Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "A John in the City"

Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

8. 12. 2010 - 07:04

A John in the City

Lokalaugenschein an den Tatorten The Dakota und Strawberry Fields - John Lennon Memorial im Central Park.

Der 30. Todestag von John Lennon

Imagine that.
Warum der letzte Rest der Relevanz von John Lennon in seiner heutigen Unvorstellbarkeit liegt. (Robert Rotifer)

A John in the City
Lokalaugenschein an den Tatorten The Dakota und Strawberry Fields - John Lennon Memorial im Central Park. (Christian Lehner)

Ein Arbeiterklassenheld zu sein
Das ist schon was. Ein John Lennon Mixtape zum 30. Todestag (Boris Jordan)

Come And Get It
Im Zuge der Beatles- und John Lennon-Festspiele wurden auch eine Reihe Alben der Beatlesplattenfirma Apple neu aufgelegt. (David Pfister)

Arschkalt ist es hier. Immer wieder. Scheinbar direkt vom Hudson River aus pfeift ein eisiger Wind den weiten Weg durch die Häuserschluchten der Upper West Side von Manhattan. Ausgerechnet an der 72sten Straße, Ecke Central Park West, dürfte die frostige Luft mit einer unsichtbaren Mauer kollidieren, um dann mittels beißender Böen auf das Dakota Apartment-Haus zurückgeworfen zu werden. Das war so im Januar 1988, als mich mein Vater das erste Mal hierher geschleppt hat. Das war so im Herbst 2003, als ich kurz nach meiner Ankunft in New York zufällig am wuchtig verschnörkelten Gotham City Bau mit dem goldigen Wachhäuschen davor vorbeigekommen bin. Das war so im Dezember 2005, als ich zum 25sten Todestag von John Lennon aus professionellen Gründen hier herumlungerte. Und das ist heute so, am 7. Dezember 2010, dem Vortag der dreißigsten Jährung, abermals aus Gründen der Freilanzerei.

John Lennon, New York

Christian Lehner

Im Dakota hat Lennon seine letzten Jahre verlebt, gemeinsam mit seiner zweiten Frau Yoko Ono und dem zweiten Sohn Sean. Vor dem Dakota wurde er am 8. Dezember 1980 von dem ruhmessüchtigen Verrückten-Darsteller Mark Chapman erschossen. Jene schicksalshafte Nacht war eine der wärmsten der damaligen Vorweihnachtszeit. Wer weiß, vielleicht hätte Väterchen Frost den wankelmütigen Mordsbuben das nächste Flugzeug zurück ins warme Hawaii nehmen lassen, wo Chapman zu dieser Zeit lebte. Schon Wochen zuvor hatte der fanatische Fan einen Versuch abgebrochen.

Vor dem Dakota posieren zwei Doormen für eine Gruppe russischer Touristen, die aufgeregt glucksen. Einer der beiden versucht mit Anekdoten zu imponieren. Das gelingt. Bald werden die ersten Gruppenaufnahmen mit dem Don in der Mitte geknipst. Als ich mich als Journalist oute und Fragen stelle, gibt sich Mr. Auskunftsfreudig von einem Augenzwinkern zur nächsten ernsten Mine zugeknöpft. Er dürfe nichts sagen, aber ich könne ruhig Fotos schießen. Jene sollten halt nicht so wirken, als würde er posieren. Ich knipse. Der Wächter wirkt, als würde er posieren. Mit spanischem Akzent erklärt er, dass er noch nicht so lange in New York lebt. Ich denke mir, dass er auch mit etwas dürftiger Sprachkenntnis hervorragend verstanden hat, um was es in dieser Stadt geht.

John Lennon, New York

Christian Lehner

Lennon ist 1971 mehr oder weniger nach New York geflüchtet. Der Rummel und die Gehässigkeiten gegen seine Person und Yoko Ono zu Hause in England haben dermaßen überhand genommen, dass das Friendenspaar sich genötigt sah, in die USA zu emigrieren. Die beiden gaben sich zunächst bescheiden und zogen in eine Kellerwohnung im damaligen Boheme Viertel Greenwich Village. Das war ein bisschen naiv, denn bald klopften etwas gar viele Fans an und auch das FBI stand - laut Hausfotograf und Nachbar Bob Gruen - Schlange. Letzteres deshalb, weil sich der streitbare Lennon mit Peace Krawallskis wie Abie Hoffman und Jerry Rubin eingelassen hatte. Die erwarteten sich vom zu spät gekommenen Rockstar etwas Power für die müde gewordene US-Friedensbewegung.

