Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Ein Mann mit Schirm ohne Hut"

Elisabeth Scharang

Geschichten über besondere Menschen und Gedankenschrott, der für Freunde bestimmt ist.

7. 12. 2010 - 21:00

Ein Mann mit Schirm ohne Hut

Ein Gespräch mit dem Schriftsteller Dimitre Dinev über russische Liebe, bulgarische Geheimbunker und die deutsche Sprache als Weg aus dem Flüchtlingslager.

Das Gespräch mit Dimitre Dinev gibt es in einem Dopplezimmer Spezial am Mittwoch, 8.12. von 13 bis 15 Uhr

Ich frage Dimitre Dinev, ob wir bei dem förmlichen "Sie" bleiben wollen, oder er lieber in kollegialem "Du" über sich und seine Arbeit mit mir sprechen möchte. Auf Grund seiner Reaktion ist in der Sekunde klar, dass ich mit meinem Vorstoß zur Abklärung dieser Formfrage richtig gelegen habe. Er legt seinen Schirm und den schweren Wintermantel ab und erklärt, dass er oft verwundert darüber sei, dass man im deutschsprachigen Raum so schnell mit dem "Du"-Wort wäre. Ich, erstaunt, finde, dass genau das Gegenteil der Fall sei; dass wir im Gegensatz zu den englischsprachigen Menschen doch eher förmlich im Umgang seien.

"Im Russischen ist man mit jemandem per 'Du', den man liebt. Es zeigt von einem sehr persönlichen Verhältnis, wenn zwei sich duzen", erzählt Dinev. Ich denke an die russische Literatur, an die vielen Geschichten, in denen Kinder ihre Eltern mit "Sie" ansprechen; und verstehe nun etwas besser. Wir bleiben beim "Sie" und überlassen die weitere Entwicklung dem Verlauf unserer noch sehr jungen Bekanntschaft.

Dimitré Dinev

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Dimitre Dinev ist seit über zwanzig Jahren in Österreich. Er spricht mit melodiösem bulgarischen Akzent, lässt sich gerne Zeit, den Bogen eines Gedanken im Kopf zu ziehen, bevor er ihn ausspricht. Woher der Mut komme, in einer fremden Sprache Literatur zu schreiben, frage ich ihn. Und wir sprechen nicht von kleinen Aufsätzen, wobei auch das meinen ganzen Respekt hätte. Nein, wir reden von einem 600 Seiten starken Roman, einer bildreichen Sprache, voll der Wendungen und voll von Witz.

Mit "Engelszungen" hat Dimitre Dinev den Durchbruch als Schriftsteller geschafft. Das war 2003. Es folgten viele Lesereisen, Theaterstücke und ein Filmdrehbuch, das von Anja Solomowitz heuer umgesetzt wurde. Und es gipfelte in der Einladung des damaligen Bundeskanzlers Alfred Gusenbauer in dessen Loge am Wiener Opernball. Warum ich das erwähne? Weil die Reise vom Flüchtlingslager Traiskirchen in die Opernballloge des Bundeskanzlers selbst wie eine Geschichte voll absurder Wendungen und schicksalshafter Begegnungen klingt; und wohl auch ist. Aber zurück zum Ausgangspunkt meiner Frage: der Sprache.

Dimitré Dinev

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"Die deutsche Sprache hat für mich keine Kindheit, sie ist nicht geprägt von Erinnerungen. Ich kann sie verwenden, wie ich sie grade brauche. Ohne die Scheu vor Geschichten zu haben, die mit den einzelnen Worten verbunden sind. Ich kann nur jedem empfehlen, sich literarisch in seiner ersten Fremdsprache zu versuchen. Es ist eine Befreiung. Man kommt auf direktem Weg zum Ziel. Es ist ein unverkrampftes Arbeiten." Dinev hat in Bulgarien eine Deutsche Schule besucht, weil sein Vater ein Faible für die deutsche Sprache pflegte, obwohl er sie nie gesprochen oder verstanden hat. "Außerdem hatten wir Lehrer und Lehrerinnen aus der DDR, also muttersprachlich Deutsch Sprechende. Im Gegensatz zu den französischen und englischsprachigen Schulen. Kein Amerikaner ist in das kommunistische Bulgarien als Lehrer gegangen oder besser: herein gelassen worden." Aber er sei sehr schlecht in der Schule gewesen, erzählt Dinev.

Als sich abzeichnete, dass sich durch die ersten freien Wahlen in Bulgarien 1990 nichts verbessern werde, habe er keine Perspektive mehr gesehen und sei gemeinsam mit einem Freund über die grüne Grenze nach Österreich geflüchtet. Das war, nachdem er den zweijährigen Präsenzdienst abgeleistet hatte - als Funker zwanzig Meter unter der Erde. Geheimstufe.

Dimitré Dinev

fm4

Literatur:
Barmherzigkeit, 2010
Ein Licht über dem Kopf, 2005, Erzählungen
Engelszungen, 2003, Roman

Theater:
Haut und Himmel, 2006, Rabenhoftheater Wien
Das Haus des Richters, 2007, Akademietheater
Eine heikle Sache, die Seele, 2008, Volkstheater

Die Figuren in Dinevs Geschichten sind meist Menschen aus Osteuropa, die im Westen auf der Suche sind. Der Autor kennt das Gefühl, mit gesenktem Kopf durch die Straßen Wiens zu gehen, weil man Angst hat, gesehen zu werden. Angst hat, irgendeinen Fehler zu machen. Und die Angst vor der Abschiebung immer da ist. Er hat unzählige Jobs gemacht, viel am Bau gearbeitet und nachts geschrieben. An unzähligen Literaturwettbewerben teilgenommen. Vor allem in Deutschland. "Einerseits habe ich dadurch eine beachtliche Anzahl an Texten geschrieben, andererseits habe ich durch das Preisgeld, das nach und nach als Anerkennung meiner Arbeit gekommen ist, meinen Lebensstandard nach und nach heben können."

Es klingt alles wie eine Geschichte, die sich jemand ausgedacht hat. Vom Bau zum Literaturstar. Vom Flüchtling zum anerkannten Künstler mit österreichischem Pass. Das Leben des Dimitre Dinev birgt einen großen Erfahrungsschatz. Mit seinen Zeitungskommentaren, seinen Büchern, seinen Stücken und Filmen lässt er uns daran teilhaben. Schön, dass er durchgehalten hat und dass es Menschen in diesem Land gibt, die ihm dabei geholfen haben. Ob sich wohl noch einer zu sagen traut, dass sich Dinev als Wirtschaftsflüchtling und Schmarotzer nach Österreich eingeschlichen hat?

artist song  
The Deftones No Ordinary Love  
Frittenbude Bilder mit Katze  
Rotfront Remmidemmi  
First Aid Kit When i grow up  
Destroy Munich Woyzuck (Don't forget the birthday cake)  
Smashing Pumpkins Bullet with Butterfly Wings  
Lykke Li Get Some  
Nine Inch Nails The Fragile  
Icona Pop Manners  
Weekeda Obitscham  
Donso Djama  
Patrick Wolf Time of my life  
The Morning Benders Excuses  
Crystal Fighters Follow  

Das FM4 Doppelzimmer Spezial mit Dimitre Dinev

Teil 1

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Teil 2

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