Erstellt am: 8. 12. 2010 - 20:18 Uhr
Geben und Nehmen
Quadriga ist eine öffentliche Buchpräsentationsreihe der Nationalratspräsidentin, bei der Bücher aus den Bereichen Politik und Zeitgeschichte, Recht und Wirtschaft sowie Kunst, Kultur und Literatur dem Publikum vorgestellt werden. Über die Werke diskutieren wechselnde Gäste am Podium mit Peter Zimmermann (Ö1) und Zita Bereuter.
Die Vorweihnachtszeit bietet sich besonders gut an, um den komplexen Themenbereich des Gebens und Nehmens näher zu beleuchten. Über das Geben als solches, über Alturisten und Egoisten, über Hilfsorganisationen und was sich hinter deren Kulissen abspielt, über Superreiche, die Gutes tun wollen und über Armut in Österreich. Als Grundlage dienen vier aktuelle Bücher:
Stefan Klein: "Der Sinn des Gebens. Warum Selbstlosigkeit in der Evolution siegt und wir mit Egoismus nicht weiter kommen" S. Fischer 2010
Linda Polman: "Die Mitleidsindustrie. Hinter den Kulissen internationaler Hilfsorganisationen." Campus 2010
Martin Schenk, Michaela Moser: "Es reicht! Für alle! Wege aus der Armut " Deuticke 2010
Helmut Spudich: "Reich & gut. Wie Bill Gates & Co. Die Welt retten." Ueberreuter 2010
"Der Sinn des Gebens"
s fischer verlag
Einerseits werden wir von Werbematerial überschwemmt, in dem behauptet wird Geiz sei geil – und andererseits wird per Werbung um Spenden gebeten. Wo finden wir uns wieder – bei den Egoisten, die nur auf sich schauen und kurzfristig vielleicht besser fahren oder bei den Altruisten, die am Gemeinwohl interessiert sind?
Großzügigkeit beschränkt sich oft nur auf die eigene Gruppe. Etwas für Menschen außerhalb der eigenen Gruppe zu tun sei widernatürlich, erklärt Stefan Klein. Wichtig sind hingegen gesellschaftliche Normen. Denn bei nationalen Spendenwellen nach Katastrophen, die möglicherweise noch von Promis unterstützt werden, sind Menschen viel eher bereit zu spenden, als in vergleichbaren anderen Situationen.
Stefan Klein untersucht das in seinem Buch "Der Sinn des Gebens" und zeigt anhand vieler Experimente, dass der Mensch sehr wohl bereit ist, zugunsten eines Unbekannten auf etwas zu verzichten.
"Die Mitleidsindustrie"
campus verlag
Wenn also die anderen spenden, spenden wir eher auch. Und gespendet wird viel – etwa an NGOs. Rund 120 Milliarden Dollar staatlicher Entwicklungshilfegelder und viele Milliarden aus privaten Spenden stehen jährlich zur Verfügung. Was die NGOs damit machen, wie sie es einsetzen, vor allem aber, was sich hinter den Kulissen internationaler Hilfsorganisationen abspielt, beschreibt die niederländische Journalistin Linda Polman in ihrem Buch "Die Mitleidsindustrie".
Unter anderem beschreibt sie den kurzen Zeitraum der Medienaufmerksamkeit. Die gegenseitige Konkurrenz, der Kampf um mediale Aufmerksamkeit – die Suche nach passenden Bildern. Auch Monika Kalcics, freie Journalistin und Katastrophenhelferin der Caritas, hat diese Inszenierungen zwischen Hilforganisationen und Medienteams schon miterleben müssen und erinnert sich an einen Einsatz in Afrika – im Niger 2005. Nach einer Dürre kam es zu einer Hungerkrise und die Caritas hat mit den Menschen dort ein
Wiederaufbauprogramm in der Landwirtschaft aufgebaut. Die Betroffenen wurden dafür bezahlt, dass sie selbst am Wiederaufbau arbeiten - damit sie schneller wieder aus der Lethargie der Katastrophe kommen konnten. Es wurde ein Wassersammlsystem gebaut. "Ein Fernsehteam aus Spanien hat mir ganz klar gemacht, sie haben jetzt überhaupt kein Interesse, das hier zu filmen. Sie sind nicht gekommen, um ein paar Leute zu filmen, die von der Caritas bezahlt werden, dafür, dass sie selbst etwas aufbauen müssen. Sondern sie sind hierher gekommen, weil sie die armen Menschen filmen möchten, die hier verhungern. D.h. wir haben oft gar keine Chancen, ein anderes Bild zu transportieren, weil das nicht passt - v.a. nicht ins Afrikabild."
