deutlich politischer war als anderswo und dass sich Punks und Autonome auf etwas einigen konnten. Anfang der Achtziger, zwischen Deutschem Herbst und Häuserkampf, zwischen RAF-Solidarität und Hafenstraßen-Besetzung, waren Slime für den Soundtrack zuständig - in direkter Nachfolge von Rio Reisers Berliner Hausbesetzerband Ton Steine Scherben, die sie auch gern gecovert haben. Und in der politischen Nachfolge von Slime sehen sich heute zum Beispiel Musiker wie Jan Delay.
Parolen und Provokationen
Slime haben keine Provokation gescheut, gerne auch mit einfachen, oft geradezu platten Parolen. Das hat ihnen auch die besondere Aufmerksamkeit der Staatsmacht eingebracht. Die erste LP Slime 1 kam wegen Polizei SA/SS und Deutschland auf den Index und durfte nur gebeept verkauft werden. Und zum Song Deutschland muss sterben hat sogar das Bundesverfassungsgericht urteilen müssen, dass auch dieser Text unter die Freiheit der Kunst fällt und deswegen öffentlich gespielt werden darf.
Slime
Aber nicht nur mit der Staatsmacht haben Slime Probleme bekommen. Ihr Song Yankees raus aus dem Jahr 1982 hat 20 Jahre später auf einem Attac Sampler heftige Diskussionen und Rassismus-Vorwürfe ausgelöst. Und obwohl Slime durch und durch linksradikal und antifaschistisch sind, hat ihr aggressiver, parolenlastiger Stil auch in der Rechtsrock Szene Nachahmer gefunden.
Politically Incorrect?
- 8.12. in der Basement Show im House of Pain: ein Interview mit Christian, Dirk und Elf von Slime
Es spricht für die Reflexionsfähigkeit der Band, dass sie schon nach wenigen Jahren ahnt, dass der simple Parolenpunk ausgedient hat und ihnen nur noch der Weg in Richtung Heldenverehrung bleibt - so lösen sich Slime bereits 1984 auf. Was vom Genre Deutschpunk bleibt (dem sich Slime selbst nie zurechnen würden und dem sie musikalisch auch immer deutlich voraus waren) driftet mit den Ärzten und den Toten Hosen in den Neunzigern zielstrebig Richtung Bierzelt und wird (Ausnahmen bestätigen die Regel) erst in den letzten Jahren wieder relevant.
In einer kurzen Comeback-Phase Anfang der Neunziger produzieren Slime dann noch zwei Studioplatten, Viva La Muerte und Schweineherbst. Die sind textlich deutlich differenzierter und auch persönlicher, sind musikalisch ausgefeilter, aber immer noch kämpferisch und politisch.
Mirja Nicolussi
Zum Dreißiger haben sich Slime eine Jubiläumstour geleistet. Ergraut und gesetzt wirken sie, bisschen nostalgisch, aber trotzdem frisch sind die Konzerte, so sagen sie selbst im Interview. Obwohl Slime sich durchaus bewusst sind, dass in den letzten 30 Jahren einiges passiert ist: die alten Parolen, sagen sie, haben immer noch ihre Gültigkeit. Heute vielleicht sogar mehr als damals.