Erstellt am: 5. 12. 2010 - 12:42 Uhr
Die Königspassion
Aus dem dichten Dunst einer blutroten Nebelwolke brechen die bebend hämmernden Schläge der Drums von Nathan Followill. Gemeinsam mit der bedrohlich zornigen Basslinie seines Bruders Jared eröffnen sie das Set mit dem höllischen "Crawl". Über die aufgeheizte Luft der gedrängten ersten Reihen vor der Bühne legt sich ein leichter Geruch von Schwefel.
Vor mehr als sechs Jahren spielten die Kings of Leon das letzte Mal in Österreich. Damals noch im fast familiären Rahmen des Two Days a Week.
Mit Unterstützung eines zusätzlichen Musikers in ihrem Schatten agieren die vier Followills im grellen Rampenlicht - Bassist und Gitarrist zu beiden Seiten im zugeknöpften Karohemd, Sänger Caleb in ihrer Mitte, gehüllt in eine braune Lederjacke, bärtig, aber gut frisiert. Die einst wallende Haarpracht der Kings of Leon hat sowohl in Länge als auch Volumen abgenommen, die dichten Stirnfransen sind schon lange ausgewachsen und kein glockenförmiges Hosenbein schlägt mehr lässig flatternd um die Wade. Längst sind die vier stolzen Söhne Nashvills nicht mehr die rock'n'rollende Siebzigerjahre Supportband der Strokes. Ernsthaft und konzentriert lassen sie ihre Gitarren im gleißenden Scheinwerferlicht messerscharf aufjaulen. Kaum ein scheppernd rohes Bluesriff wetzt noch live durch die Gehörgänge der Besucher. Weit weg vom ungeschliffenen lo-fi Sound ihrer ersten zwei Alben dröhnen vorwiegend neuere Kings of Leon-Songs durch die bis auf den letzten Platz gefüllte Wiener Stadthalle. Von der Bühne hallen vor allem groß angelegte Stadionhymnen im Breitbildformat. Die Aussicht darauf hat das größte Veranstaltungszentrum des Landes schon im September binnen vier Stunden restlos ausverkauft sein lassen.
Herbert Pfarrhofer
Ein energisches Set spielten The Whigs, die Supportband aus Georgia.
Über die zwei Leinwände links und rechts der Bühne flimmert Frontmann Caleb Followills Gesicht in Großaufnahme. Mit fest zugepressten Augen und fast gequältem Ausdruck legt er Herzblut in jedes einzelne gedehnt gesungene Wort. Ehrlich und unverhüllt gibt er sich dem Publikum preis, scharrt leidenschaftlich an seinen Stimmbändern und beseelt jedes dargebrachte Stück mit Passion. Sein unverkennbarer Gesang leitet das intensive Spiel zwischen den Gebrüdern und Gevettern Followill, bindet und hält es in sich zusammen. Viele Nummern des neuen Albums "Come Around Sundown" leiden in großem Pathos - der Bass grollt missmutig und die Gitarren jammern klagend. Das schmerzempfindendste der königlichen Instrumente bleibt jedoch, vor allem live, eindeutig das schnarrende Organ Calebs, dessen leidender Gesang selbst Bob Dylan zum Bewunderer der Kings of Leon gemacht hat. "That's a hell of a song", soll dieser Hut ziehend über das auf deren Debütalbum erschienene "Trani" gesagt haben.
Florian Wieser
Der "höllische", 2003 veröffentlichte Song "Trani" wird in der Stadthalle - wie die meisten frühen Kings of Leon Stücke - nicht zum Besten gegeben. Dafür klingt Calebs Stimme "like hell. I really apologize". Während des gesamten Konzertes hat er mit stimmlichen Problemen zu kämpfen und leert kleine, mit klarer Flüssigkeit gefüllte Plastikbecher, was allem Anschein nach den brennenden Hals beruhigen soll. Bevor die einzeln gezupften Gitarrensaiten der aktuellen Singleauskoppelung "Pyro" einsetzen, bittet er das Publikum nachdrücklich, ihn beim Singen zu unterstützen. "This is a new song. If you know it, please sing with me. Trying to sing this alone would sound like shit." Sein klagender Leidensgesang, nicht nur mehr auf emotionaler und musikalischer, sondern nun auch auf körperlicher Ebene, wird begleitet von lauten Stimmen aus dem sensationslustigen Publikum.
Florian Wieser
Die energische, musikalische Botschaft, die der Wanderpredigersohn von der Bühne aus in die Halle hinausschickt, ist zwar laut zu hören, wirklich anzukommen scheint sie aber nicht. Bei den allgemein bekannten Refrains grölen die Zuschauer in erbarmungsloser Fußballstadienästhetik mit, aber leiden muss Caleb alleine.