Erstellt am: 7. 12. 2010 - 15:34 Uhr
Fußball-Journal '10-67.
Meisterschaft und Cup, das europäische Geschäft, das Nationalteam, der Nachwuchs, aber vor allem auch das hiesige Medienverhalten und die Wahnsinnigkeiten im Umfeld: das Fußball-Journal '10 begleitet die Saison ungeschönt.
Heute Teil 2 mit dem wichtigsten Preis, dem Paul-Gludovatz-Taktik-Award.
Teil 1 mit den anderen Preisträgern für die bedeutsamsten Aktivitäten der Fußball-Herbstsaison 2010 erschien gestern Montag.
Hier noch das Fußball-Journal-Fazit des ÖFB-Jahres, Teil 1 zum Nationalteam, Teil 2 über die Jugendarbeit.
Im Folgenden werde ich so tun, als wäre der nach dem großen ÖFB-Jugendtrainer und nunmehrigem Ried-Coach benannte Preis schon einmal verliehen worden, nämlich 2008/9, und zwar noch unter dem Namen FM4-Fußball-Journal-Taktik-Award.
An Paul Gludovatz, für seine Strategie, einen kleinen Club (Ried) mithilfe eines genialen, ausgefeilten und aufs Spielermaterial hingetrimmten Systems und der entsprechenden Taktik fit zu machen, oben bei den Geldsäcken mitzuspielen.
Gludovatz ist das heuer wieder gelungen, wieder mit Ried, dem aktuellen Herbstmeister und immer noch mit seinem immer mehr verfeinerten 3-3-3-1-System, an dem die Marcelo Bielsas dieser Welt ihre Freude hätten.
Der nunmehr nach ihm benannte Preis soll Bestrebungen österreichischer (oder in Österreich arbeitender) Coaches würdigen, die über den üblichen 08/15-Einheitsbrei hinausdenken und etwas entwickeln.
Es gibt einen Preisträger und eine lobende Erwähnung.
Der Paul-Gludovatz-Taktik-Award 2010
... geht an Adi Hütter, den Coach des SCR Altach, für seine Experimente mit etwas, was ich als 5-0-5-System beschreiben möchte.
Im Grunde sieht das so aus wie in diesem Chart von ballverliebt.eu zum Spiel Altach - Admira also dem Spitzenmatch der 2. Leistungsstufe:
ballverliebt
Adi Hütters preisgekröntes 5-0-5
Man sieht es hier recht deutlich und anschaulich: fünf Spieler von Altach, die Viererabwehr in diesem Fall mit Lienhart, Simma, Sereinig und Suppan sowie der Sechser, in diesem Fall Hopfer, sind vorrangig defensiv gebunden.
Die Offensive Five haben hingegen alle Freiheiten: in diesem Fall wären das Gatt rechts, Koch und vor allem Scherrer im Zentrum hinter dem beweglichen Pusic und Schütz links.
Der in einem Normalo-4-4-2 auflaufende Gegner hat, auch weil er nur mit vier Offensiven dagegenhält, große Probleme, ist vor allem in der Abwehr, und da vor allem wegen der Unberechenbarkeit des fünffachen Angriffswirbels, schwer unter Druck.
Altach gewann dieses Spitzenspiel und hielt so Kontakt mit dem an sich in jeder Hinsicht (finanziell, personell, qualitativ) besser ausgestatteten direkten Konkurrenten um den Aufstieg in die Bundesliga.
Wie Gludovatz mit Ried kann so auch Hütter mit Altach auf einem Level mitspielen, das die Ressourcen und Möglichkeiten, vor allem das Niveau der Akteure, an sich gar nicht zulassen würden.
Und zwar mittels eines klug erdachten, mit den Spielern erarbeiteten Systems, das Risiko nimmt ohne den alemannischen Bedacht völlig zu vernachlässigen.
Weiters beteiligt am guten Gelingen: Co-Trainer Oliver Schnellrieder, Tormann Martin Kobras, Abwehrchef Ione Cabrera (Sereinig gibt sonst den 6er), der rekonvaleszente Philip Netzer und die verletzten Guem und Tomi.
System und Taktik allein garantieren bekanntermaßen ja noch gar nix - sie sind allerdings die Basis, das Aufmarsch-Gebiet für Erfolge.