"Reich & gut"
ueberreuter verlag
Den Wunsch zu helfen und zu spenden verspüren auch einige Superreiche. Für diese rare Spezies interessiert sich der Autor und Journalist Helmut Spudich. "Reich und gut. Wie Bill Gates und Co. die Welt retten" ist der Titel seines Buches und er ist nicht ironisch gemeint, denn Helmut Spudich versucht tatsächlich nachzuweisen, dass es den guten Kapitalisten gibt - etwa am Beispiel Muhammad Yunus, Ted Turner oder auch der Zweite Bank.
Bill Gates etwa will in den nächsten zehn Jahren zehn Milliarden Dollar für die Erforschung eines Malariaimpfstoffes spenden. Derart langfristig planen können laut Spudich die wenigsten NGOs, inklusive der UNO. "Weil Geld eben immer eher in kurzfristige Projekte fließt und es kaum jemanden gibt, der in dieser Not, die jeweils zu decken ist und die Behandlung, die sofort vorzunehmen ist, sagt, 'ok, ich halte ein Geld zurück, damit ich vielleicht in zehn oder zwanzig Jahren einen Impfstoff habe'."
"Es reicht! Für alle!"
deuticke verlag
Von den Superreichen zu den Armen in Österreich. Armut in Österreich ist unsichtbar – weil sie im Verborgenen geschieht. Versteckt. Aber sie ist da. 400.000 Österreicherinnen sind arm – eine Million gilt als armutsgefährdet. Michaela Moser und Martin Schenk zeigen verschiedene Gesichter in ihrem Buch: "Es reicht! Für alle! Wege aus der Armut."
Wer in einem europäischen Land arm ist, könnte in einem asiatischen Land evt. gut leben. Das jeweilige Land selbst, die Lebensumstände dort, geben die Norm vor: Arm ist also, wer sich den Lebensstil, der in einem Land als normal gilt, nicht leisten kann.
Ursachen gibt es viele – dennoch kann man sagen – armutsgefährdet sind v.a. Alleinerzieherinnen, Familien mit vielen Kindern, MigrantInnen, Langzeitarbeitslose, MindestpensionistInnen und Menschen mit Behinderung.
Eines der größten Probleme für Armutsbetroffene ist die Scham.
Martin Schenk erzählt von Studien, in denen untersucht wurde, wie stark diese Beschämung Betroffene hindert bzw. lähmt, etwas zu tun – für sich und die Verbesserung ihres Lebens. Aber auch, wie sehr die Beschämung davon abhält, um Hilfe anzusuchen – weil man sich nicht traut und einem enormen Stress ausgeliefert sei. Bei Beratungseinrichtungen oder im Sozialamt würde erst sehr spät um Hilfe angesucht, so Schenk.
Als Möglichkeiten, um aus der Armut wieder rauszufinden nennt Martin Schenk verschiedene Resistenzfaktoren: Tragfähige Beziehungen, Selbstwirksamkeit - also das Gefühl zu haben, dass man sein eigenes Leben auch selbst bestimmen kann und Anerkennung.
Bildung ist für Schenk nicht der einzige Ausweg. "Es nützt nichts, wenn man 1.000 Post-Graduates hat und es haben alle keine Jobs oder man bildet alle in die Höhe und dann gibt’s halt lauter akademische Taxifahrer."
Ähnlich sieht er die Problematik mit Arbeit als einziger Lösung - was ist mit all den working poor in prekären Beschäftigungsverhältnissen? Der richtige Satz wäre für Schenk folglich: "Arbeit, von der man leben kann ist ein Instrument gegen Armut."
Schenk fordert ein Bündel an Maßnahmen, die miteinander kombiniert werden. "Wenn die einen nur von den Schlüsseln reden und die anderen von den Schlössern, dann braucht man sich nicht wundern, dass die Tür nicht aufgeht."
Eine Stunde Homebase Spezial
"Geben und Nehmen"
eine Stunde Homebase Spezial
am Donnerstag, 9.12.
zwischen 19 und 22 Uhr
Daraus den Schluss zu ziehen, dass eh zuviel gespendet wird oder dass Spenden nichts bringt, wäre fatal. Vielmehr sollte man sich an den Vorschlag von Monika Kalcics halten: "Wir alle müssen im Kleinen beginnen – ein wichtiger Schritt ist, nicht ignorant sein. Wenn wir das erreichen, haben wir schon ganz viel erreicht."