John Lennon, New York

Christian Lehner

Ein erfolgreiches Free-John Sinclair-Konzert und ein offensiv politisches Album später (Some Time In New York City) begann auch Präsident Nixon die Sache etwas ernster zu nehmen. Lennon sollte in Folge über die Verweigerung der Green Card, also der Aufenthaltsgenehmigung für Nichtstaatsbürger, aus dem Land geekelt werden. Die Sache zog sich Jahre hin, erledigte sich aber nach Watergate und dem Fall von "Tricky Dick" relativ schnell zu Gunsten der Lennons. Die lebten mittlerweile wieder standesgerecht, also in den luxuriösen Räumlichkeiten namens The Dakota am Central Park, wo die junge Familie - Sean wurde 1975 geboren - bis zu Lennons Tod relativ zurückgezogen wohnte (man verzeihe mir die Auslassung der von John als Lost Weekend bezeichneten LA-Leihfrauen-Suff Phase).

John Lennon, New York

Christian Lehner

Der eisige Wind zieht mir an die Stirn und schleicht über die Kapuze hinein in den brandneuen Duffle Coat. Die künstlichen Flammen in den furchteinflößenden Laternenungetümen vor dem Dakota wärmen nicht einmal symbolisch. Der Guard bittet mich bestimmt auf die Seite zu treten. Ein abgedunkelter SUV ist gerade vorgefahren. Keine Fans weit und breit. Ich mache mich auf den Weg und setze über die Straße in den Central Park zu den Strawberry Fields, einem kleinen Bereich des Parks, der in Sichtweite zum Dakota im Jahr 1985 in eine John Lennon Gedenkstätte umgewidmet wurde.

John Lennon, New York

Christian Lehner

Dort treffe ich auf vier Menschengruppen: Erstens englische Lennon Fans, die wegen des runden Todestages angereist sind. Zweitens japanische Kamerateams. Drittens New York Touristen, die auch im existenzialistischen Sinn nicht genau zu wissen scheinen "warum wir eigentlich hier sind". Und viertens einen Menschen, der sich mir salopp als "Brother Gary" vorstellt. Bruder Gary sieht aus wie man sich einen Woodstock- oder verwoodstockten Vietnam-Veteranen vorstellt. Er gibt zu Protokoll, seit neun Jahren jeden Tag hierher zu kommen, um das in den Boden eingearbeitete Imagine-Mosaik mit einem aus Blumen und Fotos angeordneten Peace Zeichen zu schmücken. Ich mag ja Fantum eigentlich nicht so (nicht mal an mir. Heute hätte ich, der Preslyaner, zum Beispiel beinahe den zwar für Lennons letzte Lebensphase wichtigen, dann aber doch hörbar platten Self-Empowerment-Song / die Elvis Homage "(Just Like) Starting Over" vom abschließenden Lennon / Ono Album Double Fantasy für meinen Beitrag zum Homebase-Schwerpunkt ausgewählt), aber der militante Wahnsinn der Lennonisten scheint sich tatsächlich bloß auf einige wenige Typen konzentriert zu haben.

Elvis Fans sind aggressiver, das hat Lennon selbst zeitlebens unter Beweis gestellt. Die Anwesenden reagieren jedenfalls höflich ausweichend, als ich sie auf Mark Chapman anspreche. Niemand verliert ein böses Wort. Die meisten verstünden die Gedenkfeiern am Todestag ohnehin als Fest des Lebens, wie mir ein 26jähriger Fan aus Liverpool erklärt. Seltsam. Genau diesen Satz hatte ich letzte Woche bei einem durch Gospel Music befeuertes Begräbnis in Clinton Hill/Brooklyn gehört (Trauergemeinde singend in Richtung Sarg: "Dance with us, man, sing with us"). Und seltsamerweise stimmte der Chor, darunter ein ehemaliges Mitglied der Drifters, bei jener Trauerfeier auch das ganz und gar blasphemische "Imagine" an.

John Lennon, New York

Christian Lehner

Bruder Gary hätte dafür sicher eine Erklärung. Schließlich zählt er zu jener Sorte Mensch, die alles mit allem in konspirative Beziehung setzen können. Ich bin ja dankbar, dass die lieben Kollegen von der FM4-Morning Show einen Vorbericht zum Gedenktag haben wollten. Die Ansammlung von Lennon-Philosophen mit Hang zur durchgeknallten Theoriebildung in Sachen Todesumstände sind mir vom kalten 25. Gedenktag noch in unguter Erinnerung.

An diesem, dem heutigen, dem Tag vor dem Todesdreißger zeigt sich ausgerechnet das Frostwetter Gnade. Es ist so saukalt, dass ich vor lauter Herumsteigen und "Aufsager" in das Mikro-Sprechen gar nicht bemerke, dass ich mittlerweile ganz alleine bin. Es ist dunkel geworden. Der Verkehrslärm der Rush Hour weht von der Central Park West herüber. Der weit entfernte Südteil des Parks mit seiner Häuserfront bildet eine illuminierte, glitzernde Klische Kulisse. Nur ab und zu huschen Schatten von nach Hause eilenden Mad Men durch die Strawberry Fields. Klar ist mir jetzt warm, so eins und allein mit dem Park, in der Stadt. Stell dir nur einmal vor.