Man darf natürlich nicht vergessen, dass Altach mit demselben System ein paar Tage vor dem grandiosen 4:0 in ÖFB-Cup gegen die Vienna scheiterte.
Allerdings war dort die Offensive anders strukturiert. Hinter den zwei Spitzen (Ademi, Unverdorben) agierte ein zentraler offensiv-Regisseur (Jesus Brenes), Schütz und Scherrer (später Gatt) waren an den Flanken.
Die Antithese zu Huub Stevens' 4-1-4-1-Schutzbehauptung
Man sieht an diesen beispielhaften Aufstellungen die Variationsbreite, über die dieses System in der Offensive verfügt.
Und man erkennt auch den drastischen Unterschied zu einem ganz ähnlichen System, dem Salzburger 4-1-4-1.
Das, was Huub Stevens der Fußball-Öffentlichkeit seit Monaten einreden will, dass er nämlich in seinem System der Übervorsicht in Wahrheit eh fünf Angreifer am Start habe, passiert eben nur im Kopf des Coaches - nicht aber auf dem Platz.
Auch deshalb ist Hütters 5-0-5 so interessant: es stellt die lebende Gegenthese zu Stevens Schutzbehauptung dar.
Bei Stevens sind die beiden vor dem 6er agierenden Mittelfeldspieler in den Halb-Positionen (meist Leitgeb, Cziommer oder Pokrivac) nämlich in erster Linie mit defensiven Aufgaben beschäftigt, was die offensive Verantworung auf die beiden Flügel und den Solo-Stoßstürmer abwälzt.
Denn auch wenn Stevens das wirklich wollen sollte: seine Übervorsicht, seine strategische Unflexibilität und seine taktische Denk-Limitiertheit überträgt sich auf die Spieler, denen dann in den wichtigen Momenten der Mut fehlt. Woraus wieder das fade und seelenlose Spiel der Mannschaft resultiert.
Hütters 5-0-5 unterscheidet sich nicht nur in kleinen Details vom in Österreich handelsüblichen 4-1-4-1: entscheidend ist, dass der ehemalige defensive Mittelfeldspieler Hütter seinen Offensiv-Akteuren völlig freie Hand gibt und von allzu großer Defensivarbeit freispielt.
Die lobende Erwähnung
... geht an Walter Kogler und sein System bei Wacker Innsbruck. Kogler ist, wie Hütter, ein ehemaliger Defensiv-Spieler, scheinbar sind das tatsächlich die schlaueren Denker.
Klar, die Tiroler sind in der Meisterschaft aktuell eingebrochen, aber auch hier gilt: wer aus einer an sich unterlegenen Mannschaft etwas rausholen will, muss sich etwas einfallen lassen.
Und Kogler dachte sich ein komplexes 4-1-2-2-1 aus, mit dessen Hilfe er zehn, zwölf Spiele lang wirklich brav mithalten konnte.
Vor Koglers Abwehr (die immer aus Harding, Inake Bea, Harry Pichler und Alex Hauser besteht) spielt der Tscheche Abraham den alleinigen 6er. An der rechten Flanke kommt meist Fabian Koch, links meist Öbster zum Zug. Im Zentrum des Mittelfelds, halbrechts versetzt, agiert der Regisseur Boris Prokopic. Als zurückhängender Stürmer, halblinks, läuft Marcel Schreter auf. Vor den beiden: die Spitze (Burgic oder Perstaller).
Im Offensivfall kann es passieren, dass sich alle fünf Offensiven gleichzeitig nach vorne bewegen, eventuell geht sogar noch einer der Außenverteidiger mit: das bewirkt Überzahl-Situationen, bringt Gefahr und Chancen nach sich (von denen Innsbruck aber recht viele braucht, um sie in Tore umzusetzen).
Das Kogler-System ist sehr klug auf die Fähigkeiten des Personals abgestimmt und zeigt Stevens was ein 4-1-4-1 können würde, wenn man sich traut, es auch auszuspielen und nicht nur dran zu denken.
In der letzten Zeit, als es in Innsbruck schlechter lief, griff Kogler auf die Sicherheits-Variante mit Svejnoha als zusätzlichem zweiten 6er zurück (Schreter ging statt Öbster auf die linke Seite) - diese Beruhigungsmassnahme brachte bislang aber deutlich weniger als das mutige System der ersten Spiele.