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Gerlinde Lang

Innerlichkeiten. Äußerlichkeiten.

7. 12. 2010 - 11:01

Merkel, Glawischnig und Marie Antoinette

"Fashionable Queens", und warum Hosen dich noch lange nicht gleichberechtigt machen.

Beim fächerübergreifenden Mode-Symposium Fashionable Queens
an der Uni Wien dieses Wochenende fanden sich Modejournalisten, Fashionbloggerinnen, europäische Fachfrauen aus der Marie-Antoinette-Forschung und Sozialwissenschafterinnen ein.

Wie hängen Mode und Herrschaft zusammen, was ziehe ich an als mächtige Frau?

Fragen, die sich auch für die Herrscherinnen der Bloggerszene stellen, ob Vogue-Redakteurin Anna dello Russo oder Nachwuchsbloggerin Tavi.

Vor Publikum wurden die Outfits von Jackie Kennedy bis Angela Merkel genau unter die Lupe genommen, und auch der Sexynessfaktor der Männerkleidung vor der französischen Revolution.

Marie Antoinette

marie antoinette in einem hellblauen kleid, reich verziert mit spitze und hermelin. sie sieht aus wie ein sehr teurer blauer kuchen.

vigee lebrun

Marie Antoinette #1: Skandal! Die Roben der Königin sind viel zu teuer!

Barbara Vinken erforscht an der Uni München französische Literatur (Flaubert) und gerne auch das Leben von Marie Antoinette.

"Der moderne politische Körper, der moderne body politic, ist männlich. Er funktioniert als Brüdergemeinschaft und hat alles weibliche aus sich ausgeschlossen und auf das Haus verbannt. Wenn Weiblichkeit in der Öffentlichkeit exuberant in Erscheinung tritt, dann als ein Ornament des Mannes oder als eine Verlockung, als potentiell korrumpierendes, zersetzendes Agens."

Der Mann ist mächtig und draußen, die Frau daheim und schön. Wenigstens am französischen Hof zu Zeiten des Sonnenkönigs war das anders. Da zeigten auch die mächtigen Männer Bein bis zum Anschlag in sexy weißen Seidenstrümpfen.

"Die adelige Gesellschaft stellte in ihren Frauen UND in ihren Männern die erotischen Merkmale in den Vordergrund. Die Frauen: Extrem tief dekolletiert, so dass man die Brustspitzen sah, und mit überzeichneten Hüften. Die Männer: Wunderschöne Beine, in der Renaissance wurde das Geschlecht auch in einer Schamkapsel ausgestellt."

Marie Antoinette #2: Skandal! Die Robe à la Grecque ist ja so gut wie durchsichtig! Und sind das etwa ihre echten Haare? Sieht ja aus wie aus dem Bett gerollt, wie unanständig! (Seltsamerweise war derselbe Look bei Königin Luise von Preussen kein PR-Desaster.)

Marie Antoinette in einem Luftigen weissen kleid, bei den ärmeln geschoppt, mit fast natürlicher taille und nur einer gelben schärpe und einem hut als schmuck. in der hand ein rosensträusschen.

vigee lebrun

Marie Antoinette war die Königin des Fettnapfes. Ob es ihre ruinös teuren Roben waren, ihr modernes Kleid a l'anglaise aus durchsichtigem Baumwollmusslin oder gar die Männeruniform, in der sie aufs Pferd stieg - ein Skandal jagte den anderen.

Eine Königin soll nicht modisch sein, sie ist schließlich Herrscherin von Gottes Gnaden, soll Beständigkeit, Würde, Herrschaft verkörpern. Marie Antoinette steigt in Hosen aufs Pferd, und wir wählen vor dem Schrank unsere Lieblingsjean aus. Aber macht uns das gleichberechtigt?

Marie Antoinette #3: Skandal! Die Königin geht mit ihrem Mann jagen, in den blauen Hosen der Jagdgesellschaft von Versailles! Und haben Sie schon bemerkt, wie die auf dem Pferd sitzt?!?

zierliche junge königin auf einem sich bäumenden pferd, sie trägt auf dem kopf ein dreispitz mit straussenfedern, gelbe jacke, weisse schärpe und die blauen hosen der jagdgesellschaft von versailles.

vigee lebrun

"Unisexmode bedeutet für Frauen etwas anderes als für Männer. 'Unisex' heißt nur, dass Frauen sich kleiden wie Männer. Männer ziehen keine Röcke an - es geht nur in eine Richtung. Es handelt sich um eine Übernahme des Männlichen ins Weibliche. Dabei geht es aber darum, den weiblichen Körper erotisch zu codieren. Wenn Frauen Hosen anziehen, geht es darum, einen besonders knackigen Po zu haben, die Schenkel zu modellieren. Männer in Hosen, die so eng sind wie Frauenhosen, kämen in den Verdacht der Homosexualität."

Oder in den Verdacht, ein Rockstar zu sein, ein Dandy oder auch ein Uniformierter. In diesen Formen ziehen sich auch heterosexuelle Männer von heute an wie Sexobjekte. Und damit volley zu den mächtigen eitlen Gecken in der deutschen oder italienischen Regierung. Der Druck, schön, jung und fit zu sein, erfasst langsam auch die mächtigen Männer.

Sonnenkönig Louis XIV. in seinen Staatsstrümpfen. Im Internet existieren auch Fotomontagen mit dem Kopf des schwulen Berliner Bürgermeisters Wowereit. Quod erat demonstrandum.

König Luis der vierzehnte in einer nicht einmal knielangen Hose und weissen Strümpfen, mit nur leicht aufgesetztem Spielbein. Seine weissen Schuhe haben rote Absätze.

hyacynthe rigaud

"Die lange Diskussion über die Brioni-Anzüge von Schröder, die noch längere über seine gefärbten Haare, das Ab- und Zunehmen von Joschka Fischer, Berlusconis Facelifting und Hauttransplantation - das sind sicher Momente, in denen der männliche Körper in seinem Versuch, erotisch zu bleiben, in den Fokus geriet."<<

Intensiv befasst sich auch die Forschung mit Kanzlerin Angela Merkel.
Eva Flicker von der Uni Wien, Soziologin und eine der Veranstalterinnen des "fashionable Queens"- Symposiums, sieht weibliche Politikerinnen auf einem schmalen Grat wandeln.

Kanzlerin Merkel 2008 in der Oper. Über diesen Abend wurden inzwischen mehrere wissenschaftliche Paper verfasst.

merkel mit seeehr tiefem dekollete.

jan pechos

"Man kann sagen, Frau Merkel legt großes Augenmerk darauf, nicht in eine Geschlechterrolle zu schlüpfen. Sie verweigert eine Frauenrolle und versucht das auch mit ihrem Outfit zu zeigen. Aus feministischer Perspektive ist es nicht sehr befriedigend, eine dezent angepasste Form der männlichen Inszenierung zu wählen. Sie gestattet sich gerade noch ein wenig Abweichung mit ein bisschen Farbe, aber die Vorlage ist immer der Herrenanzug."

Ganz im Gegensatz dazu die österreichische Politikerin Eva Glawischnig, die 2005 mit ihrem Hochzeitskleid aufs Krone-Cover kam. Das war nämlich bauchfrei!

Flicker: "Waren Sie schockiert?"
Ich: "Ja!"
Flicker: "Warum hat Sie das schockiert?"
Ich: "Das war so privat! Ein Politiker, bei dem man ein Stück vom Bauch sieht ... um Gottes Willen."
Flicker (lacht): "Frau Glawischnig ist sicher eine Frau, die immer wieder mit Kleiderordnungen bricht. Und sie hat's frecherweise gewagt, auf ihrer Hochzeit etwas anzuziehen, das sich der/die DurchschnittsösterreicherIn nicht erwartet hätte."